Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.07.2015, Az. 2 StR 63/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 8801

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 63/15
vom
1. Juli 2015
in der Strafsache
gegen

wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 1. Juli 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],

[X.] am [X.]
Prof. [X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Zeng,
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
[X.] beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 11. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Ver-gewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; sie wirkt auch zu Gunsten des Angeklagten und bedingt insoweit auch die Aufhebung des Straf-ausspruchs.
I.
Der Angeklagte führte mit der Nebenklägerin etwa eineinhalb Jahre lang eine Beziehung;
im März 2014
trennte sie sich
von ihm. Er wollte die Trennung nicht akzeptieren und stellte ihr immer wieder nach. Am Morgen des 23.
Mai 1
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-
2014 beschloss er, sich der Nebenklägerin
zu bemächtigen und sie in seine Wohnung zu bringen. Er trank Bier und Wein,
schnupfte Kokain und wartete ab 5.00 Uhr morgens vor der
Wohnung
der Geschädigten. Dabei führte er eine geladene Schreckschuss-
und Gaspistole und ein Küchenmesser mit sich, um seine ehemalige Freundin in seinem Sinne gefügig zu machen.
Gegen 6.00 Uhr morgens begab die
Geschädigte
sich zu ihrem Auto. Der Angeklagte trat an das Fahrzeug heran, richtete die Pistole auf die Neben-klägerin und sagte: "Ich mein´s diesmal ernst, steig ein". Aus Angst vor dem Angeklagten stieg die
Nebenklägerin
in ihr
Fahrzeug und fuhr mit ihm zu seiner Wohnung. Gemeinsam gingen sie hinein, der Angeklagte verschloss die Tür und nahm den Schlüssel an sich, nachdem die Nebenklägerin versucht hatte, diese zu öffnen, um zu fliehen. Er schubste sie von der Tür weg, packte sie umgehend am Hals und drückte sie zu Boden. Dabei hielt er ihr mit einer Hand schmerzhaft den Mund zu, mit der anderen Hand, in der er nach wie vor die Pistole hielt,
drückte er
mittig in [X.] für wenige Sekunden den Hals zu. Er ängstigte dadurch die Nebenklägerin, ohne sie allerdings in [X.] zu bringen. Ihre Versuche, sich zu wehren, verliefen erfolglos. Der Ange-klagte schlug die Nebenklägerin ins Gesicht
und
zog sie
ins Wohnzimmer. Ihre Gegenwehr unterband er auch dort, indem er sie wiederholt schubste bzw. an ihr zog.
Schließlich entkleidete er sich und äußerte, dass er nunmehr Sex wolle und sie vergewaltigen werde. Die Nebenklägerin erklärte, dies nicht zu wollen. Er zog ihre Hand zu seinem Penis und wiederholte seine Forderung. Er be-gann, an ihrer Kleidung zu zerren, um sie auszuziehen. Der Versuch der Zeu-gin, ihn wegzuschieben, und ihr Flehen, von ihr abzulassen, blieben ohne [X.]. Aus Angst vor dem Angeklagten, dem sie in der verschlossenen Wohnung ausgeliefert war und der während des Gesamtgeschehens die Pistole in Griff-
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und Sichtweite behielt, fügte sich die Nebenklägerin schließlich, da sie für sich keine Möglichkeit sah, sich gegen den körperlich überlegenen Angeklagten zu wehren. Sie entkleidete sich, setzte sich kniend auf den am Boden in [X.] befindlichen Angeklagten und vollzog den ungeschützten Vaginalverkehr bis zum Samenerguss. Danach gestattete er ihr, sich wieder anzukleiden. Er war bestürzt über [X.], entschuldigte sich und zeigt Reue. Die Geschädigte
ging auf seine Entschuldigung ein und versuchte, ihn weiter zu beruhigen, in-dem sie versicherte, nicht zur Polizei gehen zu wollen. Schließlich verließen beide die Wohnung, wobei der Angeklagte das Messer, das die Nebenklägerin bis dahin nicht als Drohmittel bemerkt hatte, und die Pistole mit sich nahm. Sie fuhren gemeinsam zu einer Tankstelle, wo sie sich trennten.
Der Angeklagte hat die Tat im Wesentlichen eingeräumt und dabei auch den Einsatz der Gas-
und Schreckschusspistole als Drohmittel bestätigt. In Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin hat er angegeben, beim Geschlechtsverkehr keine Gewalt angewendet zu haben.
Das [X.] ist von einer Strafbarkeit gemäß §
177 Abs.
1
Nr.
1, 2, 3, Abs.
2 Satz
2 Nr.
1, Abs.
4 Nr.
1 StGB in Tateinheit mit §
223 Abs.
1 StGB ausgegangen und hat einen minder schweren Fall nach §
177 Abs.
5 StGB an-genommen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Das [X.] hat den Unrechtsgehalt der Tat nicht vollständig [X.] und damit seiner Kognitionspflicht (§
264 StPO) nicht genügt.

