Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.07.2018, Az. 4 B 27/18

4. Senat | REWIS RS 2018, 5764

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Gründe

1

Die auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr der Kläger beimisst.

3

a) Die Frage,

ob bei der [X.]estimmung der Grenzen der näheren Umgebung eines [X.]augrundstücks allein auf die vorhandene [X.]au- und Nutzungsstruktur abgestellt werden kann, ohne dass die mit der [X.]au- und Nutzungsstruktur und ihrer baulichen Nutzung untrennbar verbundenen Immissionen zu berücksichtigen sind, die geeignet sind, die bodenrechtliche Situation des [X.]augrundstücks zu prägen,

ist nicht klärungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des Senats, der sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat ([X.] f.), reicht die "nähere Umgebung" so weit, wie sich das geplante Vorhaben auf die Umgebung auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den [X.] [X.]harakter des [X.]augrundstücks prägt oder doch beeinflusst ([X.]VerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 [X.] 9.77 - [X.]VerwGE 55, 369 <380>; [X.]eschlüsse vom 10. Juni 1991 - 4 [X.] 88.91 - juris Rn. 3 und vom 13. Mai 2014 - 4 [X.] 38.13 - [X.] 406.11 § 34 [X.]auG[X.] Nr. 217 Rn. 7). Zu den Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf seine Umgebung gehören auch seine Immissionen (vgl. Söfker, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]auG[X.], Stand Februar 2018, § 34 Rn. 36).

4

b) Die Frage,

ob die Zäsurwirkung einer Straße auch dann ohne weitergehende Feststellungen bejaht werden kann, wenn von dieser Straße selbst erhebliche Immissionen (Lärm, Verkehr) ausgehen,

ist nicht grundsätzlich klärungsfähig. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob eine Straße die nähere Umgebung abgrenzt. Dies gilt auch im Fall einer - wie hier - unterschiedlichen Nutzung auf beiden Straßenseiten ([X.], in: [X.] Kommentar zum [X.]auG[X.], Stand April 2018, § 34 Rn. 17). [X.]ei der [X.]eurteilung spielt die Höhe der Verkehrsbelastung eine mitentscheidende Rolle (vgl. [X.]VerwG, Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 - 4 [X.] 13.93 - [X.] 406.11 § 34 [X.]auG[X.] Nr. 172).

5

c) Die Frage,

ob die Annahme eines faktischen allgemeinen Wohngebiets im Sinne von § 34 Abs. 2 [X.]auG[X.] i.V.m. § 4 [X.] ausgeschlossen ist, wenn von einer unmittelbar angrenzenden Straße Verkehrsimmissionen ausgehen, bei welchen die Neuplanung eines allgemeinen Wohngebiets abwägungsfehlerhaft wäre, weil gesunde Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 [X.]auG[X.]) nicht mehr gewahrt wären,

ist auf einen Sachverhalt zugeschnitten, den der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat. Das [X.]erufungsurteil enthält keine Feststellungen zu den Auswirkungen des Lärms von der [X.] auf die maßgebliche nähere Umgebung des [X.]augrundstücks. Nach der Rechtsprechung des [X.] scheidet die Zulassung der Revision aus, wenn ein [X.]erufungsgericht eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 28. Dezember 1998 - 9 [X.] 197.98 - juris Rn. 6 und vom 28. November 2005 - 4 [X.] 66.05 - Zf[X.]R 2006, 159). Es widerspräche dem Ziel der Grundsatzrevision, die Rechtseinheit in ihrem [X.]estand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91>), wenn die Revision wegen Fragen zugelassen würde, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht.

6

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen einer Abweichung des [X.]erufungsurteils von den Entscheidungen des Senats vom 21. November 1980 - 4 [X.] 30.78 - ([X.] 406.11 § 34 [X.][X.]auG Nr. 79) und vom 10. Juni 1991 - 4 [X.] 88.91 - (juris) zuzulassen.

7

Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des [X.] widerspricht (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 [X.] 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch eine präzise Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt wird (stRspr, [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 [X.] 38.10 - [X.] 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 - 1 [X.] 3.15 - juris Rn. 7). Der Kläger entnimmt dem [X.]erufungsurteil den Rechtssatz, dass eine stark befahrene Straße eine eindeutige Zäsur bei der [X.]estimmung der näheren Umgebung nach § 34 [X.]auG[X.] darstelle, wenn durch sie Gebiete mit vollständig anderen [X.]au- und Nutzungsstrukturen getrennt würden. Das geht am Inhalt der [X.]erufungsentscheidung vorbei. Der Verwaltungsgerichtshof ist in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung davon ausgegangen, dass eine Straße bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur eine trennende Funktion haben kann, aber nicht stets hat ([X.]). Sollte er der [X.] zu Unrecht eine trennende Wirkung zugesprochen haben, läge darin eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Mit ihr lässt sich eine Divergenz nicht begründen (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - NJW 1997, 3328).

8

3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

9

a) Der Kläger wirft dem Verwaltungsgerichtshof vor, dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen zu haben, dass er sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob in Anbetracht der Verkehrslärmvorbelastung des Gebiets des unwirksamen [X.]ebauungsplans "[X.]adwiesen" dort überhaupt ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 [X.]auG[X.] angenommen werden kann. Die Rüge verfehlt den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Norm verpflichtet das Gericht, seiner Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 2008 - 3 [X.] 11.08 - NVwZ 2008, 1355 Rn. 6). Sie schützt die Verfahrensbeteiligten nicht davor, dass das Gericht aus dem Sachverhalt nicht die gebotenen Rechtsfolgen zieht.

b) Der Kläger rügt als weitere Verstöße gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass der Verwaltungsgerichtshof den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe ohne belastbare Feststellungen angenommen, der umstrittene Imbiss sei keine der Versorgung des Gebiets dienende Gaststätte ([X.]) und die vorher auf dem [X.]augrundstück betriebene Eisdiele sei ein Fremdkörper ([X.]). Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Grundsatz der freien [X.]eweiswürdigung enthält keinen generellen Maßstab für den [X.] und [X.]eweiswert einzelner zum Prozessstoff gehörender [X.]eweismittel, Erklärungen und Indizien. Die Verwaltungsgerichte müssen den [X.] und [X.]eweiswert der verschiedenen [X.]estandteile des [X.] nach der inneren Überzeugungskraft der Gesamtheit der in [X.]etracht kommenden Erwägungen bestimmen. Dabei sind sie lediglich an den Inhalt der Akten sowie die Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze gebunden und müssen gedankliche [X.]rüche und Widersprüche vermeiden ([X.]VerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 [X.] 30.05 - NVwZ 2007, 1196 Rn. 16). Dass der Verwaltungsgerichtshof diesen Anforderungen nicht gerecht geworden wäre, ergibt sich aus dem [X.]eschwerdevorbringen nicht. Namentlich ist sein [X.]efund, der Imbiss des [X.] halte nur ein eingeschränktes Speisenangebot vor ([X.]), nicht aktenwidrig. Der Kläger macht nicht geltend, dass der Verwaltungsgerichtshof unter Missachtung der Angaben in der [X.]augenehmigungsakte von einer zu niedrigen Anzahl an Gerichten ausgegangen sei, sondern kritisiert, dass der Verwaltungsgerichtshof aus der Speisekarte einen unzutreffenden Schluss gezogen habe. Damit ist ein Verfahrensmangel nicht aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 27/18

19.07.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 27. Februar 2018, Az: 3 S 2445/17, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.07.2018, Az. 4 B 27/18 (REWIS RS 2018, 5764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 5764

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 CS 20.1414

AN 9 K 20.01545

M 8 K 21.2311

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