Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2006, Az. IX ZB 24/06

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 1770

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[X.][X.] vom 21. September 2006 in dem Insolvenzeröffnungsverfahren Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja [X.] § 4a Abs. 1; ZPO § 114 Die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens kann dem Schuldner nicht unter Rückgriff auf die von der Rechtsprechung zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze zur herbeigeführten Vermögenslosigkeit versagt werden. Der Schuldner ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Rücklagen für die zu erwartenden Kosten eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu bilden. [X.], [X.]uss vom 21. September 2006 - [X.] - [X.] AG [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.] am 21. September 2006 beschlossen: Dem Schuldner wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung und [X.] des [X.]s [X.] vom 26. September 2005 gewährt. Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der vorbezeichnete [X.]uss, soweit das [X.] die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den [X.]uss des Amtsgerichts [X.] vom 10. August 2005 zurückgewiesen hat, und auch dieser [X.]uss aufgehoben. Dem Schuldner werden die Kosten des [X.] und des Insolvenzverfahrens sowie des Verfahrens zur [X.] gestundet. Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 2.800 • festgesetzt. - 3 - Gründe: [X.] Nach zwei vorangegangenen Eröffnungsanträgen von [X.] stellte auch der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des (Re- gel-)Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie einen Antrag auf Gewäh-rung der Restschuldbefreiung. Ferner begehrt er die Stundung der Verfahrens-kosten. 1 Von August 2003 bis Dezember 2004 betrieb der Schuldner ein Unter-nehmen zur Brandsanierung und einen Handel mit Textilien und Haushaltswa-ren. Zeitweilig beschäftigte er zehn Arbeitnehmer. Im November 2004 fanden mehrere erfolglose Zwangsvollstreckungsversuche in sein Vermögen statt. Zu dieser Zeit schuldete er Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 13.900 •. Am 17. Dezember 2004 meldete der Schuldner sein Gewerbe ab und veräußerte vier Kraftfahrzeuge zum Gesamtpreis von 5.100 •. In der Folgezeit verbrauchte er diesen Erlös. Seit Februar 2005 erhält der Schuldner für sich und seinen minderjährigen Sohn Arbeitslosengeld I[X.] 2 Das Amtsgericht hat den Stundungsantrag abgelehnt. Die sofortige Be-schwerde des Schuldners hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen [X.] sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde. 3 - 4 - I[X.] Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 7, 6 Abs. 1, § 4d Abs. 1 [X.]) Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. 4 1. Das Beschwerdegericht hat - auch unter Bezugnahme auf die Ausfüh-rungen des Insolvenzgerichts - gemeint, der Schuldner hätte für den absehba-ren Fall einer Insolvenzantragstellung nach Möglichkeit Rücklagen bilden müs-sen. Dieser Obliegenheit sei der Schuldner grob fahrlässig nicht nachgekom-men, indem er den Erlös aus dem Verkauf der vier Personenkraftwagen [X.] habe. 5 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 6 a) Mit [X.]üssen vom 16. Dezember 2004 ([X.] ZB 72/03, Z[X.] 2005, 207, 208) und vom 27. Januar 2005 ([X.] ZB 270/03, [X.], 527, 528) hat der [X.] entschieden, dass die Stundung nach § 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 [X.] nicht nur bei Vorliegen eines der in § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 [X.] genannten Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung, sondern auch in anderen Fäl-len des § 290 Abs. 1 [X.] ausgeschlossen ist, sofern sie bereits in diesem [X.] zweifelsfrei gegeben sind. Der Gesetzgeber wollte, wie der [X.] zur Begründung ausgeführt hat, die Entscheidung über die Stundung an leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen knüpfen. Die "Verfahrenskostenhilfe" dient auch der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung. An leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen kann bei den [X.] nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 [X.] angeknüpft werden. Die anderen in § 290 Abs. 1 [X.] genannten Versa-gungsgründe sind zwar nach der amtlichen Begründung keine tauglichen [X.] - 5 - knüpfungspunkte (BT-Drucks. 