Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2011, Az. II ZB 11/10

II. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4402

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 11/10

vom

26.
Juli 2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2; § 4 Abs. 2 Nr. 3 und 4
a)
Die Bindungswirkung des [X.] für das [X.] entfällt, wenn der geltend gemachte Anspruch schon nicht Gegenstand eines [X.] sein kann.
b)
Die Bindungswirkung des [X.] für das [X.] entfällt nicht, wenn der Vorlagebeschluss trotz einzelner Fehler und Auslassungen eine
geeignete Grundlage für die Durchführung des [X.] ist.
c)
Fehler und Auslassungen des [X.] bei der Bezeichnung der Beweismit-tel sowie der Darstellung des wesentlichen Inhalts der erhobenen Ansprüche und der vorgebrachten Angriffs-
und Verteidigungsmittel können während des [X.] behoben werden und berechtigen das [X.] daher nicht, den Vorlagebe-schluss aufzuheben und an das Prozessgericht zurückzugeben.

-
2
-

Der I[X.]
Zivilsenat des [X.] hat am
26.
Juli 2011
durch [X.]
[X.], die Richterin
Caliebe sowie [X.]
Drescher, [X.] und Sunder
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden der Kläger wird der Beschluss des [X.] des [X.] vom 11.
März 2010 aufgehoben.
Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 52.631,58

Gründe:
[X.] Die Rechtsbeschwerdeführer machen -
neben weiteren Klägern in ge-sonderten Verfahren
-
vor dem [X.] Schadensersatzansprüche wegen einer unzutreffenden [X.] der Beklagten zu 1 geltend. Auf den Musterfeststellungsantrag der Kläger hat das [X.] am
12.
November 2009 nach §
4 Abs.
1 Satz
1 [X.] beschlossen, eine Entscheidung des [X.]s "herbeizuführen zur beantragten Feststellung, dass die
[X.]
vom 22.3.2000 unrichtig war und hierdurch gegen die [X.] zu 1) und 3) Schadensersatzansprüche aus §
826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden".
1
-
3
-

Die Gründe des [X.] des [X.] geben von dem Klagevortrag Einzelheiten zum Einstieg der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1 in die [X.] des [X.] und zu den den Anlegern hierzu in der [X.] vom 22.
März 2000 angeblich verschwiegenen Tatsachen wieder. Der im Vorlagebeschluss angegebene Zeitpunkt der [X.] sowie das in Bezug genommene Klagevorbringen, wann und zu [X.] Aktien der Beklagten zu 1 nach der [X.] erworben worden seien, betreffen dagegen offenkundig nicht die hiesigen Kläger, sondern die Klage eines Klägers aus einem Parallelverfahren vor dem [X.].
Mit Beschluss vom 11.
März 2010 hat das [X.] ([X.],
[X.], 51) den Vorlagebeschluss in entsprechender Anwendung der für willkürlich ergangene Verweisungsbeschlüsse zu §
281 ZPO entwickel-ten Grundsätze aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das [X.] zurückgegeben. Dagegen richtet sich die -
vom [X.] zugelassene
-
Rechtsbeschwerde der Kläger.
I[X.] Das [X.] hat ausgeführt: Der Vorlagebeschluss leide an erheblichen Mängeln und sei daher keine taugliche Grundlage für das [X.]. Die Bindungswirkung gemäß §
4 Abs.
1 Satz
2 [X.] bestehe nicht uneingeschränkt und entfalle, wenn der Vorlagebeschluss -
wie hier
-
an schweren verfahrensrechtlichen Mängeln leide. Insoweit seien die von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Einschränkung der Bindung an einen Verweisungsbeschluss nach §
281 ZPO entsprechend heranzuziehen. Es könne offen bleiben, ob der Beschluss bereits deshalb auf-zuheben sei, weil er unzureichende Feststellungen über das Vorliegen der Vo-raussetzungen des §
4 Abs.
1 Satz
1 [X.] (Aufführung der weiteren Mus-terfeststellungsanträge sowie deren Inhalt und Eintragung) enthalte. Denn es fehlten jedenfalls entgegen §
4 Abs.
2 Nr.
2 bis 4 [X.] ausreichende Anga-2
3
4
-
4
-

