Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.03.2018, Az. III R 5/17

3. Senat | REWIS RS 2018, 12334

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Gegenstand

(Kindergeld bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG)


Leitsatz

1. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht nur für die Monate, in denen der Steuerpflichtige inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt.

2. Aufgrund der kindergeldspezifischen monatsbezogenen Betrachtungsweise ist bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit gemäß § 15 EStG eines nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten auf die ausgeübte inländische Tätigkeit abzustellen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Januar 2017  3 K 3219/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für den Monat Mai 2012. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wohnt mit seiner Ehefrau und seinen 1999 und 2005 geborenen Kindern in [X.]. In den Jahren 2011 bis 2015 war der Kläger selbständig in der [X.] im [X.]augewerbe tätig. Die Einsatzorte befanden sich auf unterschiedlichen [X.]austellen überwiegend in [X.] Im Rahmen der Auftragsabwicklung hielt sich der Kläger teils in der Wohnung seines Hauptauftraggebers in [X.], teils --bei auswärtigen [X.] am jeweiligen Aufenthaltsort auf. Diese Aufenthalte hatten jedoch keinen Umfang, der zu einem gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 der Abgabenordnung --AO--) im Inland geführt hätte. Das Finanzamt [X.] veranlagte den Kläger in den Jahren 2011 bis 2013 auf dessen Antrag hin nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Den am 6. Februar 2012 gestellten Antrag auf Kindergeld lehnte die [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) mit [X.]escheid vom 22. Mai 2012 ab. Im anschließenden Einspruchsverfahren legte der Kläger im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH), wonach ein Kindergeldanspruch gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 [X.]uchst. b EStG nur für diejenigen Monate besteht, in denen der [X.] inländische Einkünfte erzielt, Rechnungskopien und [X.]ankkontoauszüge vor. Die Rechnungen enthielten jeweils eine Rechnungsnummer, ein Rechnungsdatum, die Anschrift des [X.]auvorhabens und den [X.]. Sie wurden teils durch [X.]anküberweisung, teils bar beglichen. Für den [X.] Mai bis Juni 2012 legte der Kläger eine Rechnung vom 13. August 2012 vor. Den Rechnungsbetrag erhielt der Kläger im August 2012 in bar.

3

Mit [X.] vom 13. September 2016 setzte die Familienkasse für beide Kinder für diejenigen Monate, in denen der Kläger den Zufluss von Einnahmen darlegen konnte, Kindergeld fest. Im Übrigen wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. September 2016 zurück. Während des anschließenden Klageverfahrens kam es zu weiteren Abhilfen und zu einer teilweisen Klagerücknahme. Streitig blieb nur noch der Monat Mai 2012.

4

Der Kläger vertrat die Ansicht, dass für die Kindergeldberechtigung nicht der [X.] der Einnahmen, sondern die Tätigkeitsmonate entscheidend seien.

5

Die Klage hatte Erfolg. Zur [X.]egründung führte das Finanzgericht ([X.]) aus, dass es für die Frage der Einkünfteerzielung bei Gewinneinkünften nicht auf den [X.] ankomme. Für die Einkünfteerzielung i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 2 [X.]uchst. a Alternative 1 EStG sei es ausreichend, dass der Kläger im [X.] von seiner inländischen [X.]etriebsstätte (Geschäftsleitungsbetriebsstätte i.S. von § 12 Satz 2 Nr. 1 AO) aus tätig geworden sei.

6

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des [X.] [X.]erlin-[X.]randenburg vom 18. Januar 2017  3 K 3219/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision der Familienkasse ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger für den Monat Mai 2012 ein Kindergeldanspruch gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG zusteht.

9

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat auch Anspruch auf Kindergeld, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.

Ausweislich der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen nach § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] wurde der Kläger auf seinen Antrag hin für das [X.] als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt.

2. Bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegt eine Behandlung "nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig" nur für die Kalendermonate vor, in denen der [X.] Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen.

Der erkennende Senat hat sich dieser --höchstrichterlich erstmals vom [X.] des [X.] mit Urteil vom 24. Oktober 2012 V R 43/11 ([X.]E 239, 327, [X.], 491) vertretenen-- Rechtsauffassung bereits in seinen Urteilen vom 16. Mai 2013 III R 8/11 ([X.]E 241, 511, [X.], 1040) und vom 18. Juli 2013 III R 59/11 ([X.]E 242, 228, [X.], 843, Rz 21) angeschlossen (so auch [X.]-Urteil vom 18. April 2013 VI R 70/11, [X.]/NV 2013, 1554) und hält daran weiterhin fest.