a) Der Angeklagte bemächtigte sich der Nebenklägerin, als er ihr vor ih-rer Wohnung die Pistole vorhielt und sie
dadurch dazu brachte,
mit ihm in seine 5
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6
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Wohnung zu fahren. Dort kam es zum nicht einverständlichen
Geschlechtsver-kehr, nachdem er der Nebenklägerin unter anderem mit der Pistole gedroht [X.]. Bei diesem Geschehensablauf hätte sich das [X.] damit auseinan-dersetzen müssen, ob der Angeklagte auch einer Geiselnahme nach §
239b Abs.
1 2. Halbsatz StGB schuldig ist, indem er die durch die Entführung ge-schaffene Lage der Nebenklägerin durch eine Drohung mit dem Tod zum Er-zwingen
des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt hat (zur Tathandlung insoweit
vgl. [X.], StGB, 62.
Aufl., §
239b, Rn.
5).
b) Der Angeklagte führte während der Autofahrt vor der eigentlichen Tat und auch danach eine geladene Schreckschuss-
und Gaspistole mit sich, mit der er die Nebenklägerin auch in der Wohnung bedrohte. Mit
der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffe außerhalb seiner Wohnung hätte der An-geklagte sich des unerlaubten Führens einer Schreckschuss-
bzw. Reizstoff-waffe nach §
52 Abs.
3 Nr.
2a [X.]. §
2 Abs.
2 [X.]. Anlage
2 Unterabschnitt 1
Satz
1 [X.] strafbar gemacht, wenn er dafür keine Erlaubnis besessen hat. Hiermit hätte sich das [X.] auseinander setzen und ent-sprechende weitere Feststellungen treffen müssen.
c) Diese Verletzungen der Kognitionspflicht führen zur Aufhebung der
-
gegebenenfalls tateinheitlich verwirklichten
-
besonders schweren Vergewalti-gung, auch wenn
der Schuldspruch insoweit an sich rechtlich nicht zu [X.] ist.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der allerdings auch für sich gesehen nicht unbedenklich ist. So ist den Urteilsgründen trotz eines Hinweises darauf, dass schon bloßes Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs mit erhöhter Strafe von mindestens drei Jahren geahndet
wird, nicht zu entnehmen, ob das 10
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[X.] die Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze des §
177 Abs.
2 StGB beachtet hat.
Im Hinblick auf eine mögliche Prüfung des an sich nicht fernliegenden minder schweren Falls nach §
177 Abs.
5 Satz
2 StGB durch den neuen Tatrichter weist der Senat vorsorglich auf sein Urteil vom 25. November 2011 -
2 [X.]/11 hin.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft wirkt hinsichtlich des Straf-ausspruchs auch zu Gunsten des Angeklagten (§
301 StPO). Das [X.] hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten [X.], dass bei der Tatausführung mehrere Tatbestände des §
177 Abs.
1 StGB verwirklicht worden seien, indem der Angeklagte mehrere Nötigungsmittel zu Lasten der Nebenklägerin eingesetzt habe. Dies begegnet rechtlichen Be-denken. Dass der Angeklagte mehrere "Tatbestände" des §
177 Abs.
1 StGB verwirklicht
hat, wird von den Feststellungen nicht getragen. Er hat eingeräumt, zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs mit der Pistole gedroht zu haben;
ob er darüber hinaus auch mit finaler Gewalt gegen die Nebenklägerin vorgegan-gen ist, lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen und hängt davon ab, ob "Schubsen" bzw. "[X.]" als Gewalt zur Überwindung eines entgegenstehenden Willens angesehen werden kann. Dass der Ange-klagte zudem "unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage" gehandelt haben könnte, liegt angesichts des Einsatzes der Pistole als Nötigungsmittel fern
(vgl. [X.], 211 mit [X.] [X.]). Der neue Tatrichter wird Gelegenheit ha-ben, genauere Feststellungen zu den einzelnen Tathandlungen des §
177 Abs.
1 StGB zu treffen.
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Soweit das [X.] zudem die "Verwendung von Messer und Pisto-le" straferschwerend gewertet hat, lässt dies mit Blick auf die Pistole einen [X.] gegen § 46 Abs.
3 StGB besorgen. Im Übrigen ist gerade
nicht
festgestellt, dass der Angeklagte auch das Messer bei der Tat "verwendet" hat.
[X.] Krehl

[X.]

Zeng [X.]
14

Meta

2 StR 63/15

01.07.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.07.2015, Az. 2 StR 63/15 (REWIS RS 2015, 8801)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8801

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