14/5680 S. 12, 20). Sie werden daher grundsätz-lich erst bei der Entscheidung über die Aufhebung der Stundung berücksichtigt (§ 4c Nr. 5 [X.]). Daraus folgt aber nicht, dass die anderen Versagungsgründe bei der Entscheidung über die Stundung stets unberücksichtigt bleiben müssen. Vielmehr ist die Stundung der Verfahrenskosten grundsätzlich zu versagen, wenn die Voraussetzungen eines solchen weiteren [X.] bereits in diesem Verfahrensstadium zweifelsfrei feststehen. b) Das gilt auch für den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 4 [X.]. Zwar wird insoweit in der Literatur die Auffassung vertreten, dass dieser [X.] für das summarische [X.] ungeeignet sei. Das fol-ge aus der Notwendigkeit schwieriger Abwägungen und der Unvereinbarkeit mit dem [X.]eunigungsgebot (Kohte in Kohte/[X.]/[X.], Verfahrenskosten-stundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren 3. Aufl. § 4a Rn. 14 bis 17a; [X.]/[X.], [X.]. § 4a Rn. 22). Dies steht jedoch der vom [X.] bejahten Anwendbarkeit grundsätzlich aller [X.] des § 290 Abs. 1 [X.] nicht entgegen, wenn die entsprechenden Vor-aussetzungen bereits im [X.] zweifelsfrei feststehen. So hat der [X.] auch keine Bedenken getragen, den von den genannten Autoren [X.] ausgeklammerten Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] in diesem Zusammenhang anzuwenden ([X.], [X.]. v. 16. Dezember 2004 aaO; v. 27. Januar 2005 - [X.] ZA 20/04). 8 Die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 4 [X.] sind hier indes nicht zweifelsfrei gegeben. In Betracht kommt allein der Fall der Verschwendung schuldnereigenen Vermögens. Die Verschwendung von Vermögen ist zu beja-hen, wenn Werte außerhalb einer sinnvollen und nachvollziehbaren Verhal-tensweise verzehrt werden (vgl. [X.]/[X.], [X.] 12. Aufl. § 290 9 - 6 - Rn. 54; MünchKomm-[X.]/[X.], § 290 Rn. 60; [X.]/Prütting/[X.], [X.] § 290 Rn. 18). Etwa getätigte Ausgaben müssen im Verhältnis zum Ge-samtvermögen und dem Einkommen des Schuldners als grob unangemessen und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar erscheinen (HK-[X.]/[X.], 4. Aufl. § 290 Rn. 12; [X.], aaO; vgl. auch [X.], [X.]. v. 9. Dezember 2004 - [X.] ZB 132/04, [X.] 2005, 643, 644). Dies kann hier nicht festgestellt wer-den. Das Beschwerdegericht hat die Darstellung des Schuldners nicht wider-legt, er habe sich im Dezember 2004 im Zusammenhang mit der Aufgabe [X.] Gewerbes in einer finanziellen Ausnahmesituation befunden und in dem Verkauf der Fahrzeuge die einzige Möglichkeit gesehen, seine Familie zu er-nähren. Im Beschwerdeverfahren hat der Schuldner hierzu näher ausgeführt, er habe den Erlös für seine existenziellen Bedürfnisse verwendet, nämlich um [X.] zu ernähren, zu kleiden und den Wohnraum zu sichern. Dies sind keine Verhaltensweisen, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr nachvollziehbar sind und grob unangemessen erscheinen. c) Allerdings hat der [X.] ([X.], [X.]. v. 16. Dezember 2004 aaO) anerkannt, dass § 4a Abs. 1 Satz 4 [X.] auch sonst keine abschließende Re-gelung trifft. Eine Stundung braucht dann nicht gewährt zu werden, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen Gründen, die nicht unter § 290 [X.] fallen, offensichtlich nicht erreicht werden kann ([X.]/Prütting/[X.], aaO § 4a Rn. 38 a), etwa weil der Schuldnerantrag unzulässig ist ([X.], 618) oder die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gemäß § 302 [X.] von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind ([X.] Z[X.] 2003, 478; [X.] [X.] 2002, 275 f; AG München [X.] 2003, 369, 370). Vergleichbar liegt der Fall hier indes nicht. Aus den Feststellungen des [X.]s geht nicht hervor, dass der Schuldner das Ziel der [X.] nicht oder doch im Wesentlichen nicht erreichen kann. 10 - 7 - d) Mit den vorstehenden Erweiterungen des § 4a Abs. 1 [X.] sind die der Auslegung durch den Wortlaut, den Sinn und Zweck der Vorschrift sowie den Willen des Gesetzgebers gesetzten Grenzen erreicht (Kohte in Kohte/ [X.]