Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.03.2022, Az. 4 C 6/20

4. Senat | REWIS RS 2022, 3674

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gebietsverträglichkeit eines Feuerwehrgerätehauses; Anlagen für Verwaltungen


Leitsatz

1. Ein Feuerwehrgerätehaus ist eine Anlage für Verwaltungen im Sinne von § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO.

2. Ein Feuerwehrgerätehaus, das nach Größe und Ausstattung maßgeblich auch dem effektiven Brandschutz in der näheren Umgebung dient, ist im allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich.

3. Ein Grundstücksnachbar hat keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO.

Tenor

Die Revision des [X.] zu 3 gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2019 ergangene Urteil des [X.] für das [X.] wird zurückgewiesen.

Der Kläger zu 3 trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Der Kläger zu 3 wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines [X.] in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet.

2

Das [X.] (Gemarkung C., Flur ..., Flurstück ...) liegt im unbeplanten Innenbereich. Der Kläger zu 3 ist dinglich Berechtigter an dem Nachbargrundstück, das mit einem gewerblich und zu Wohnzwecken genutzten Gebäudekomplex bebaut ist.

3

Der Beklagte erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 7. Mai 2015 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Satellitenstandorts der Freiwilligen Feuerwehr. Dieser soll der Unterbringung von zwei Einsatzfahrzeugen dienen und über einen Sozialtrakt mit Aufenthalts-, Sozial- und Technikräumen verfügen. An dem für den Kläger zu 3 maßgeblichen Immissionsort darf im Normalbetrieb tags ein Beurteilungspegel von 55 dB(A) nicht überschritten werden. Für den Einsatz- bzw. Notfallbetrieb ist die Einhaltung eines Beurteilungspegels von tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) vorgesehen. Außerdem sind kurzzeitige Geräuschspitzen von tags 100 dB(A) und nachts 80 dB(A) zulässig.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben. Das Vorhaben verstoße gegen das in § 15 [X.] zum Ausdruck kommende Gebot der Rücksichtnahme, da die Immissionsrichtwerte der [X.] zur Nachtzeit für ein allgemeines Wohngebiet überschritten würden. Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Ein Feuerwehrgerätehaus sei als Anlage für Verwaltungen in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig und dort auch gebietsverträglich. Das Fehlen einer Ermessensentscheidung über die Zulassung einer Ausnahme verletze den Kläger zu 3 nicht in eigenen Rechten, weil ein Nachbar insoweit keinen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens habe. Die Genehmigung des [X.] verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Geräuschimmissionen erwiesen sich nach einer ergänzenden Prüfung im Sonderfall gemäß Nr. 3.2.2 der [X.] als zumutbar.

5

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, ein Feuerwehrgerätehaus sei im faktischen allgemeinen Wohngebiet nicht gebietsverträglich, da das Ein- und Ausrücken der Einsatzfahrzeuge sowie die An- und Abreise der Einsatzkräfte mit dem Pkw Immissionen auslösten, die zu gebietsunüblichen Störungen führten und Unruhe in das Gebiet brächten. Jedenfalls habe er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 34 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB, um eine sonst drohende schleichende Gebietsveränderung abzuwehren.

6

Beklagter und Beigeladene verteidigen das Urteil des [X.].

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht ist ohne Verstoß gegen [X.] Recht davon ausgegangen, dass die der [X.]eigeladenen erteilte [X.]augenehmigung den Kläger zu 3 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insbesondere ist der [X.] des [X.] zu 3 gewahrt.

8

Die Festsetzung von [X.]augebieten durch einen [X.]ebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen [X.]augebiet. Dieser bauplanungsrechtliche [X.] beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen [X.]. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen [X.]eschränkungen unterworfen ist, kann er deren [X.]eachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Durch Festsetzungen eines [X.]ebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die [X.]eschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen [X.]eschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen [X.] soll daher jeder Planbetroffene im [X.]augebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des [X.]augebiets unabhängig von einer konkreten [X.]eeinträchtigung verhindern können (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 16. September 1993 - 4 [X.] 28.91 - [X.]E 94, 151 <155 ff.>, vom 23. August 1996 - 4 [X.] 13.94 - [X.]E 101, 364 <374 f.> und vom 6. Juni 2019 - 4 [X.] 10.18 - [X.] 406.11 § 34 [X.] Nr. 224 Rn. 10 m. w. N.). In einem faktischen [X.]augebiet nach § 34 Abs. 2 [X.] besteht ein identischer [X.] ([X.], Urteil vom 16. September 1993 - 4 [X.] 28.91 - [X.]E 94, 151 <156>).

