Bundessozialgericht, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 8/10 R

8. Senat | REWIS RS 2011, 3738

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Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2009 - [X.] [X.] 18/07 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit das Sozialgericht die Beklagte zur Leistung verurteilt hat.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 31 690,62 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

[X.] ist (noch) die Erstattung von Kosten für Sozialhilfeleistungen in Höhe von 26 690,62 Euro, die der Kläger für die [X.] vom 1.1.2006 bis [X.] an W L ([X.]) erbracht hat.

2

Der 1962 geborene [X.] wohnte im Jahre 2005 in der Stadt L und erhielt bis 31.12.2005 Sozialhilfeleistungen (ua Eingliederungshilfeleistungen für [X.]) nach dem [X.] - ([X.]). Zum 1.1.2006 zog er in die Wohnung seiner Ehefrau in [X.], die diese von den [X.] ([X.]) angemietet hatte. [X.] schloss seinerseits einen Untermietvertrag mit der [X.], die ihn vor dem Umzug in der früheren Wohnung betreut hatte und auch nach dem Umzug in der neuen weiterhin betreute. Der Kläger lehnte die (weitere) Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen, die [X.] zuvor beantragt hatte, ab, weil er sich wegen des Umzugs nicht mehr für zuständig erachtete. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts ([X.]) erkannte er jedoch im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens eine vorläufige Leistungspflicht ab 2006 als erstangegangener Leistungsträger für Eingliederungshilfeleistungen an. Für den [X.]raum vom 1.1.2006 bis [X.] wandte der Kläger für Sozialhilfeleistungen an [X.] insgesamt 26 690,62 Euro auf.

3

Die nach Ablehnung einer Kostenerstattung durch die Beklagte erhobene Klage hatte beim [X.] (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung, mit der das [X.] außerdem festgestellt hat, dass die Beklagte "zuständiger Träger für Leistungen nach dem [X.] für Herrn [X.]" sei, hat es ausgeführt, dem Kläger stehe ein Erstattungsanspruch gemäß § 102 Zehntes [X.] - ([X.]B X) zu, weil die Beklagte nach dem Umzug gemäß § 98 Abs 1 Satz 1 [X.] örtlich zuständig geworden sei. § 98 Abs 5 Satz 1 [X.], wonach für Leistungen nach dem [X.] an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Form ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhielten, abweichend davon der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig sei (bzw bleibe), der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei oder gewesen wäre, finde keine Anwendung. Es fehle an der nach dieser Regelung notwendigen Verknüpfung zwischen Wohnungsgewährung und ambulanter Pflege. Es genüge nicht, dass die Wohnung bei dem Betreuungsdienst selbst angemietet sei und dieser eine Betreuung durchführe; vielmehr müsse sie von diesem auch beschafft worden sein.

4

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 98 Abs 5 [X.]. Danach setze entgegen der Ansicht des [X.] ein [X.] nicht die Gewährung der Wohnung durch den Anbieter der ambulanten Betreuung voraus. Es sei deshalb bei der örtlichen Zuständigkeit des Klägers trotz des Umzugs verblieben, weil der Kläger vor dem Bezug der Wohnung in [X.] für die Leistungen zuständig gewesen sei.

5

Die Beklagte beantragt, nachdem der Kläger die Feststellungsklage zurückgenommen hat,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das [X.] die Beklagte zur Leistung verurteilt hat.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Zwar ist sie nachträglich durch Beschluss des [X.] vom [X.] ohne Beteiligung [X.] zugelassen worden; gleichwohl ist der Senat an die Zulassung der Sprungrevision gebunden (B[X.], Urteil vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] - RdNr 9). [X.] ist, dass der [X.]läger in seiner Erklärung vom [X.] nicht ausdrücklich der Einlegung einer Sprungrevision, sondern nur pauschal einer Sprungrevision zugestimmt hat. Denn eine derartige Erklärung ist jedenfalls dann als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision zu verstehen, wenn - wie vorliegend - im [X.]punkt der Abgabe der Zustimmungserklärung Tenor und schriftliche Entscheidungsgründe des [X.]-Urteils dem Erklärenden bekannt waren (B[X.] [X.] 3-1500 § 161 [X.] mwN).

