Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2013, Az. V ZB 135/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 7367

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB 135/12

vom

14. März 2013
in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am
14. März 2013
durch die Vor-sitzende
Richterin
Dr.
[X.], die Richter
Dr. [X.] und [X.], die Richterin
Weinland sowie [X.] Kazele

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des [X.] vom 27.
Mai 2012 und des [X.]

6.
Zivilkammer

vom 21.
Juni 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen trägt der [X.].

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:
I.
Der
Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am 26.
Mai 2012 unter Verwendung eines auf eine andere Person ausgestellten Ausweises mit dem Flugzeug von [X.] nach [X.] ein. Er besaß weder einen gültigen Reisepass noch einen Aufenthaltstitel.
Er gab zunächst an, ma-rokkanischer Staatsangehöriger zu sein.

1
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3

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Mit Beschluss vom 27.
Mai 2012 hat das Amtsgericht auf Antrag der be-teiligten Behörde mit sofortiger Wirkung [X.] zum Zwecke der Ab-schiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Hiergegen hat der Be-troffene Beschwerde eingelegt.
Im
Beschwerdeverfahren
hat er eingeräumt,
algerischer
Staatsangehöriger zu sein. Mit Schreiben vom 21.
Juni 2012 hat die beteiligte Behörde einen Bescheid vorgelegt, der eine Abschiebungsandrohung enthält.

Mit Beschluss vom selben Tag hat das [X.] die Beschwerde zu-rückgewiesen.
Am 16.
Juli 2012 ist der Betroffene nach [X.] abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde
möchte er
die Feststellung erreichen, dass ihn die Beschlüsse des Amts-
und des [X.]s
in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung des Amtsgerichts mit der Erwägung
gebilligt, die Voraussetzungen einer Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung

des Betroffenen hätten vorgelegen. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen habe die Kammer abgesehen, weil davon keine wei-tere Aufklärung zu erwarten gewesen sei. Im Übrigen habe der Betroffene Ge-legenheit gehabt, sich über seinen Verfahrensbevollmächtigten zu äußern.

III.

Die nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG

ohne Zulassung und auch nach Erledigung

statthafte ([X.], Beschluss vom 25.
Februar 2010 2
3
4
5
-

4

-

V
ZB
172/09, NVwZ
2010, 726) und auch im Übrigen
nach §
71 FamFG zu-lässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidungen der Vorinstanzen haben den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach §
417 Abs.
1 FamFG un-verzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlte.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. In dem Haftantrag müssen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG unter anderem die zweifelsfreie Ausreisepflicht des Betroffenen, die Abschiebungsvorausset-zungen, die Erforderlichkeit der Haft, die Durchführbarkeit der Abschiebung und die notwendige Haftdauer dargelegt werden. Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber

auf den konkreten Fall zugeschnitten

die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen ([X.], Beschluss vom 15. September 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 317
Rn. 9; Beschluss vom 27. Oktober 2011 -
V [X.], [X.] 2012, 82
Rn. 13).

a) Bei einer beabsichtigten Abschiebung sind die [X.] darzulegen (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG), wozu nach §
59 [X.] die Abschiebungsandrohung gehört. Fehlt es an einer für die Voll-streckung erforderlichen Voraussetzung, darf auch eine [X.] Gesetzes (§
58 Abs.
2 Satz
1 [X.]) vollziehbare Ausreisepflicht nicht ohne weiteres mit einer Abschiebung durchgesetzt werden. Das hat der [X.] bereits für §
59 [X.] aF entschieden ([X.], Beschluss vom 30.
Juli 2012

V
ZB
245/11, juris Rn.
9).
Für die am 26.
November 2011 in [X.] getretene Neufassung der Vorschrift gilt nichts anderes. Zu der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber mit Blick auf die Richtlinie 2008/115/[X.] (im Folgenden: [X.]) veranlasst gesehen, die in Art.

diese in Fällen, in denen die Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt 6
7
-

5

-
statuiert worden ist, durch die Androhung der Abschiebung begründet werden soll, geht aus den Gesetzesmaterialien klar hervor (BT-Drucks.
17/5470, S.
24; vgl. auch [X.], Ausländerrecht, Stand: August 2012, §
59 [X.] Rn.
2a).
Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung enthält der Haftantrag nicht; es werden auch keine Ausnahmetatbestände nach §
59 Abs.
1 Satz 3 [X.] dargelegt.

b) Demgegenüber misst das Beschwerdegericht die von dem [X.] angeordnete Abschiebungshaft rechtsfehlerhaft an den für die Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung geltenden Maßstäben, die eine [X.] nicht voraussetzen.
Dabei handelt es sich nicht um ein offensichtli-ches Versehen, weil in der Beschwerdeentscheidung durchgängig von Zurück-schiebung und folgerichtig nur von §
57 [X.], nicht aber von §
58
[X.] die Rede ist.

