Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2014, Az. V ZR 36/13

V. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8396

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V ZR 36/13
Verkündet am:

24. Januar 2014

Weschenfelder

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die [X.], Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.] und die Richterin Dr.
[X.]
für Recht erkannt:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Oberlandesge-richts [X.] -
32. Zivilsenat -
vom 20. Dezember 2012 aufge-hoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Beklagte kaufte von den Klägern zu 1 bis 4 mehrere Grundstücke und schloss mit ihnen einen Erstvermietungsgarantievertrag. Die Klägerin zu 5, die Komplementärin der Klägerin zu 1, gab ihr eine Mietausfallgarantie. Die [X.] schlossen mehrere Ergänzungs-
und Änderungsverträge hierzu. Die Klä-ger sehen die Ansprüche aus den Erstverträgen damit als erledigt an. Die [X.] nahm den gegenteiligen Standpunkt ein und machte, anwaltlich beraten, außergerichtlich Zahlungsansprüche gegenüber den Klägern zu 1 bis 4 in Höhe geltend. Die Kläger zu 1 bis 4 einerseits und die Klägerin zu 5 andererseits be-1
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auftragten Rechtsanwälte mit der Abwehr der Ansprüche und verlangen Erstat-tung der hierdurch entstandenen Kosten unter dem Gesichtspunkt der Gel-tendmachung unberechtigter Ansprüche.
Das [X.] hat der im [X.] erhobenen Klage unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren stattgegeben. Im Berufungsverfahren haben die Kläger das [X.]
vom [X.] erklärt. Das [X.] hat die Klage auf die Berufung der Beklagten als im Urkundenpro-zess unstatthaft abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision möchten die Kläger die Durchführung der Berufung im ordentlichen Verfahren erreichen. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, ein [X.] vom [X.] sei im [X.] nur unter den Voraussetzungen einer Klageänderung zu-lässig, die hier aber nicht vorlägen. Die Beklagte habe nicht zugestimmt. [X.] sei das [X.] vom [X.] nicht. Das ergebe sich zwar nicht schon daraus, dass eine Beweisaufnahme erforderlich werden könne. Hier sei der Anspruch aber nach Grund und Höhe bestritten. Dazu würden den [X.] bei einem [X.] vom [X.] weitere Beweismöglichkeiten eröffnet. Im Ergebnis gehe der Beklagten eine Instanz verloren. Schließlich sei nicht auszuschließen, dass sich angesichts der Komplexität der Vorgänge eine aufwendige Beweisaufnahme als erforderlich erweisen könne.

