Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.03.2016, Az. VIII R 58/13

8. Senat | REWIS RS 2016, 14071

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Gegenstand

(Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.)


Leitsatz

Löst ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die von ihm gebildete Ansparabschreibung für die geplante Anschaffung eines Wirtschaftsguts nicht spätestens durch Ansatz einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung für den zweiten auf die Bildung folgenden Veranlagungszeitraum auf, so kann das FA den erklärungsgemäß für jenes Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid nicht nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Hinweis auf das spätere Bekanntwerden der Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts ändern. Denn die Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und daher insoweit keine rechtserhebliche Tatsache.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2013  5 K 3173/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr (2006) zwecks Korrektur der unterlassenen Auflösung einer [X.] nebst [X.] gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) geändert werden kann.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau --der Klägerin und Revisionsbeklagten ([X.] zur Einkommensteuer veranlagt wurde, ist Arzt. Seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ermittelte er durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung --EStG--).

3

In seiner Gewinnermittlung für das [X.] hatte der Kläger eine Betriebsausgabe in Höhe von 25.500 € mit dem Zusatz "Zuführung Rücklage nach § 7g (3) EStG" erfasst. Diese [X.] löste er weder im [X.] noch im Streitjahr auf, was sowohl bei der erstmaligen Steuerfestsetzung für das Streitjahr als auch in dem [X.] 2006 vom 28. Mai 2008 unbeachtet blieb. Erst im Rahmen der bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 2008 durchgeführten Verprobung der vom Kläger gebildeten und aufgelösten [X.] stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) fest, dass die im [X.] gebildete [X.] nicht aufgelöst worden war. Das [X.] erließ daraufhin am 30. März 2010 unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] einen [X.] für das [X.], in dem es die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des [X.] um 28.560 € (25.500 € Auflösung [X.] [X.] 3.060 € [X.]) erhöhte.

4

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Kläger führte zur Aufhebung des Änderungsbescheides vom 30. März 2010. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] seien nicht gegeben. Es sah den Umstand, dass der Kläger in seiner Gewinnermittlung die im [X.] gebildete [X.] nicht aufgelöst hatte, als Tatsache i.S. des § 173 [X.] an, ließ aber offen, ob diese Tatsache dem [X.] nachträglich bekannt geworden war. Den Erlass des Änderungsbescheides hielt es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für ausgeschlossen.

5

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt,
das mit der Revision angefochtene [X.] vom 16. Mai 2013  5 K 3173/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides vom 28. Mai 2008 ausgeschlossen ist. Es fehlt bereits an einer nachträglich bekannt gewordenen rechtserheblichen Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.].

1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

a) Tatsache in diesem Sinne ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 19. Februar 2013 IX R 24/12, [X.], 265, [X.], 484, m.w.N.; [X.] vom 26. Juni 2014 VI R 94/13, [X.], 182, [X.], 864). Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Steuerbescheids noch nicht kannte (z.B. [X.]-Urteil vom 13. Januar 2011 VI R 61/09, [X.], 5, [X.], 479). Die Tatsache muss für die auf § 173 [X.] gestützte Korrektur erheblich sein.

b) Die "[X.]" jener Wirtschaftsgüter, für die der Kläger die [X.] im Jahr 2004 gebildet hatte, ist in Bezug auf § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG keine rechtserhebliche Tatsache in diesem Sinne.

aa) Eine gemäß § 7g Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG gebildete [X.] ist in Höhe von 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG). Ist die Rücklage am Ende des zweiten auf die Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gewinnerhöhend aufzulösen (§ 7g Abs. 4 Satz 2 EStG) und der Gewinn für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten [X.] zu erhöhen (§ 7g Abs. 5 EStG).

bb) Danach sieht der Tatbestand des § 7g Abs. 4 EStG die Auflösung einer [X.] vor, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen (Satz 1), was eine planmäßig erfolgte Investition voraussetzt. Daneben schreibt die Regelung (Satz 2) die zwangsweise Auflösung der [X.] nach Ablauf der Investitionsfrist vor. Dabei knüpft das Gesetz ausdrücklich und ausschließlich an das Fortbestehen der Rücklage am Ende der Investitionsfrist an und stellt nicht auf die --negative Tatsache der-- "[X.]" des Wirtschaftsgutes oder andere tatsächliche Umstände ab. Dementsprechend ist die [X.], sofern sie am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden ist, unabhängig davon gewinnerhöhend aufzulösen, ob die begünstigten Anlagegüter später angeschafft oder hergestellt worden sind, die Investition geringer ausgefallen ist als geplant oder gar völlig ausbleibt (z.B. Senatsbeschluss vom 31. März 2008 VIII B 212/07, [X.], 1322).