3. Hiervon ausgehend ist auch die [X.] nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG monatsbezogen zu beurteilen. Der Wortlaut dieser Regelung verweist auf § 1 Abs. 3 EStG, nach der entscheidend ist, inwieweit die natürlichen Personen und damit die [X.]n Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben. Dieses "haben" solcher Einkünfte ist --mit Blick auf § 66 Abs. 2 EStG-- monatsbezogen festzustellen.

a) Der [X.] hat sich bisher nur hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu der monatsbezogenen Betrachtungsweise geäußert und insoweit auf den Zufluss der Einnahmen nach § 11 EStG abgestellt ([X.]-Urteile in [X.]E 239, 327, [X.], 491, Rz 33; vom 16. Mai 2013 III R 58/11, [X.]/NV 2014, 145, Rz 27; vom 16. Mai 2013 III R 63/10, [X.]/NV 2014, 12, Rz 20; in [X.]E 242, 228, [X.], 843, Rz 50; vom 24. Juli 2013 XI R 8/12, [X.]/NV 2014, 495, Rz 36; vom 5. September 2013 XI R 26/12, [X.]/NV 2014, 313, Rz 33; vom 12. März 2015 III R 14/14, [X.]E 249, 292, [X.], 850, Rz 37).

Ob hieran festzuhalten ist, kann der Senat offenlassen.

b) Der Streitfall wirft die bisher höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage auf, für welche Monate bei den Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit gemäß § 15 EStG bei den nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandelnden [X.]n die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch erfüllt sind.

Die zur Streitfrage bislang ergangenen finanzgerichtlichen Entscheidungen sind uneinheitlich.

Das Sächsische [X.] --Urteil vom 9. Dezember 2015  8 K 656/15 (Kg), juris-- stellt zur Frage, für welche Monate inländische gewerbliche Einkünfte i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG bei der [X.] nach § 1 Abs. 3 EStG anzusetzen sind, darauf ab, ob die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich oder nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmenüberschussrechnung erfolgt. Im ersteren Fall sei maßgeblich, in welchen Zeitpunkten Erträge und Aufwendungen nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu erfassen seien. Im letzteren Fall komme es mit Ausnahme des [X.] (§ 4 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG) auf den Zufluss der Betriebseinnahmen und den Abfluss der Betriebsausgaben an.

Das [X.] Berlin-Brandenburg stellt im angefochtenen Urteil darauf ab, wann der [X.] an seiner inländischen Betriebsstätte i.S. von § 12 Satz 2 Nr. 1 [X.] tätig geworden ist.

c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist jedenfalls bei einer gewerblichen Tätigkeit des nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten [X.]n der Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des [X.] durch die ausgeübte inländische steuerliche Tätigkeit entscheidend.

aa) Eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 8, 9 [X.] hat und damit nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Darüber hinaus muss ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen vorliegen und er muss inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben, die im Verhältnis zum Welteinkommen zu 90 % der [X.] Einkommensteuer unterliegen (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG). Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) vor, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist.

Damit normiert § 49 EStG für diese Einkunftsart weitere tatbestandliche Voraussetzungen, die einen Inlandsbezug herstellen und die jeweiligen Einkünfte damit überhaupt erst zu "inländischen" i.S. des § 49 EStG machen. Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb knüpft der Gesetzgeber an die im Inland entfaltete wirtschaftliche Tätigkeit an (sog. Quellenprinzip, vgl. [X.]-Urteil vom 10. April 2013 I R 22/12, [X.]E 241, 251, [X.], 728, Rz 10). Entscheidend für die Zuordnung ist nicht der zeitliche, sondern der wirtschaftliche Zusammenhang mit der inländischen Betriebsstätte ([X.]-Urteil vom 28. Oktober 2009 I R 28/08, [X.]/NV 2010, 432, Rz 57). Daran ändert auch die Vorschrift des § 11 EStG nichts. Die Vorschrift regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen Einnahmen oder Aufwendungen mit bestimmten Einkünften zusammenhängen, sie betrifft allein die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben [X.] in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 11 EStG Rz 1; vgl. [X.]-Urteil vom 20. September 2006 I R 59/05, [X.]E 215, 130, [X.], 75, Rz 12).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist bei der monatsbezogenen Betrachtungsweise der nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten [X.]n nicht auf den Zeitpunkt des Zuflusses und auch nicht auf die Art der Gewinnermittlung abzustellen, sondern auf die (inländische) Tätigkeit an sich. Anderenfalls hinge der Anspruch auf Kindergeld von der gewählten Einkünfteermittlung, der Rechnungserstellung, der Vereinbarung von Teilzahlungen, Vorschüssen, Abschlagsrechnungen, des Eingangs der Zahlungen sowie der [X.] und -fähigkeit des Auftraggebers und damit von selbst gewählten Gestaltungen oder bloßen Zufälligkeiten ab. Das entscheidende Kriterium für die monatsbezogene Betrachtungsweise bei der [X.] gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist daher die inländische Tätigkeit, welche die inländische Steuerpflicht auslöst und damit das Wahlrecht nach § 1 Abs. 3 EStG erst eröffnet.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 5/17

14.03.2018

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. Januar 2017, Az: 3 K 3219/16, Urteil

§ 62 Abs 1 Nr 2 Buchst b EStG 2009, § 49 EStG 2009, § 15 EStG 2009, § 1 Abs 3 EStG 2009, § 11 EStG 2009, § 19 EStG, EStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.03.2018, Az. III R 5/17 (REWIS RS 2018, 12334)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12334

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