ben zum Inhalt der geltend gemachten Ansprüche der Kläger, zu den vorge-brachten Streitpunkten und deren Entscheidungserheblichkeit sowie zu An-griffs-
und Verteidigungsmitteln. Bereits der in den Gründen des [X.] vorangestellte Klägervortrag betreffe offensichtlich nicht die hiesigen Kläger (andere Daten und Zahlen und einen anderen Klagezeitpunkt). Zum Vorbringen der Beklagten und zu den von diesen benannten Beweismitteln [X.] sich nichts.
II[X.] [X.] ist statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das [X.] ist gemäß §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz
2 [X.] an den Vorlagebeschluss des [X.] München
I vom 12.
November 2009 gebunden.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das [X.] im [X.] Rechtszug sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§
574 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 ZPO). Der [X.] steht nicht entgegen, dass der Vorlagebeschluss nach §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz
1 [X.] unanfechtbar ist. Dieser Ausschluss der Anfechtbarkeit gilt nur für den Vorlagebeschluss selbst, nicht aber für eine Entscheidung des [X.], mit der der Vorlagebeschluss aufgehoben wird.
2.
Der -
nach §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz 1 [X.] unanfechtbare
-
Vor-lagebeschluss des [X.] ist nach §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz
2 [X.] für das [X.] grundsätzlich bindend. Die Bindung ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Vorinstanz weder eingeschränkt noch ausnahmsweise entfallen.
a)
Der angefochtenen Entscheidung ist allerdings darin zuzustimmen, dass bei Vorliegen bestimmter Umstände eine Bindungswirkung des [X.]es nicht besteht. Dies ist etwa der Fall, wenn der geltend gemachte 5
6
7
8
-
5
-

Anspruch schon nicht Gegenstand eines [X.] sein kann. §
4 Abs.
1 Satz
2 [X.] findet dann keine Anwendung (vgl. [X.] in [X.], [X.], §
4 Rn.
31; Parigger in [X.], [X.], §
9 Rn.
7; KK-[X.]/Vollkommer, §
4 Rn.
90; ebenso im Ergebnis KG, Muster-entscheid vom 3. März 2009 -
4 Sch 2/06, juris Rn.
248, 258; vgl. zur Unan-fechtbarkeit nach §
7 Abs.
1 Satz
4 [X.] [X.], Beschluss vom 16.
Juni 2009 -
XI
ZB 33/08, [X.], 1393 Rn. 10; Beschluss vom 8.
September 2009 -
XI
ZB 4/09, juris Rn.
5; Beschluss vom 30.
November 2010 -
XI
ZB 23/10, [X.], 147 Rn.
10 f.). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Der geltend ge-machte Anspruch kann Gegenstand eines Musterfeststellungsantrags sein, §
1 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.]. Mit der Feststellung, dass die [X.] vom 22.
März 2000 unrichtig war und hierdurch gegen die Beklagten zu 1 und 3 Schadensersatzansprüche aus §
826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden, sollen anspruchsbegründende Voraussetzun-gen zu Schadensersatzansprüchen wegen falscher Kapitalmarktinformation geklärt werden.
b) Es kann dahinstehen, ob die Bindungswirkung des §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz
2 [X.] entfiele, wenn das [X.] auf die -
nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.],
Beschluss
vom
10.
Juni
2008
-
XI
ZB
26/07, [X.]Z 177, 88 Rn.
24) unzulässige
-
Feststellung des Anspruchs selbst gerichtet wäre. Das [X.] des [X.] ist nicht auf die Feststellung eines Schadensersatzanspruches aus §
826 BGB dem Grunde nach gerichtet. Im Vordergrund steht vielmehr erkennbar die Frage nach der Unrichtigkeit der [X.] der Beklagten zu 1 vom 22.
März 2000
und damit nach dem Vorliegen einer einzelnen anspruchsbegründenden Voraussetzung. Jedenfalls darin liegt ein nach §
1 Abs.
1 Satz
1 [X.] zu-lässiges [X.].
9
-
6
-

c) Ob die Bindungswirkung in entsprechender Anwendung der zu §
281 Abs.
2 Satz
4 ZPO entwickelten Rechtsprechung in Ausnahmefällen bei Willkü-rentscheidungen entfallen kann, wie das [X.] in Übereinstim-mung mit einem Teil der Literatur (vgl.
KK-[X.]/Vollkommer, §
4 Rn.
87; [X.], Das Kapitalanleger-[X.]gesetzt [[X.]]: Anwendungs-fragen und Rechtsdogmatik, 2011, S.
281) angenommen hat, kann ebenfalls dahinstehen. Denn der Vorlagebeschluss des [X.] vom 12.
November 2009 ist nicht im Sinne dieser Rechtsprechung willkürlich; er weist vielmehr le-diglich einfache Rechtsfehler auf, die eine Durchbrechung der Bindungswirkung des §
4 Abs.
1 Satz
2 Halbsatz
2 [X.] nicht rechtfertigen (vgl.
[X.], [X.]O, S.
285
f.).
[X.]) Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses kann nach der zu §
281 ZPO ergangenen Rechtsprechung des [X.] im Einzel-fall dann entfallen, wenn er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs oder auf [X.] beruht. Willkür liegt erst dann vor, wenn dem Beschluss jede gesetzliche Grundlage fehlt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der [X.] bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden [X.] nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Es genügt aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist ([X.], Beschluss
vom 15.
März 1978
-
IV
ARZ 17/78, [X.]Z 71, 69, 72 f.; Beschluss
vom 10.
Dezember 1987
-
I
ARZ 809/87, [X.]Z 102, 338, 341; Beschluss vom 22.
Juni 1993 -
X
ARZ 340/93, NJW 1993, 2810, 2811; Beschluss
vom 10.
Juni 2003
-
X [X.], NJW 2003, 3201, 3202; Beschluss vom 13.
Dezember 2005 -
X
ARZ 223/05, [X.], 847 Rn.
12 f.; Beschluss
vom 20.
August 2007
-
X
ARZ 247/07, NJW-RR 2008, 370 Rn.
6).
bb)
Der Vorlagebeschluss des [X.] München
I vom 12.
November 2009 ist zwar unvollständig und teilweise inhaltlich falsch. Will-10
11
12
-
7
-