Zwingt das Gesetz jedoch mit Fristablauf unabhängig von der "[X.]" des Wirtschaftsgutes zur Auflösung der [X.], ist die "[X.]" des Wirtschaftsgutes --entgegen der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. [X.] Münster, Urteil vom 18. Januar 2012  11 K 2552/10 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2012, 1271; [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Januar 2008  4 K 123/06, E[X.] 2008, 662; [X.] München, Urteil vom 21. Mai 2014  8 K 3645/12, juris; [X.] Nürnberg, Urteil vom 30. Juli 2015  4 K 638/14, E[X.] 2015, 1897; [X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Mai 2015  10 K 10167/11, E[X.] 2015, 1451, beim [X.] anhängig unter [X.]; jeweils unter Verweis auf [X.]-Urteil vom 10. April 1997 IV R 47/96, [X.]/NV 1997, 757, zu §§ 6b, 6c [X.] kein tatsächlicher Vorgang, der die Auflösung einer [X.] nach sich zieht und damit den Ansatz einer Betriebseinnahme gebietet. Die "[X.]" ist daher kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG und somit keine rechtserhebliche Tatsache.

Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu der von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zur Begründung ihrer Auffassung herangezogenen Entscheidung des [X.] (in [X.]/NV 1997, 757), die den Fall einer unterlassenen Auflösung eines Gewinnabzuges gemäß § 6c EStG betraf. Dessen Auflösung war jedoch --anders als im Fall des § 7g Abs. 4 EStG-- nicht zwangsläufig mit Ablauf der Investitionsfrist im Streitjahr vorzunehmen, sondern davon abhängig, dass der Steuerpflichtige bei Fristablauf weder Reinvestitionen vorgenommen noch mit der Errichtung eines Gebäudes auf einem seiner Grundstücke begonnen hatte. Die Pflicht zur Auflösung des Gewinnabzuges hing demzufolge nicht allein vom Fristablauf ab.

cc) Die in § 7g Abs. 5 EStG vorgesehene Regelung zum sog. [X.], die zwischen dem Fall der Auflösung der [X.] nach planmäßiger Investition einerseits und der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des [X.] noch vorhandenen Rücklage andererseits differenziert, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch sie knüpft weder ausdrücklich an die "[X.]" von Wirtschaftsgütern an, noch stellt sie auf andere tatsächliche Umstände ab. Vielmehr ordnet die Norm für den Fall der zwangsweisen Auflösung einer am Ende des [X.] noch vorhandenen [X.] i.S. des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG den automatischen Ansatz eines [X.]es an. Aus der Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Auflösung der [X.] folgt zugleich die Rechtmäßigkeit des [X.]es.

c) Der Umstand, dass der Kläger die Rücklage nicht durch Berücksichtigung einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung aufgelöst hat, ist ebenfalls keine nachträglich bekanntgewordene rechtserhebliche Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Ob der Steuerpflichtige die Betriebseinnahme in seiner Einnahmenüberschussrechnung erfasst oder nicht, ist für die Entstehung des Gewinns ohne Bedeutung. Denn die Rücklage ist --wie ausgeführt-- kraft gesetzlicher Anordnung in § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG im [X.] nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen. Die diesbezüglich fehlerhafte Gewinnermittlung des Klägers für das zweite Jahr nach ihrer Bildung kann danach keine für die Besteuerung erhebliche Tatsache sein.

d) Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen einer anderen Norm erfüllt sind, auf die der angefochtene Änderungsbescheid gestützt werden könnte. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger arglistig i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] gehandelt hat (vgl. zu den Voraussetzungen der arglistigen Täuschung etwa [X.]-Urteil vom 8. Juli 2015 VI R 51/14, [X.]E 250, 322).

2. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII R 58/13

22.03.2016

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 16. Mai 2013, Az: 5 K 3173/10, Urteil

§ 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 7g Abs 4 S 2 EStG 2002, § 4 Abs 3 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.03.2016, Az. VIII R 58/13 (REWIS RS 2016, 14071)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14071

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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