9

Die Revision der Beklagten ist nach der [X.] des [X.]lägers, die den zuvor noch gestellten Feststellungsantrag betrifft, im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>), weil für eine endgültige Entscheidung durch den Senat erforderliche Tatsachenfeststellungen (§ 163 [X.]G) fehlen.

Auf welche Anspruchsgrundlage ein eventueller Erstattungsanspruch gestützt werden kann, bedarf weiterer, je nach Anspruchsgrundlage unterschiedlicher tatsächlicher Feststellungen, sodass eine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen Anspruchsnormen untunlich ist. Abgesehen davon, dass das [X.] keine Ausführungen zur Existenz und zum Inhalt eventuell von § 97 Abs 3 [X.]B XII (gültig ab 1.1.2007) bzw von (bis 31.12.2006) § 100 [X.] ([X.]) abweichenden Landesrechts gemacht hat, fehlt es schon an Feststellungen dazu, welche Leistungen im Einzelnen erbracht worden sind, und zu Art und Umfang dieser Leistungen, die die Zuständigkeit (mit)bestimmen. Nicht beurteilbar ist ohnedies, ob die einzelnen Leistungen zu Recht erbracht worden sind. Dies aber ist Voraussetzung für alle Erstattungsansprüche (vgl nur [X.] in Lehr- und Praxiskommentar [X.]B X, 3. Aufl 2011, § 102 RdNr 28, § 103 RdNr 45, § 104 RdNr 14 und § 105 RdNr 14, jeweils mwN). Es ist zudem in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar, ob die vom [X.] angenommene Anspruchsgrundlage des § 102 [X.]B X iVm § 43 Sozialgesetzbuch [X.] - ([X.]B I) überhaupt Anwendung findet; denn es ist schon nicht festgestellt, ob zwischen den beteiligten Leistungsträgern Streit bestand (vgl zu dieser Voraussetzung nur Wagner in juris [X.] [X.]B I, § 43 RdNr 25 ff), bzw bei wem zu welchem [X.]punkt ein Antrag gestellt worden ist.

Im Übrigen liegen für die Leistungen der Eingliederungshilfe möglicherweise die Voraussetzungen des § [X.] behinderter Menschen - ([X.]B IX) für eine vorläufige Zuständigkeit vor, sodass sich gegenüber § 43 [X.]B I iVm § 102 [X.]B X vorrangige Erstattungsansprüche (vgl nur [X.] in jurisP[X.]-[X.]B IX, § 14 RdNr 19 ff mwN) nach §§ 102, 104 [X.]B X ergeben können (vgl dazu nur: [X.], aaO, RdNr 103 ff mwN). Auch die Anwendung des § 105 [X.]B X ist nicht ausgeschlossen, wenn keine vorläufige Zuständigkeit nach § 14 [X.]B IX eingetreten ist und kein Fall des § 102 [X.]B X vorliegt. Insoweit ist ggf auch an die Anwendung des § 2 Abs 3 [X.]B X zu denken (vgl zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift allgemein: [X.] in Grube/[X.], [X.]B XII, 3. Aufl 2010, § 98 [X.]B XII Rd[X.]7 mwN; Söhngen in jurisP[X.]-[X.]B XII, § 98 [X.]B XII RdNr 7 mwN; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]B XII, 18. Aufl 2010, § 98 [X.]B XII RdNr 134; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B XII, [X.] § 98 RdNr 17 mwN, Stand Dezember 2010).

Vor einer Entscheidung über die richtige Anspruchsgrundlage bedarf es der [X.]lärung der Zuständigkeit für die Leistungen. Die tatsächlichen Feststellungen lassen deren abschließende Beurteilung allerdings nicht zu.