kürlich ist der Vorlagebeschluss aber nicht. Willkürlich ist ein Vorlagebeschlus-ses dann nicht, wenn er trotz einzelner Fehler und Auslassungen eine geeigne-te Grundlage für die Durchführung des [X.] darstellt. Der [X.] vom 12.
November 2009
ist eine geeignete Grundlage, weil er den Anforderungen des §
4 Abs.
2 [X.] im Wesentlichen entspricht. [X.] gibt der Vorlagebeschluss ein [X.] (§
4 Abs.
2 Nr.
1 [X.]) sowie Streitpunkte (§
4 Abs.
2 Nr.
2 [X.]) an. Darüber hinaus bezeichnet er Beweismittel (§
4 Abs.
2 Nr.
3 [X.]) und enthält eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts des erhobenen Anspruchs und der dazu vorgebrach-ten Angriffsmittel (§
4 Abs.
2 Nr.
4 [X.]). Es ist ohne weiteres erkennbar, dass die Unrichtigkeit der [X.] vom 22.
März 2000 sowie die [X.] bezogene Kenntnis der Beklagten zu 2 und 3 im Rahmen der Anspruchs-prüfung nach §
826 BGB festgestellt werden sollen.
d)
Das [X.] war nicht berechtigt, aufgrund der zutreffend
festgestellten Mängel den Vorlagebeschluss aufzuheben. Der Vorlagebeschluss ist mangelhaft, weil er sich entgegen §
4 Abs.
2 Nr.
3 und 4 [X.] nicht mit dem Vortrag der Beklagten und den dazu angetretenen Beweisen auseinander-setzt. Außerdem betrifft der den Gründen des [X.] vorangestell-te Klägervortrag offenkundig nicht die hiesigen Kläger und Rechtsbeschwerde-führer. Nach §
4 Abs.
2 Nr. 3 und 4 [X.] hat der Vorlagebeschluss die be-zeichneten Beweismittel und eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts der erhobenen Ansprüche und der dazu vorgebrachten Angriffs-
und Verteidi-gungsmittel zu enthalten. Diese Punkte sollen es dem [X.] er-möglichen, das Musterverfahren vorzubereiten. Der Vorlagebeschluss dient insoweit der ersten Strukturierung, Ordnung und Aufbereitung des [X.]. Die im Vorlagebeschluss enthaltenen Tatsachenmitteilungen und Beweismittel bilden aber nicht bereits den abschließenden Verfahrensstoff des [X.]. Dieser ergibt sich vielmehr aus dem Vortrag der Beteiligten des [X.]
-
8
-

verfahrens (KK-[X.]/Vollkommer, §
4 Rn.
62, Rn.
73
f.
sowie §
9 Rn.
95
f.; vgl. auch §
10 [X.]). Fehler des [X.] in diesem Bereich können daher während des [X.] behoben werden.
IV. Die Sache
ist an das [X.] zurückzuverweisen, das auf der Grundlage des [X.] das Musterverfahren durchzuführen hat.
Gemäß §
6 [X.] ist das [X.] zunächst verpflichtet, den Vorlagebeschluss nach dessen Eingang im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. Eine Verzögerung dieser Eintragung aufgrund von Mängeln des [X.] sieht §
6 [X.] nicht vor.
Das [X.] kann allerdings in dem Umfang, in dem eine [X.] an den Vorlagebeschluss nach dem oben
Gesagten nicht besteht, den Musterfeststellungsantrag im Musterentscheid gegebenenfalls (teilweise) als 14
15
16
-
9
-

unzulässig zurückweisen. Bloße etwaige sprachliche Ungenauigkeiten kann es im Musterentscheid durch Auslegung korrigieren
(vgl.
[X.], [X.]O, S.
303 f.).

[X.]
Caliebe
Drescher

[X.]

Sunder
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.11.2009 -
27 O 13854/06 -

[X.], Entscheidung vom 11.03.2010 -
KAP 2/09 -

Meta

II ZB 11/10

26.07.2011

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2011, Az. II ZB 11/10 (REWIS RS 2011, 4402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4402

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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