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II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat das von den Klägern im Berufungsverfahren erklärte [X.] vom [X.] zu Unrecht als unzulässig angesehen.
1. Es geht allerdings im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass ein [X.] vom [X.] grundsätzlich auch noch in der Berufungs-instanz möglich ist.
a) Nach § 596 ZPO kann ein Kläger, ohne dass es der Einwilligung des Beklagten bedarf, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung von dem Ur-kundenprozess in der Weise abstehen, dass der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren anhängig bleibt. Eine solche Erklärung führt dazu, dass der geltend gemachte Anspruch rechtshängig bleibt und der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren ohne die Beschränkungen der §§ 592, 595 ZPO fortgeführt wird ([X.], Urteil vom 13. April 2011 -
XII [X.], [X.]Z 189, 182 Rn. 17).
b) Das [X.] vom [X.] ist, obwohl weder in §
596 ZPO noch in
einer anderen Vorschrift ausdrücklich bestimmt, auch im [X.] noch möglich, und zwar unter den entsprechend anwendbaren Vo-raussetzungen einer Klageänderung (§
533 ZPO). Erforderlich ist deshalb ent-weder die Einwilligung des Beklagten oder, dass das Berufungsgericht das [X.] für sachdienlich hält (Senat, Urteil vom 25. Februar 1959 -
V [X.], [X.]Z 29, 337, 339 f.; [X.], Urteile vom 6. Juni 1977 -
III ZR 116/75, [X.]Z 69, 66, 69 und vom 19. Oktober 1999 -
XI ZR 308/98, [X.], 143 unter [X.]). Daran hat sich durch das Inkrafttreten des [X.] am 1. Januar 2002 nichts geändert ([X.], Urteile vom 13.
April 2011
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XII [X.], [X.]Z 189, 182 Rn. 24 und vom 4. Juli 2012 -
VIII ZR 109/11, [X.], 2662 Rn. 14).
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2. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil das [X.] von dem [X.] nicht sachdien-lich sei, ist jedoch von [X.] beeinflusst.
a) Zwar kann das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsge-richts über die Sachdienlichkeit des [X.]s vom [X.] nur [X.] überprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff der Sachdienlichkeit ver-kannt oder die Grenzen seines Ermessens überschritten hat ([X.], Urteil vom 13. April 2011 -
XII [X.], [X.]Z 189, 182 Rn. 40). In diesem Rahmen ist das Berufungsurteil aber zu beanstanden.
b) Nach der Rechtsprechung des [X.] erfordert die Beur-teilung der Sachdienlichkeit eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei ist entscheidend, ob und inwieweit die Zu-lassung der geänderten, hier der im ordentlichen Verfahren fortzusetzenden, Klage den Streit im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt, so dass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt. Eine Klageänderung und ein Abste-hen vom [X.] sind danach einerseits nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden kann. Der Sachdienlichkeit steht andererseits grundsätzlich nicht entgegen, dass auf-grund der Klageänderung oder des [X.]s vom [X.] neue Parteierklärungen und gegebenenfalls Beweiserhebungen notwendig werden und die Erledigung des Prozesses verzögert wird ([X.], Urteile vom 13.
April
2011 -
XII [X.], aaO Rn. 41 und vom 4. Juli 2012
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VIII ZR 109/11, [X.], 2662 Rn. 20).
c) Diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht gerecht geworden.
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aa) [X.] eines [X.]s vom [X.] im Be-rufungsverfahren kann nicht mit der Begründung verneint werden, den Parteien gehe eine Instanz verloren. Entschieden ist das für die in zweiter Instanz vorge-nommene Klageänderung ([X.], Urteil vom 10. Januar 1985 -
III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; Senat, Urteil vom 27. Januar 2012 -
V [X.], juris Rn. 18). Für das [X.] vom [X.] im Berufungsverfahren gilt nichts anderes. Wäre es richtig, dass ein [X.] vom [X.] nicht sachdienlich
ist, weil es den Parteien eine Tatsacheninstanz im ordentlichen Verfahren nimmt, wäre es im Ergebnis stets von vornherein unzulässig. Das aber steht im Widerspruch zu der für die Klageänderung in § 533 ZPO getroffe-nen Wertung des Gesetzgebers und zu der daran ausgerichteten Rechtspre-chung des [X.], der die Voraussetzungen für die Klageände-rung im Berufungsverfahren auf das [X.] vom [X.] im zwei-ten Rechtszug überträgt.
bb) Ebenfalls nicht tragfähig ist die weitere Begründung
des Berufungs-gerichts, wegen der Komplexität der Vorgänge könne sich eine aufwendige Be-weisaufnahme als erforderlich erweisen. Sie ist der Regelung in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 ZPO zu den Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sa-che an die erste Instanz entlehnt, wird dort aber im Regelfall gerade nicht als Grund für eine Zurückverweisung anerkannt. Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Notwendigkeit einer umfangreichen oder aufwendigen Beweisauf-nahme nur dann ein Grund für die Zurückverweisung,
wenn sie auf einem we-sentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens beruht und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Wenn ein solcher Ausnahmefall -
wie hier -
nicht vorliegt, hat das Berufungsgericht auch eine umfangreiche und aufwendige Be-weisaufnahme selbst durchzuführen. Aus der Notwendigkeit einer solchen Be-weisaufnahme lässt sich deshalb kein Argument gegen die Sachdienlichkeit des [X.]s vom [X.] ableiten.
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cc) Dessen Sachdienlichkeit lässt sich schließlich auch nicht mit der Komplexität der Vorgänge und damit begründen, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach Grund und Höhe streitig ist. Auf solche Ge-sichtspunkte kommt es nach der zitierten Rechtsprechung des [X.] nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Zulassung auch nichturkundli-cher Beweismittel dazu führt, dass dem Berufungsgericht ein völlig neuer Pro-zessstoff vorgelegt wird, für dessen Bewältigung die Ergebnisse der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden können. Das ist hier nicht der Fall. Das Urteil des [X.]s stützt sich auf die Auslegung der urkundlich nachgewie-senen Verträge der Parteien einerseits und deren ebenso nachgewiesenen Kor-respondenz andererseits. Der Streit der Parteien beruht im [X.] auf einem un-terschiedlichen Verständnis dieser Unterlagen. Ihre Bewertung durch das [X.] kann im Berufungsverfahren vollständig verwertet werden. Dass die Parteien nach dem [X.] vom [X.] weitere Beweismittel oder, wie die Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Ver-handlung vor dem Senat geltend gemacht hat, Gegenansprüche einführen kön-nen, ändert an dem Nutzen der bisherigen Prozessführung für das Berufungs-verfahren nichts. Denn die von dem [X.] verwerteten Verträge der [X.] bilden die Grundlage der wechselseitigen Ansprüche.
3. a) Der Senat kann die Frage der Sachdienlichkeit des [X.]s vom [X.] selbst entscheiden, da die hierbei zu berücksichtigenden Ge-sichtspunkte feststehen und zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind. Er bejaht die Sachdienlichkeit. Das [X.] vom [X.] erlaubt es, die bisher nur urkundsbeweislich verwerteten Verträge der Parteien umfassend zu würdigen und damit den Streit der Parteien im laufenden Rechtsstreit zu ei-nem endgültigen Abschluss zu bringen.

