Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.04.2017, Az. V ZB 126/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 12740

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:060417BVZB126.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]/16

vom

6. April
2017

in der Rücküberstellungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
Dublin-III-Verordnung Art. 28 Abs. 3 Unterabsatz 3 und 4
a)
Die [X.] gemäß Art. 28 Abs. 3 Unterabsatz 3 und 4 Dublin-III-Verordnung beginnt nicht vor Vollziehung der Haft zu laufen.
b)
Steht bei [X.] fest, dass die Überstellung spätestens innerhalb von sechs Wochen erfolgen kann, scheitert ihre praktische Durchführbarkeit aber aus Gründen, die die zu überstellende Person zu vertreten hat, wird eine [X.] [X.] in Lauf gesetzt.
[X.], Beschluss vom 6. April 2017 -
V [X.]/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 6. April
2017 durch die
Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch
und
Dr.
[X.], den Richter Dr.
Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] -
5.
Zivilkammer
-
vom 16.
August 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:
I.
Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger. Seinen Antrag auf [X.] als Asylberechtigter lehnte das [X.] und Flücht-linge mit Bescheid vom 30.
September 2015 wegen eines bereits in [X.] gestellten Asylantrags als unzulässig ab. Zugleich ordnete es die Abschiebung des Betroffenen nach [X.] an. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete
das Amtsgericht am 17.
Juni 2016 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach [X.] längstens bis zum 15.
Juli 2016 an.
Nachdem eine für den 14.
Juli 2016 angeordnete Rückführung des Be-troffenen nach [X.] gescheitert war, hat das Amtsgericht auf weiteren [X.] der beteiligten Behörde durch Beschluss vom 15.
Juli 2016 die Siche-rungshaft bis zum
9.
September 2016 verlängert. Durch Beschluss vom 1
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-
3
-

1.
August 2016 hat es den Haftzeitraum verkürzt auf den 18. August 2016.
Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 15.
Juli 2016 hat das [X.] zu-rückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er nach der am 18.
August 2016 erfolgten Rücküberstellung nach Bulga-rien die Feststellung beantragt, dass ihn die Haftverlängerung in seinen Rech-ten verletzt hat.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Verlänge-rung der [X.] lägen vor. Der Betroffene sei vollziehbar [X.], da das von ihm angestrebte Asylverfahren mit unanfechtbarem Be-scheid vom 30.
September 2015 abgelehnt worden sei. Es liege ein Haftgrund im Sinne der Dublin-III-Verordnung vor,
und die [X.] des Art.
28 Abs.
3 Dublin-III-Verordnung sei gewahrt. Der Betroffene habe die Abschiebung vom 14.
Juli 2016 durch sein Verhalten vereitelt, so dass ein neuer Sachverhalt vorliege, auf dessen Grundlage die Verlängerung der Abschiebungshaft ange-ordnet worden sei und die [X.] erneut zu laufen begonnen habe.
Er habe gegenüber dem Flugkapitän ausdrücklich erklärt, nicht freiwillig nach [X.] fliegen zu wollen. Deshalb habe der Flugkapitän die Mitnahme des Betroffenen verweigert.
III.
Die gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach §
62 FamFG statthafte und auch im Übrigen

71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des [X.] hält einer rechtlichen Überprüfung stand.

