Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.12.2012, Az. B 8 SO 75/12 B

8. Senat | REWIS RS 2012, 31

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialhilfe - Auskunftsverlangen gegenüber einem potenziell Unterhaltspflichtigen - Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs


Leitsatz

Wer als Unterhaltspflichtiger in Betracht kommt, ist dem Sozialhilfeträger zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet, es sei denn, ein Unterhaltsanspruch besteht ersichtlich nicht.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 7. Mai 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Verpflichtung der Klägerin, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen.

2

Die Ehe der Klägerin ist seit dem 23.11.2004 geschieden. Der geschiedene Ehemann der Klägerin ist psychisch krank und bezieht seit März 2005 Eingliederungshilfe ua für ein Ambulant-betreutes-Wohnen durch den Beklagten. Dieser forderte die Klägerin auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen (Bescheid vom 23.7.2008; Widerspruchsbescheid vom 7.7.2010).

3

Im anschließenden Klageverfahren machte sie geltend, es bestehe kein Unterhaltsanspruch ihres Ehemannes. Insbesondere sei ein Unterhaltsanspruch wegen [X.]ablaufs nach § 1585b Abs 3 [X.] (BGB) verwirkt. Zudem habe der Beklagte sie nicht (bzw nicht ausreichend) über den Bedarf und die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers unterrichtet. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des [X.] vom 1.12.2011; Urteil des [X.] <[X.]> vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, nach den Kriterien der vom [X.] ([X.]) entwickelten "[X.]" sei ein Auskunftsanspruch nach § 117 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) nur ausgeschlossen, wenn von vornherein, dh ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen, ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe. Eine Unterhaltspflicht der Klägerin nach § 1572 [X.] sei nicht evident ausgeschlossen. Auch stehe § 1585b Abs 3 BGB einem Unterhaltsanspruch nicht entgegen, weil diese Regelung durch § 94 Abs 4 Satz 1 [X.] modifiziert werde und der Sozialhilfeträger danach den übergegangenen Unterhalt bereits von der [X.] an fordern könne, zu der er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt habe, ohne dass es auf die Rechtshängigkeit iS des § 1585b Abs 3 BGB ankomme.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Der Rechtsstreit werfe folgende Fragen auf:
"1. Besteht eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 [X.], wenn Unterhaltsansprüche nach schlüssigem Sachvortrag des [X.] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] ausgeschlossen sind?
 Trifft den Sozialleistungsträger bzw die Sozialgerichtsbarkeit in diesen Fällen eine Aufklärungspflicht des schlüssigen Sachvortrags?
2. Besteht eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 [X.], wenn Unterhaltsansprüche bereits wegen [X.]ablaufs nach § 1585b Abs 3 BGB verwirkt sind, weil § 94 Abs 4 Satz 1 [X.] die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen des § 1585b BGB modifiziert?
3. Besteht eine Auskunftsverpflichtung nach § 117 Abs 1 Satz 1 [X.], wenn der Sozialhilfeträger trotz Aufforderung Angaben zum Bedarf (wie hier zur konkret geleisteten Hilfe einschließlich der diesbezüglich entstandenen Kosten) und zur Bedürftigkeit des Leistungsempfängers, also zum Einkommen, verweigert?"

        

5

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat, soweit es die Fragen Ziffer 1 und 2 betrifft, keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] 1 Sozialgerichtsgesetz ). Soweit es die Frage Ziffer 3 betrifft, genügt der Vortrag der Klägerin nicht den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung.

6

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Frage, ob eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 [X.] besteht, wenn Unterhaltsansprüche nach schlüssigem Sachvortrag des [X.] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ausgeschlossen sind und ob insoweit eine Aufklärungspflicht bezüglich dieses Sachvortrags besteht, ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist durch die Rechtsprechung des [X.], der sich das [X.] ([X.]) bereits angeschlossen hat (vgl zum Recht der Arbeitsförderung [X.] [X.] 4100 § 40 [X.] 26 S 80), geklärt.