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b) Ob für ein [X.] vom [X.] im Berufungsverfahren zusätzlich die Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO erfüllt sein müssen, hat der [X.] bislang dahinstehen lassen können, weil diese Voraus-setzungen jeweils vorlagen ([X.], Urteil vom 13. April 2011 -
XII [X.], [X.]Z 189, 182 Rn. 34 und vom 4. Juli 2012 -
VIII ZR 109/11, [X.], 2662). Die Frage muss auch hier nicht entschieden werden.
Zu den nach § 533 Nr. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigenden Tatsachen gehören auch solche, die in dem Urteil des erstinstanzlichen [X.] trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt sind, auf die es aber aus der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auf Grund einer Klageände-rung oder -
wie hier -
eines [X.]s vom [X.] für die Entschei-dung ankommt ([X.], Urteile vom 13. April 2011 -
XII [X.], aaO Rn. 34-37 und vom 4.
Juli 2012 -
VIII ZR 109/11, aaO Rn. 16). Um die Berücksichti-gung solcher Tatsachen geht es hier. Die Parteien haben im ersten Rechtszug umfassend auch zu den nichturkundlichen Voraussetzungen für und Einwände gegen den geltend gemachten Anspruch vorgetragen.

III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da das Berufungsgericht die im ordentlichen Verfahren erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Diese werden im neuen Berufungsverfahren nachzuholen sein. Dabei wird es zunächst darauf ankommen, ob die Beklagte ihre Pflichten durch die [X.] Geltendmachung eines unbegründeten Anspruchs
(dazu Senat, Urteil

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vom 16. Januar 2009 -
V [X.], [X.]Z 179, 238 und Beschluss vom 17.
Oktober 2013 -
V [X.], juris Rn. 10) oder in anderer Weise verletzt hat.
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch

Roth
[X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 17.02.2012 -
8 O 15057/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 20.12.2012 -
32 [X.] -

Meta

V ZR 36/13

24.01.2014

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2014, Az. V ZR 36/13 (REWIS RS 2014, 8396)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8396

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZR 110/09

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V ZR 92/11

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