3
4
-
4
-

1. Die Annahme des [X.], die durch die Haftverlänge-rung vom 15.
Juli 2016 in Verbindung mit dem Änderungsbeschluss vom [X.] 2016 bis einschließlich zum 18.
August 2016 angeordnete Haft wahre
die Frist gemäß Art.
28 Abs.
3 Unterabsatz
3 der Dublin-III-Verordnung, weist im Ergebnis keinen Rechtsfehler auf.
a) Befindet sich eine Person -
so wie der Betroffene -
nach Art.
28 der Dublin-III-Verordnung in Haft, erfolgt gemäß Art.
28 Abs.
3 Unterabsatz
3 der Verordnung die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zu-ständigen Mitgliedstaat, sobald diese
praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Art.
27 Abs.
3 Dublin-III-Verordnung keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Findet eine Überstellung innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 nicht statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten (Art.
28 Abs.
3
Unterabsatz
4 der Dublin-III-Verordnung).
b) Das Beschwerdegericht hat keine Feststellungen zu dem Zeitpunkt der ausdrücklichen oder stillschweigenden Annahme des Aufnahmegesuchs durch den Aufnahmestaat [X.] getroffen. Dies begründet entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde aber keinen Verfahrensfehler, weil es auf diesen Zeitpunkt nicht ankommt. Die [X.] beginnt nicht vor Voll-ziehung der Haft zu laufen.
aa) Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-Verordnung verkürzt die sonst üblichen Fris-ten
im Dublin-III-Verfahren. Während das [X.] im [X.] binnen drei Monaten -
bei einem Eurodac-Treffer binnen zwei
Monaten -
gestellt werden muss (Art. 23
Abs. 2 Dublin-III-Verordnung), reduziert sich die 5
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-
5
-

Frist im Falle der Haft auf einen Monat. Die Antwort des ersuchten Mitgliedstaa-tes muss bei einem Wiederaufnahmeverfahren im Regelfall binnen eines
Mo-nats -
bei einem [X.] binnen zwei Wochen -
eingegangen sein (Art.
25
Abs. 1 Dublin-III-Verordnung). Im Falle der Haft reduziert
sich die Frist generell auf zwei
Wochen. Die Überstellungsfrist verringert sich von der allge-meinen Sechsmonatsfrist (Art. 29 Abs. 2
Dublin-III-Verordnung) auf sechs [X.]. Diese Fristverkürzungen verfolgen den Zweck, die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Betroffenen möglichst gering zu halten. Gemäß Art.
28 Abs.
3 Unterabsatz
1 der Dublin-III-Verordnung hat die Haft so kurz wie möglich und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise not-wendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß der Verordnung durchge-führt wird.
bb) Liegt im Zeitpunkt des [X.]s die Annahme des Aufnahme-
bzw. [X.] durch den ersuchten Mitgliedstaat bereits vor, führt dies nicht zu einer (weiteren) Verkürzung der in Art.
28 Abs.
3 Unterabsatz
3 und 4 Dublin-III-Verordnung bestimmten [X.] oder sogar zu einer Unzulässigkeit der Haft, wenn die Annahme des [X.] bereits länger als sechs Wochen zurückliegt. Eine Inhaftnahme setzt das [X.] eines Haftgrundes in Gestalt einer erheblichen Fluchtgefahr voraus (Art.
28 Abs.
2 Dublin-III-Verordnung). Fehlt es im Zeitpunkt der Annahme des [X.] an den Voraussetzungen
der Fluchtgefahr, wäre es sinnwidrig, die (nur) für den Fall der Inhaftierung vorgesehene Sechswochen-frist bereits in Lauf zu setzen. Die Verkürzung der sonst geltenden Überstel-lungsfrist kommt nur dann zum Tragen, wenn sich der Betroffene bereits in Haft befindet.

9
-
6
-

c) Da der Betroffene am 17.
Juni 2016 in Haft genommen wurde und frü-hestens zu diesem Zeitpunkt die Frist von sechs Wochen zu laufen begann, wurde sie
durch die erste,
auf den 15. Juli 2016 befristete [X.] ge-wahrt. Entsprechendes gilt für den
Haftverlängerungsbeschluss vom 15.
Juli
2016, durch den
die Haft bis zum 18. August 2016
und damit nicht län-ger als sechs Wochen
angeordnet worden ist.
Dass die Haft insgesamt länger als sechs Wochen dauerte, macht sie nicht rechtswidrig, weil der Betroffene die Zurückführung nach [X.] innerhalb des zunächst angeordneten Zeitraums
durch sein eigenes Verhalten am 14. Juli 2016 praktisch undurchführbar [X.] und damit eine neue
Frist von sechs Wochen in Lauf gesetzt hat.