9

1. Das zur Genehmigung gestellte Feuerwehrgerätehaus gehört zu den Anlagen für Verwaltungen und ist deshalb in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 3 [X.] seiner Art nach ausnahmsweise zulässig.

"Anlagen für Verwaltungen" ist ein städtebaurechtlicher Sammelbegriff, der Anlagen und Einrichtungen umfasst, in denen oder von denen aus verwaltet wird, sofern das Verwalten einem erkennbaren selbständigen Zweck dient (vgl. Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand August 2021, § 4 [X.] Rn. 128 ff.; [X.]/[X.], in: [X.]Fieseler, [X.], 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 11 ff.). § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.], die zwischen Geschäfts-, [X.]üro- und Verwaltungsgebäuden unterscheiden, machen deutlich, dass Verwaltung i. S. d. § 4 Abs. 3 Nr. 3 [X.] nicht auf die Erledigung von Verwaltungsaufgaben in [X.] beschränkt ist (Stock a. a. [X.] Rn. 130). Die ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen für Verwaltungen nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 [X.] setzt ausweislich des Wortlauts nicht voraus, dass die jeweilige Anlage der [X.] dient. Ein Feuerwehrgerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr ist daher eine Anlage für Verwaltungen in diesem Sinne, nämlich für die Verwaltung des landesrechtlich geregelten [X.]randschutzes (ebenso [X.], Urteil vom 16. Januar 2014 - 9 [X.] - NVwZ-RR 2014, 508 <509>; [X.], [X.]eschluss vom 23. Juni 2020 - 2 M 32/20 - NVwZ-RR 2020, 914 <918>; Stock a. a. [X.] Rn. 131; Vietmeier, in: [X.], [X.], 2. Aufl. 2018, § 4 Rn. 86; [X.]/[X.], in: [X.]Fieseler, [X.], 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 12).

2. Das Feuerwehrgerätehaus ist im allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich.

Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der [X.] der [X.]. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten [X.]augebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die [X.]odennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen [X.]augebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den [X.]harakter des Gebiets eingrenzend bestimmt. Das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit bestimmt dabei nicht nur die regelhafte Zulässigkeit, sondern erst recht den vom Verordnungsgeber vorgesehenen [X.]. Zwischen der jeweiligen spezifischen Zweckbestimmung des [X.]augebietstypus und dem jeweils zugeordneten Ausnahmekatalog besteht ein gewollter funktionaler Zusammenhang. Die normierte allgemeine Zweckbestimmung ist daher auch für Auslegung und Anwendung der tatbestandlich normierten Ausnahmen bestimmend (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 21. März 2002 - 4 [X.] 1.02 - [X.]E 116, 155 <157 f.>, vom 18. November 2010 - 4 [X.] 10.09 - [X.]E 138, 166 Rn. 18, vom 2. Februar 2012 - 4 [X.] 14.10 - [X.]E 142, 1 Rn. 15 und vom 20. März 2019 - 4 [X.] 5.18 - [X.] 406.12 § 4 [X.] Nr. 21 Rn. 19).

Das allgemeine Wohngebiet dient gemäß § 4 Abs. 1 [X.] vorwiegend dem Wohnen. Es soll nach Möglichkeit ein grundsätzlich ungestörtes Wohnen gewährleisten. Die Gebietsunverträglichkeit beurteilt sich für § 4 [X.] daher in erster Linie nach dem Kriterium der gebietsunüblichen Störung ([X.], Urteil vom 21. März 2002 - 4 [X.] 1.02 - [X.]E 116, 155 <159>). Ein Vorhaben ist gebietsunverträglich, wenn es aufgrund seiner "typischen Nutzungsweise" störend wirkt. Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden [X.]etrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Entscheidend ist nicht, ob die mit der Nutzung verbundenen immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. Die geschützte [X.] ist nicht gleichbedeutend mit einer immissionsschutzrechtlichen Lärmsituation. [X.]ei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den [X.] als solchen stören ([X.], [X.]eschluss vom 28. Februar 2008 - 4 [X.] - [X.] 406.12 § 4 [X.] Nr. 19 Rn. 11).

