Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2023, Az. 1 StR 101/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2855

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Gegenstand

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung: Anforderungen an Feststellungen im Urteil


Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 23. November 2022 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 60 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Es hat zudem ausgesprochen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer drei Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung des formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Die auf die Sachrüge vorzunehmende umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des [X.] merkt der Senat zum Revisionsvorbringen der Angeklagten Folgendes an:

3

1. Die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung hat Bestand. Die Revision beanstandet zwar zutreffend, dass die Darstellung der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und der verkürzten Lohnsteuer für das Revisionsgericht nicht vollständig nachvollziehbar ist. Der Senat schließt jedoch aus, dass die Angeklagte hierdurch beschwert ist (§ 337 Abs. 1 StPO).

4

a) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und [X.]eils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 11; Beschlüsse vom 13. Juli 2011 – 1 [X.] Rn. 3; vom 1. September 2015 – 1 StR 12/15 Rn. 9 und vom 6. Juli 2018 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 12). Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 Abs. 2 StPO).

5

Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge – für die [X.]eiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des [X.] der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der [X.]eiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist. Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 23. März 2022 – 1 StR 511/21 Rn. 23 mwN). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten für § 266a StGB insoweit entsprechend. Es genügt nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben. Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. hierzu ausführlich [X.], Urteil vom 8. März 2023 – 1 [X.]/22 Rn. 27 [n.n.v., vorgesehen für [X.]St]; Beschlüsse vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 Rn. 6; vom 5. Juli 2018 – 1 [X.], [X.]R StGB § 266a Sozialabgaben 10 Rn. 12 und vom 6. Juli 2018 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 11 ff., [X.]. mwN).

6

Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen, vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13; Beschluss vom 5. Juli 2018 – 1 [X.] Rn. 13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 20; Beschluss vom 6. Juli 2018 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 13, [X.]. mwN).

7

b) Den vorgenannten Anforderungen trägt das Urteil nicht ausreichend Rechnung. Zwar bestehen gegen die vom [X.] vorgenommene Schätzung der Bruttoumsätze unter Berücksichtigung der aufgefundenen Scheinrechnungen („Abdeckrechnungen“) keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken, da nach den Feststellungen des [X.]s keine nachvollziehbare Lohnbuchhaltung der [X.] (künftig: [X.]) existierte und auch die Anzahl der „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer im [X.]eiligen Tatzeitraum nicht festgestellt werden konnte. Allerdings stützt das [X.] seine Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und der hinterzogenen Lohnsteuer allein auf die Bekundungen der Zeugen H.    und S.    , ohne die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge für das Revisionsgericht im Einzelnen nachvollziehbar darzulegen. Der ergänzende Verweis darauf, dass diese anhand der geschätzten [X.] von der [X.] errechnet worden seien, reicht auch in Zusammenschau mit den dem Urteil angeschlossenen entsprechenden Tabellen nicht aus. Denn dies ersetzt eine eigene Berechnung der vorenthaltenen Beiträge unter Angabe der [X.]eiligen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitragssätze, die Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts ist, nicht.

8

c) Der Senat kann hier allerdings aufgrund der den Tabellen zu entnehmenden Beitragssätze und der großzügigen Sicherheitsabschläge sowohl bei der Ermittlung der [X.] als auch der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und der hinterzogenen Steuer ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem vorgenannten Mangel beruht und möglicherweise bei richtiger Anwendung des Gesetzes anders ausgefallen wäre (vgl. dazu [X.], Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 24 [zur Steuerberechnung]; Beschluss vom 5. Juli 2018 – 1 [X.] Rn. 23 [zu § 266a StGB]).

9

2. Die Annahme der subjektiven Tatseite des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie der Steuerhinterziehung lässt – entgegen dem Beschwerdevorbringen – keinen Rechtsfehler erkennen. Den bedingten Vorsatz der Angeklagten hat das [X.] insoweit bereits tragfähig auf die eigene Einlassung der Angeklagten gestützt.

a) Der subjektive Tatbestand des § 266a StGB verlangt das Bewusstsein und den Willen, die Beiträge in Kenntnis der Umstände, welche die Abführungspflicht begründen, bei Fälligkeit nicht abzuführen. Der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter muss daher die Pflicht zur Abführung der Beiträge zur Sozialversicherung sowie den Zeitpunkt der Fälligkeit kennen und wenigstens billigend in Kauf nehmen, dass diese Pflicht nicht erfüllt wird ([X.], Urteil vom 8. Januar 2020 – 5 [X.] Rn. 6). Er muss in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht besteht und er durch das Unterlassen einer Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte; eine bloße Erkennbarkeit reicht insofern nicht aus (vgl. [X.], Urteile vom 8. Januar 2020 – 5 [X.] Rn. 6 und vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18 Rn. 23; Beschluss vom 24. September 2019 – 1 [X.], [X.]St 64, 195 Rn. 17 ff.).

b) Diese Voraussetzungen hat das [X.] nach umfassender Würdigung der festgestellten Umstände bejaht, ohne dass ein tatbestandsausschließender Irrtum der Angeklagten anzunehmen ist. Dabei hat das [X.] in seinen Erwägungen maßgeblich darauf abgestellt, dass der geschäftlich erfahrenen Angeklagten, die u.a. über ein abgeschlossenes Studium der Betriebswirtschaftslehre verfügte, ihre Pflichten als Geschäftsführerin der [X.] im Einzelnen bekannt waren. Dies hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung unter Hinweis darauf, ihr Ehemann habe die Stellung des formalen Geschäftsführers aufgrund seiner mehrfachen strafrechtlichen Vorbelastung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nicht mehr einnehmen können, selbst angegeben. Bereits darauf konnte das [X.] die Annahme des subjektiven Tatbestands tragfähig stützen. Darüber hinaus hat es ohne Rechtsfehler auch das [X.], etwa die Befassung der Angeklagten mit (untergeordneten) Bürotätigkeiten für die [X.], die zweifache planvolle formale Verlegung des Firmensitzes und ihr rechtskundiges Vorgehen in verschiedenen Angelegenheiten privater Vermögensverwaltung in seine Würdigung einbezogen. Ein lediglich leichtfertiges Handeln der Angeklagten lag nach alledem fern.

c) Für die Annahme des bedingten Vorsatzes der Steuerhinterziehung gilt Entsprechendes.

Jäger     

      

Bellay     

      

Wimmer

      

Allgayer     

      

Munk     

      

Meta

1 StR 101/23

20.04.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 23. November 2022, Az: II-2 KLs 21/21

§ 266a StGB, § 267 Abs 1 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2023, Az. 1 StR 101/23 (REWIS RS 2023, 2855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2855

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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