aa) Art.
28 Abs.
3 Unterabsatz
3 der Dublin-III-Verordnung setzt bei der Begrenzung der Haft auf sechs Wochen voraus, dass innerhalb dieses Zeit-raums
eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat praktisch durchführ-bar ist. Andernfalls darf die Haft schon gar nicht angeordnet
werden, da sie ausschließlich der Sicherstellung des Überstellungsverfahrens im Falle einer erheblichen Fluchtgefahr dient (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung). Praktisch durchführbar ist die Überstellung, wenn die Behörde alle hierfür erforderlichen Voraussetzungen schaffen kann, insbesondere zu erwarten ist, dass die benö-tigten Papiere besorgt und die Rückflüge in den zuständigen Mitgliedstaat [X.] werden können.
bb) Steht bei [X.] fest, dass die Überstellung spätestens innerhalb von sechs Wochen erfolgen kann, scheitert ihre praktische Durchführbarkeit aber aus Gründen, die die zu überstellende Person zu vertreten hat, wird eine erneute [X.] in Lauf gesetzt. Andernfalls hätte der Betroffene es in der Hand, die Rückführung zu vereiteln, obwohl die für die Inhaftierung erforder-liche Fluchtgefahr weiter besteht und die Haft gerade verhindern soll, dass sich der Betroffene dem Überstellungsverfahren entzieht (Art. 28 Abs. 2, Art. 2 10
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-
7
-

Buchst. n Dublin-III-Verordnung). Durch die Begrenzung der zulässigen Haft-dauer soll erreicht werden, dass die zuständige
Behörde
den Betroffenen
nach der Inhaftierung so schnell wie möglich in den für die Entscheidung über den Schutzantrag zuständigen Mitgliedstaat zurückführt. Hat die Behörde
insoweit alles Erforderliche veranlasst, ist die Rückführung aber aus von dem [X.] zu vertretenden Gründen nicht möglich, ist er nicht schutzbedürftig, son-dern muss es hinnehmen, dass sich die Haftdauer verlängert.
[X.]) So liegt der Fall hier.
Dass der Betroffene nicht innerhalb sechs [X.] nach seiner Inhaftierung am 17. Juni 2016 nach [X.] zurückgeführt werden konnte, lag nach den rechtlich
nicht zu beanstandenden Feststellungen des [X.] ausschließlich an seinem Verhalten gegenüber dem Flugkapitän während des [X.] am 14. Juli 2016. Dies be-gründete
nicht nur einen Haftgrund gemäß Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchst.
n
Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 und Abs. 15 Satz 1 [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 -
V [X.], juris Rn. 5, Beschluss vom 20. Oktober 2016 -
V [X.] Rn. 5), sondern setzte
zugleich eine erneu-te Überstellungsfrist von sechs Wochen in Gang. Diese ist gewahrt worden.
d) Der Senat ist nicht verpflichtet, die Sache dem Gerichtshof der Euro-päischen [X.] nach Art. 267 AEUV vorzulegen, da die zitierten Vorschriften der Verordnung klar und eindeutig sind. Bei solchen Vorschriften besteht eine unionsrechtliche Pflicht zur Vorlage nicht ([X.], Urteil vom 6. Oktober 1982

Rs. 283/81 -
C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn. 16).
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach §
74 Abs.
7 [X.].
Stresemann Schmidt-Räntsch [X.]

Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.07.2016 -
4 XIV (B) 19/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 16.08.2016 -
I-5 T 16/16 -

15

Meta

V ZB 126/16

06.04.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.04.2017, Az. V ZB 126/16 (REWIS RS 2017, 12740)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12740

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZB 126/16

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