Von dem Feuerwehrgerätehaus geht trotz der Unruhe, die von den gelegentlichen Einsätzen vor allem zur Nachtzeit ausgelöst wird, keine gebietsunübliche Störung aus. Es dient der [X.]eigeladenen - worauf das angefochtene Urteil zutreffend hinweist ([X.]) - zur Erfüllung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe des [X.]randschutzes (vgl. § 2 Abs. 1 des [X.], die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz - [X.] NRW - vom 17. Dezember 2015, [X.]). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] NRW unterhalten die Gemeinden für den [X.]randschutz und die Hilfeleistung den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehren als gemeindliche Einrichtungen. Diese Aufgabenzuweisung setzt die Errichtung von [X.] im Gemeindegebiet gerade in der Nähe der zu schützenden Wohnbebauung voraus. Einer besonders engen Anbindung an das Wohnumfeld bedarf es wegen des Zusammenhangs zwischen Anfahrt- und Ausrückzeiten, wenn die Feuerwehr mit Freiwilligen besetzt wird (vgl. § 7 Abs. 2 [X.] NRW).

Zugleich dient das Feuerwehrgerätehaus einem städtebaulichen [X.]elang, nämlich der Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 [X.]. Die - ausnahmsweise - Zulässigkeit von Feuerwehrgerätehäusern in einem allgemeinen Wohngebiet ist damit das Ergebnis einer überlegten Städtebaupolitik. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, von diesem Ergebnis über das Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit abzuweichen (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 2019 - 4 [X.] 5.18 - [X.] 406.12 § 4 [X.] Nr. 21 Rn. 19). Ein Feuerwehrgerätehaus, das nach Größe und Ausstattung maßgeblich auch dem effektiven [X.]randschutz in der näheren Umgebung dient, ist im allgemeinen Wohngebiet daher gebietsverträglich (ebenso [X.], Urteil vom 16. Januar 2014 - 9 [X.] - NVwZ-RR 2014, 508 <509>; [X.], [X.]eschluss vom 23. Juni 2020 - 2 M 32/20 - NVwZ-RR 2020, 914 <918>; Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand August 2021, § 4 [X.] Rn. 132; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.] [X.]eckOK [X.], Stand April 2022, § 4 Rn. 130).

3. Die Zulassung des Vorhabens wahrt das von § 31 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 4 Abs. 3 [X.] vorausgesetzte [X.].

Dass die in einem [X.]augebiet der [X.] nur ausnahmsweise zulässigen Arten Ausnahmen bleiben müssen, legt der Verordnungsgeber durch die in §§ 2 ff. [X.] beziehungsweise - über § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] - der [X.]ebauungsplan fest. Gleiches gilt nach § 34 Abs. 2 [X.] in einem faktischen [X.]augebiet. Das Vorliegen einer Ausnahme ist daher tatbestandliche Voraussetzung der Ermessensentscheidung durch die Genehmigungsbehörde (ebenso Söfker, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand August 2021, § 31 Rn. 25; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl. 2018, § 31 Rn. 9; [X.], in: [X.], [X.], Stand Oktober 2021, § 31 Rn. 20). Ein Vorhaben, dessen Zulassung das [X.] beseitigt, darf die [X.]ehörde auch im [X.] nicht zulassen. Ein Nachbar kann [X.] die Wahrung dieses [X.] verlangen. Denn er hat einen Anspruch darauf, dass die regelhaft zulässigen Nutzungsarten ihr prägende Wirkung behalten und keine Gemengelage oder ein anderes [X.]augebiet entsteht (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 1993 - 4 [X.] 28.91 - [X.]E 94, 151 <161>; Söfker a. a. [X.]).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] (dort [X.] f.), auf die sich das angefochtene Urteil stützt, wird die nähere Umgebung des [X.] durch Mehrfamilienhäuser mit Wohnnutzung geprägt. Auch die daneben vorhandenen Nutzungen stellen sich überwiegend als in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 [X.] regelhaft zulässige Nutzungsarten dar. Anhaltspunkte dafür, dass die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens das nach § 34 Abs. 2 [X.] maßgebliche [X.] des § 4 [X.] stören könnte, bestehen daher nicht.

4. Der [X.]eklagte hat bei der Zulassung des Feuerwehrgerätehauses nach § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 [X.], § 4 Abs. 3 Nr. 3 [X.] kein Ermessen ausgeübt und damit ermessensfehlerhaft gehandelt ([X.]). Dies verletzt kein subjektives Recht des [X.] zu 3. Denn ein Grundstücksnachbar hat keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme. Dies sieht das Oberverwaltungsgericht richtig.