Eine Zuständigkeit des [X.]lägers selbst könnte sich aus § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII ergeben (ab 1.1.2005 idF des [X.] vom 21.3.2005 - [X.] 818 - bzw ab [X.] idF des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.] 2670), und zwar nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift und dem Zweck der Regelung (Entlastung der [X.], die Formen des [X.] anbieten; s dazu das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R) nicht nur für die [X.]osten der Eingliederungshilfe, sondern aller Sozialhilfeleistungen (vgl [X.], aaO, § 98 [X.]B XII Rd[X.]6; Söhngen, aaO, § 98 [X.]B XII RdNr 50; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B XII, 4. Aufl 2009, § 98 Rd[X.]7; [X.] in [X.]/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 98 [X.]B XII RdNr 88, Stand August 2008; [X.], aaO, [X.] § 98 RdNr 98; [X.] in [X.]/ [X.], [X.]B II/[X.]B XII/[X.], § 98 [X.]B XII RdNr 72, Stand März 2008). Danach ist in Fällen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten die Zuständigkeit vor Eintritt in diese Wohnform maßgeblich. Vorliegend wäre dies wohl - genaue Feststellungen des [X.] für eine Beurteilung fehlen indes - die Zuständigkeit des [X.]lägers selbst (§ 98 Abs 1 [X.]B XII bzw § 97 Abs 1 [X.]). Ob, soweit in § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII auf die Zuständigkeit vor Eintritt in die Wohnform abgestellt wird, alleine maßgeblich die Zuständigkeit für die Leistungen des [X.] ist, was nach der Zielsetzung der Norm (Entlastung der [X.]; s dazu das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R) naheliegend ist, oder ob bei verschiedenen Leistungen auf unterschiedliche Zuständigkeiten abzustellen ist, bedarf nur dann einer Entscheidung durch das [X.], wenn die Leistungszuständigkeit für die einzelnen Leistungen tatsächlich auseinandergefallen wäre. Das [X.] wird dies zu beachten haben.

Ob § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII überhaupt anwendbar ist, kann andererseits schon deshalb nicht beurteilt werden, weil aus tatsächlichen Gründen nicht nachvollziehbar ist, ob es sich bei den Leistungen an [X.] um Betreutes-Wohnen gehandelt hat. Die reine Rechtsbehauptung des [X.] hierzu ermöglicht dem Senat nicht die erforderliche Nachprüfung. Sollte allerdings inhaltlich eine Leistung in Form des [X.] vorgelegen haben, ist die Ansicht des [X.], die Anwendung des Satzes 1 scheitere daran, dass sich [X.] die Wohnung selbst gesucht und angemietet habe, also keine institutionelle Verknüpfung mit der ambulanten Betreuung selbst vorliege, rechtlich nicht nachvollziehbar (siehe dazu näher das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R).

Bei der Anwendung von § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII ist nach einem Umzug weiterhin auf den Eintritt in die Wohnform als solche, nicht auf den Beginn der Betreuung in der neuen Wohnung, abzustellen, wenn - wie vorliegend - kein neuer Leistungsfall und keine Unterbrechung der Betreuung eingetreten ist (vgl dazu näher das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R). Da der Leistungsfall des [X.] wohl - Feststellungen des [X.] hierzu fehlen - bereits vor dem 1.1.2005 eingetreten ist, dürfte § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII allerdings wegen der Regelung des § 98 Abs 1 Satz 2 [X.]B XII keine Anwendung finden (siehe dazu näher das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R). Es dürften deshalb für die Leistungen des [X.] die Zuständigkeitsregelungen des [X.] weitergelten (näher dazu das Senatsurteil vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 7/10 R). Für die (nach Aktenlage) sonstigen erbrachten Sozialhilfeleistungen (Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen; Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) wären dann, weil die in § 98 Abs 5 Satz 1 [X.]B XII angeordnete Zuständigkeitsbündelung (s oben) nicht greift, die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen des § 98 Abs 1 [X.]B XII maßgebend.

Ggf wird das [X.] [X.] notwendig beizuladen haben (§ 75 Abs 2 [X.]G), wenn dieser einem Erstattungsanspruch des [X.]lägers ausgesetzt sein kann (vgl dazu: B[X.] [X.] 4-1300 § 111 [X.] Rd[X.]; [X.] 3-2200 § 1237a [X.] f), und über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Die [X.] beruht auf § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 2, § 39 Abs 1, § 40 Gerichtskostengesetz. Dabei ist für die im Revisionsverfahren zunächst noch rechtshängige Feststellungsklage der Regelstreitwert von 5000 Euro angesetzt worden, weil keinerlei Anhaltspunkte für den Wert dieser Feststellungsklage für die [X.] vorhanden waren, die nicht bereits von der Leistungsklage erfasst ist.

Meta

B 8 SO 8/10 R

25.08.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Stade, 21. Dezember 2009, Az: S 33 SO 18/07, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 8/10 R (REWIS RS 2011, 3738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3738

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