/[X.], aaO § 4a Rn. 17 a; vgl. allgemein [X.] NJW 1987, 1619, 1620; 2005, 409). Ein Rückgriff auf die von der Rechtsprechung zur [X.] entwickelten allgemeinen Grundsätze zur herbeigeführten Vermö-genslosigkeit ist nicht zulässig. Zwar besteht in der Rechtsprechung der Ober-landesgerichte und in der zivilprozessualen Literatur im Grundsatz Einigkeit, dass einer Partei, die sich trotz eines absehbaren Prozesses ihres vorhandenen Vermögens entäußert, unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe verweigert werden kann (vgl. [X.], [X.]. v. 22. Juni 2005 - [X.], [X.], 2781 [Scheinehe]; Musielak/[X.], ZPO 4. Aufl. § 115 Rn. 55; [X.]/[X.], ZPO 25. Aufl. § 115 Rn. 72 f; [X.], ZPO 22. Aufl. § 114 Rn. 20, § 115 Rn. 92; [X.]/[X.], § 114 Rn. 96, § 115 Rn. 65; [X.]/[X.]/[X.], ZPO 27. Aufl. § 115 Rn. 17, [X.]eils m.w.N. aus der [X.].). Dies ist aber auf die Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4a [X.] nicht übertragbar. Denn die Verfahrenskostenhilfe nach der Insolvenzordnung ist ein von den Vorschriften der Prozesskostenhilfe abweichendes, eigenständi-ges Rechtsinstitut (BT-Drucks. 14/5680 S. 1,11 f). Auch soll nach den [X.] die (vorläufige) Gewährung der "[X.]" zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung beitragen (BT-Drucks. 14/5680 S. 12). Komplizierte Prüfungen, die schon im Ansatz mit [X.] tatsächlicher Art behaftet und geeignet sind, das Verfahren zu verzögern, Rechtsmittel im Eröffnungsverfahren herauszufordern und damit dem Anliegen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, mittellosen Personen den Verfahrenszugang unter zumutbaren Bedingungen zu eröffnen, sollen in diesem [X.] nach Möglichkeit unterbleiben ([X.], [X.]. v. 25. September 2003 11 - 8 - - [X.] ZB 459/02, [X.], 665, 666). Aufwändige Aufklärungsversuche des In-solvenzgerichts, ob und warum sich ein Schuldner seit dem Zeitpunkt drohen-der oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit der ihm verbliebenen [X.] entäußert hat, haben regelmäßig zu unterbleiben. Gegen die von den Vorinstanzen (ebenso bereits [X.] [X.] 2004, 534 f; stark ein-schränkend [X.]/Prütting/[X.], [X.] § 4a Rn. 32; [X.]/[X.]/[X.], [X.] § 4a Rn. 34, [X.]. nur für das Verbraucherinsol-venzverfahren; a.[X.], [X.]. v. 12. Februar 2004 - 4 [X.] und 4 [X.], zit. nach juris; [X.]/[X.], [X.] 4. Aufl. § 4a Rn. 9; [X.] [X.], 2755) angenommene Obliegenheit des Schuldners, "Rücklagen für die Verfahrenskosten anzusparen", spricht jedenfalls im vorliegenden Fall auch, dass der Schuldner, der im Jahr 2002 die eidesstattliche Versicherung abgege-ben hatte, ständigen Vollstreckungsversuchen ausgesetzt war. Die Möglichkeit, Vermögen zur Finanzierung eines Insolvenzverfahrens zu bilden, scheidet in einem solchen Fall regelmäßig aus. Stellt sich später eine Vermögensver-schwendung heraus, kann die Stundung gemäß § 4c Nr. 5 [X.] wieder aufge-hoben werden. II[X.] Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO sind die angefochtenen Entscheidun-gen aufzuheben. Gemäß § 577 Abs. 5 ZPO hat der [X.] in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind. 12 - 9 - Eine teilweise Verwerfung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in [X.]. Denn der vom Schuldner gestellte [X.] richtet sich - recht verstanden - nur gegen die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde in dem angefochtenen [X.]uss, nicht aber gegen die Ablehnung seines zweit- instanzlichen Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. [X.], [X.]. v. 21. Oktober 2004 - [X.] ZB 73/03, [X.] 2005, 47 f). 13 [X.] Raebel [X.] [X.] Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom 10.08.2005 - 62 IN 64/05 - [X.], Entscheidung vom 26.09.2005 - 7 T 219/05 -

Meta

IX ZB 24/06

21.09.2006

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2006, Az. IX ZB 24/06 (REWIS RS 2006, 1770)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 1770

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