§ 31 Abs. 1 [X.] ist nicht aus sich heraus drittschützend ([X.], Urteil vom 10. Dezember 1982 - 4 [X.] 49.79 - [X.] 406.11 § 31 [X.][X.]auG Nr. 21 S. 5). Der Drittschutz reicht im Falle einer Ausnahme daher nicht weiter, als die Festsetzung, von der die Ausnahme gemacht wird, ihn vermittelt. Wie dargelegt, vermitteln [X.] nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.] i. V. m. §§ 2 ff. [X.] Planbetroffenen im [X.]augebiet einen Rechtsanspruch auf [X.]ewahrung der Gebietsart. Über § 34 Abs. 2 [X.] gilt in faktischen [X.]augebieten ein identischer Schutz. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung der Ausnahme folgt hieraus nicht. Denn bei Vorliegen der tatbestandlichen Ausnahmevoraussetzungen der § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 [X.], § 4 Abs. 3 Nr. 3 [X.] ist bereits sichergestellt, dass das zugelassene Vorhaben den Gebietscharakter unangetastet lässt. Zudem beruht der [X.] auf dem Gedanken eines wechselseitigen [X.]: Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen [X.]eschränkungen unterworfen ist, kann er deren [X.]eachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen, und zwar unabhängig von einer konkreten [X.]eeinträchtigung. An dieser gebietsweiten Wechselseitigkeit fehlt es aber bei der Ermessensentscheidung über die Ausnahme. Die Grundentscheidung für die regelhafte und ausnahmsweise Zulässigkeit ist bereits getroffen und darf durch die [X.]ehörde nicht aus Erwägungen, die für das gesamte Gebiet Geltung beanspruchen, im [X.] geändert werden ([X.], [X.]eschluss vom 1. Juni 2007 - 4 [X.] 13.07 - [X.]RS 71 Nr. 156 S. 728). [X.]ei der Ermessensentscheidung der [X.]ehörde spielen daher regelmäßig Fragen des konkreten Grundstücks und seiner Situation eine Rolle, so dass es an einem wechselseitigen Austauschverhältnis unter den Grundeigentümern fehlt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu § 31 Abs. 2 [X.]. Danach muss bei einer [X.]efreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des [X.]ebauungsplans jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 [X.] zur Aufhebung der [X.]augenehmigung führen ([X.], Urteil vom 9. August 2018 - 4 [X.] 7.17 - [X.]E 162, 363 Rn. 12 sowie [X.]eschlüsse vom 8. Juli 1998 - 4 [X.] 64.98 - [X.] 406.19 [X.] Nr. 153 S. 70 und vom 27. August 2013 - 4 [X.] 39.13 - Zf[X.]R 2013, 783 Rn. 3). Die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 [X.] und die Erteilung einer [X.]efreiung nach § 31 Abs. 2 [X.] sind insofern aber nicht vergleichbar. Die Ausnahme ist planimmanent, es besteht eine das Ermessen begrenzende Grundentscheidung für die ausnahmsweise Zulässigkeit ([X.], [X.]eschluss vom 1. Juni 2007 - 4 [X.] 13.07 - [X.]RS 71 Nr. 156 S. 728). [X.]ei der [X.]efreiung wird hingegen an die Stelle der festgesetzten eine konkrete andere bebauungsrechtliche Ordnung gesetzt und damit im Rahmen der Ermessensentscheidung ein anderer Interessensausgleich vorgenommen ([X.], Urteil vom 19. September 1986 - 4 [X.] 8.84 - [X.] 406.19 [X.] Nr. 71 S. 57). Sofern aus dem Urteil vom 23. August 1996 - 4 [X.] 13.94 - [X.]E 101, 364 <366> Anderes folgen sollte, hält der Senat hieran nicht fest.

Weitere Verstöße gegen [X.] Recht sind weder gerügt noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Meta

4 C 6/20

29.03.2022

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. September 2019, Az: 10 A 1114/17, Urteil

§ 4 Abs 3 Nr 3 BauNVO, § 15 BauNVO, § 31 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 2 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.03.2022, Az. 4 C 6/20 (REWIS RS 2022, 3674)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3674

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

AN 9 K 15.00892 (VG Ansbach)

Nachbarklage gegen Erweiterung eines Feuerwehrgerätehauses


2 A 3091/15 SN (Verwaltungsgericht Schwerin)


9 CS 15.2118 (VGH München)

Verbot der Geflügelhaltung im allgemeinen Wohngebiet


M 8 K 15.4999 (VG München)

Nachbarklage gegen Vorbescheid für den Neubau eines Gebäudes mit einer Kindertagesstätte


4 B 46/19, 4 B 46/19 (4 C 6/20) (Bundesverwaltungsgericht)

Nachbarschutz gegen ein Feuerwehrgerätehaus


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.