7

Das [X.] hat (unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen) zur Auskunftspflicht nach der gleichlautenden Vorschrift des § 116 Abs 1 [X.] ausgeführt, die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setze nicht voraus, dass der zur Überleitung vorgesehene nacheheliche Unterhaltsanspruch auch bestehe, es sei denn, er bestehe offensichtlich nicht. Das Rechtmäßigkeitskriterium der [X.] orientiert sich dabei nicht an den gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts, sondern an dessen gesetzlicher Zielsetzung; diese ist darauf ausgerichtet, durch Realisierung des Unterhaltsanspruchs möglichst in Höhe der gewährten Leistungen den für den Einsatz öffentlicher Mittel geltenden sog [X.] wieder herzustellen. Deshalb ist zur Auskunft schon verpflichtet, wer als Unterhaltsschuldner des Sozialhilfeempfängers in Betracht kommt ([X.]E 91, 375 ff). Nur wenn offensichtlich ist, dass dieses Ziel nicht verwirklicht werden kann, ist der Erlass einer [X.] und damit auch ein Auskunftsverlangen sinnlos. Für den Adressaten wäre damit zugleich eine unvertretbare Behelligung verbunden. Von daher sind nur solche erkennbar sinnlosen Auskunftsverlangen nach dem allgemein geltenden Grundsatz rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns trotz Vorliegens aller im Gesetz normierten Voraussetzungen als rechtswidrig aufzuheben (zur [X.] bei Überleitung: [X.]E 49, 311, 315 f; 56, 300, 302; 87, 217, 225; zur [X.] bei einem Auskunftsverlangen [X.]E 91, 375 ff). Ein solches erkennbar sinnloses Auskunftsverlangen lag nach den Feststellungen des [X.] gerade nicht vor. Es hat - auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin - einen Unterhaltsanspruch nach § 1572 [X.] für denkbar und nicht nach § 1579 [X.] 4, § 1579 [X.] 6 oder nach § 1578b BGB für ausgeschlossen gehalten. Ob die vom [X.] hierzu geäußerte Rechtsauffassung in einem Revisionsverfahren Bestand hätte, bedarf keiner Prüfung, weil die Richtigkeit der Entscheidung nicht Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist.

8

Ein Klärungsbedarf besteht auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des 12. [X.]s desselben [X.] (Urteil vom 1.9.2010 - L 12 [X.] 61/09), auf die sich die Klägerin stützt. Der dort (in Anwendung der Rechtsprechung des [X.]) geäußerten Auffassung, der Begriff der [X.] meine die "Offensichtlichkeit des Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs bei Unterstellung der Wahrheit des schlüssigen Sachvortrags der auf Auskunftserteilung in Anspruch genommenen Person sowie Beweisbarkeit" mit der Folge, dass nur dann, wenn sich das Vorbringen des potentiell [X.] (ggf nach Beweiserhebung) nicht belegen lässt, der Auskunftsanspruch besteht, ist nicht zu folgen. Diese Auffassung widerspricht der vom 12. [X.] selbst herangezogenen Rechtsprechung des [X.] (vgl etwa zur Auslegung einer in einem beiderseitigen Unterhaltsverzicht enthaltenen Notklausel: [X.]E 91, 375, 377), weil die Aufklärung oder Ermittlung des vermeintlich schlüssigen Sachvortrags von dem Rechtssatz abweicht, dass das Auskunftsverlangen nur dann sinnlos ist, wenn es nach objektivem (materiellen) Recht offensichtlich ausgeschlossen ist; denn es kann nicht "offensichtlich" sein, was sich erst nach Aufklärung eines Sachverhaltes und ggf einer Beweiserhebung (so auch in dem vom 12. [X.] des [X.] entschiedenen Fall) beantworten lässt. Bei schlüssigem Vortrag (der im zivilrechtlichen Verfahren für einen Erfolg von Klage oder Verteidigung gegen die Klage ohnehin zwingend ist) wäre die Behörde oder das Gericht - den Grundsatz der [X.] konterkarierend - verpflichtet, etwaige Unterhaltsansprüche nach zivilrechtlichen Vorschriften eingehend und abschließend zu prüfen. Gerade dies soll aber den Zivilgerichten vorbehalten bleiben ([X.]E aaO). Die Auskunft ist nur Vorstufe zur Realisierung etwaiger Unterhaltsansprüche und dient nicht nur der Vereinfachung, sondern auch der Vermeidung von [X.]. Der [X.] verkennt dabei nicht, dass die Rechtsprechung des [X.] zur [X.] in aller Regel zu einem Auskunftsanspruch führt. Deshalb spricht auch das [X.] in diesem Zusammenhang von "einem solchen möglicherweise nicht völlig auszuschließenden Ausnahmefall" ([X.]E 49, 311, 314 f; 56, 300, 302). Dies ist angesichts der vom Auskunftsverlangen verfolgten Zielsetzung aber gewollt.