aa) Diese Beurteilung ist schon deshalb zu beanstanden, weil die [X.] -
so sie die Abschiebungshaft beantragt
-
selbst dann an die damit [X.] strengeren Verfahrenserfordernisse gebunden
ist, wenn -
anders als hier (dazu näher unten bb)
-
eine Zurückschiebung möglich gewesen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 30.
Juli 2012

V
ZB
245/11, juris Rn.
9; [X.], Ausländerrecht, Stand: August 2012, §
57 [X.] Rn.
4). Vorliegend hat die beteiligte Behörde sowohl in dem Haftantrag als auch im weiteren Verlauf des Verfahrens durchgehend den Begriff Abschiebung, nie aber den der Zurück-schiebung verwandt. Der von ihr später vorgelegte Bescheid des [X.] vom 18.
Juni 2012 enthält denn auch ausdrücklich eine Abschiebungsandrohung unter Hinweis auf §
59 [X.]. Dementspre-chend geht auch der die Haft anordnende Beschluss des Amtsgerichts vom 27.
Mai 2012 von einer Abschiebung aus und verweist folgerichtig auf §
58 8
9
-

6

-
Abs.
1 [X.], nicht aber auf die für die Zurückschiebung einschlägige Norm des §
57 [X.].

bb) Davon abgesehen hat das Beschwerdegericht offenbar übersehen, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Umsetzung der aufenthaltsrechtli-chen
Richtlinien der [X.] und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex
vom 22.
November 2011 (BGBl.
I S.
2258), das am 26.
November 2011 in [X.] getreten ist, den [X.] erheblich eingeschränkt
und auf die nach der [X.] zulässigen Ausnahmen begrenzt hat (vgl. BT-Drucks.
17/5470, S.
17, 23).
Eine Zurückschiebung kommt nunmehr nur noch bei der Einreise über eine EU-Außengrenze

57 Abs.
1 [X.]) und in den in §
57 Abs.
2 [X.] auf-geführten Fällen in Betracht. Rückführungen, die nicht unter diese engen Vor-aussetzungen
fallen, sind nunmehr
als Abschiebung zu qualifizieren
und dies

anders als nach früherem Recht

auch dann, wenn der Betroffene beim Überschreiten einer EU-Binnengrenze
aufgegriffen wird (Basse/Burbaum/
[X.], ZAR
2011, 361, 365; im Ergebnis auch
Franßen-de la Cerda, ZAR
2009, 17, 20).
Danach lagen die Voraussetzungen für eine Zurückschie-bung nicht vor. Insbesondere wurde der Betroffene nicht in Verbindung mit der Einreise über eine EU-Außengrenze aufgegriffen. Er reiste
vielmehr mit dem Flugzeug von
[X.] kommend
ein, also über eine Binnengrenze

57 Abs.
1 [X.] i.V.m. Art.
2 Nr.
1 Buchst.
b, 2, 3 der Verordnung [[X.]]
Nr.
562/2006).

2. Die nicht ausreichende Begründung des Haftantrags
ist nicht

was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre

im Beschwerdeverfahren ge-heilt worden (zu dieser Möglichkeit vgl. nur [X.], Beschluss vom [X.] 2011 -
V [X.],
[X.]
2011, 317, 318 Rn.
15 mwN). Zwar hat die beteiligte Behörde dem Beschwerdegericht am Tag der Entscheidung über
die 10
11
-

7

-
Beschwerde noch den die Abschiebungsandrohung enthaltenden Ablehnungs-bescheid des [X.] vorgelegt. Hierzu ist der Betroffene aber nicht mehr angehört worden. Eine solche Anhörung wäre aber

was die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt

angesichts neuer Tatsachen erforderlich gewesen (vgl. Beschluss vom 30.
August 2012

V
ZB
275/11, juris Rn.
7 mwN). Das gilt im Übrigen auch im Hinblick darauf, dass sich während des Beschwerdeverfahrens das Zielland der Abschiebung ([X.] statt Ma-rokko) geändert hat (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2012

[X.], juris Rn. 7).

IV.
Die Kostenentscheidung folgt unter Berücksichtigung der Wertung von Art. 5 [X.] aus
§ 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, §
430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 [X.]. [X.] beruht auf §
128c Abs.
2 [X.], §
30 Abs.
2 [X.].

[X.]

[X.]

Roth

Weinland

Kazele

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.05.2012 -
XIV 10/12 -

LG [X.], Entscheidung vom 21.06.2012 -
62 T 1476/12 -

12

Meta

V ZB 135/12

14.03.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2013, Az. V ZB 135/12 (REWIS RS 2013, 7367)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7367

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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