9

Die Frage zur Modifikation des § 1585b BGB durch § 94 Abs 4 Satz 1 [X.] ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig, weil sich diese nach Beantwortung der Frage 1 nicht mehr stellt. Soweit das Verhältnis zwischen § 1585b BGB und § 94 Abs 4 Satz 1 [X.] in Rechtsprechung und Literatur streitig ist, ist der Unterhaltsanspruch nämlich gerade nicht offensichtlich ausgeschlossen, sodass zwangsläufig eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 [X.] besteht.

Soweit schließlich die Frage gestellt wird, ob eine Auskunftsverpflichtung ausscheidet, wenn der Sozialhilfeträger trotz Aufforderung Angaben zum Bedarf und zur Bedürftigkeit des Leistungsempfängers verweigert, genügen die Ausführungen der Klägerin nicht den Anforderungen an die Darlegung der [X.]keit im Rahmen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde. [X.] ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist ([X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können ([X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 39; [X.] § 160a [X.] 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht ([X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 31). Dem Vortrag in der Beschwerdebegründung kann aber schon nicht entnommen werden, weshalb sich diese Frage überhaupt noch stellt, nachdem im Laufe des Verfahrens die geforderten Angaben gemacht wurden. Wenn die Klägerin behauptet, die Auskünfte seien bis heute unstreitig nicht erteilt worden, ist ihr Vortrag nicht nachvollziehbar; wenn sie die Auskünfte nicht als ausreichend erachtet, hätte sie zur Darlegung der [X.]keit zunächst erläutern müssen, woraus sich die Pflicht des Beklagten, die von der Klägerin begehrten Auskünfte zu erteilen, ergeben soll und angesichts der ggf unzureichenden Auskunft auch den konkreten Umfang der Auskunftspflicht aufzeigen sowie mitteilen müssen, in Bezug auf welche Auskünfte der Beklagte der Aufforderung, Angaben zum Bedarf und zur Bedürftigkeit zu machen, nicht bzw nicht ausreichend nachgekommen ist. Hieran fehlt es.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung; die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 40, 47 Abs 3, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz.

Meta

B 8 SO 75/12 B

20.12.2012

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Duisburg, 1. Dezember 2011, Az: S 2 SO 243/10, Urteil

§ 117 Abs 1 S 1 SGB 12, § 93 SGB 12, § 94 SGB 12, § 20 Abs 1 SGB 10, § 103 SGG, § 1572 Nr 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.12.2012, Az. B 8 SO 75/12 B (REWIS RS 2012, 31)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 31

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 78/11 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Darlegung der Breitenwirkung


L 8 AS 223/14 (LSG München)

;Der Rechtsweg von Auskunft und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in der Grundsicherung ist gespalten. Die Sozialgerichte …


S 11 SO 25/15. S 11 SO 26/15 (SG Landshut)

Streitigkeiten nach dem SGB XII (Sozialhilfe)


B 13 R 147/08 R (Bundessozialgericht)

Geschiedenenwitwenrente - Berechnung des Unterhaltsanspruchs - Aufteilung einer Witwenrente


B 8 SO 21/16 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - isolierte Feststellungsklage - negative Feststellung eines Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger wegen unbilliger …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.