Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.04.2017, Az. 1 C 9/16

1. Senat | REWIS RS 2017, 12984

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Gegenstand

Dublin-Verfahren und Durchentscheiden bei fehlendem Ausspruch zu Abschiebungsverboten


Leitsatz

1. Die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG (juris: AsylVfG 1992) zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, bezieht sich in Fällen unzulässiger Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG nicht auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers, sondern auf den Zielstaat der Überstellung bzw. Abschiebung.

2. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist nicht allein deswegen rechtswidrig, weil in dem Bescheid die gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorgesehene Feststellung zu nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG fehlt.

Gründe

I

1

Die Kläger, [X.] Staatsangehörige, reisten im Juni 2014 auf dem Landweg nach [X.] ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Aufgrund von [X.] stellte das [X.] ([X.]) fest, dass die Kläger zuvor bereits in [X.] und [X.] Asyl beantragt hatten, und richtete ein Übernahmeersuchen an [X.]. Die [X.] Behörden erklärten sich mit der Wiederaufnahme der Kläger einverstanden. Mit Bescheid vom 11. September 2014 lehnte das [X.] die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach [X.] an (Ziffer 2).

2

Hiergegen erhoben die Kläger Klage und beantragten vorläufigen Rechtsschutz. Zur Begründung machten sie geltend, dass das in Art. 17 Abs. 1 [X.] [X.] eingeräumte Ermessen dahingehend auf Null reduziert sei, dass die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben und den Asylantrag in der Sache zu prüfen habe. Sie legten fachärztliche psychiatrische Gutachten vor, wonach bei der Klägerin zu 2 eine depressive Störung mit Suizidalität und eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe.

3

Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 3. Dezember 2015 zurück. Hiergegen richtete sich die Revision der Beklagten.

4

Nach einem gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat die Beklagte den Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 [X.] [X.] erklärt und den angegriffenen Bescheid auch zu Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides aufgehoben.

5

Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II

6

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzustellen. Gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO sind die Entscheidungen der Vorinstanzen wirkungslos.

7

Über die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat oder der ohne das erledigende Ereignis bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, Urteil vom 6. April 1989 - 1 [X.] 70.86 - BVerwGE 81, 356 <362 f.>).

8

Danach sind hier der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

9

Der Rechtmäßigkeit des auf § 27a [X.] a.F. (jetzt: § 29 Abs. 1 Nr. 1a [X.]) gestützten Bescheids der Beklagten steht allerdings nicht bereits die fehlende Feststellung dazu, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] vorliegen, entgegen. Nach dem durch das [X.] vom 31. Juli 2016 ([X.]) geänderten § 31 Abs. 3 [X.] ist das [X.] nunmehr auch bei allen unzulässigen Asylanträgen zu einer Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] verpflichtet. Hierbei ist davon auszugehen, dass sich die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 [X.] nicht auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers, sondern auf den Zielstaat (Zielland der Überstellung) bezieht. Denn eine Feststellung von [X.] in Bezug auf das Herkunftsland ergäbe im Fall der beabsichtigten Überstellung in einen [X.] keinen Sinn. Die Entscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] über nationale Abschiebungsverbote kann in diesen Fällen nicht das Herkunftsland, sondern nur den sonstigen [X.] betreffen, in den die Rückführung allein in Betracht kommt (vgl. in diesem Sinne auch: [X.], Urteil vom 13. Dezember 2016 - 20 B 15.30049 - juris Rn. 41; [X.], Ausländerrecht, Stand Februar 2017, § 31 [X.] Rn. 44a; [X.], [X.], 9. Aufl. 2017, § 31 Rn. 13).

Allein die fehlende Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] zu den nationalen [X.] führt nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein Verwaltungsakt der gerichtlichen Aufhebung, soweit er rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 VwGO ist das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen, d.h. zu überprüfen, ob und inwieweit der angefochtene Verwaltungsakt den Kläger in seinen Rechten verletzt und deshalb aufzuheben ist (Kopp/[X.], VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 20). Hierin kommt die Verpflichtung der Gerichte zum Ausdruck, zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht im Einklang steht und den Kläger in seinen (subjektiven) Rechten verletzt. Bei dieser Prüfung haben die Verwaltungsgerichte alle einschlägigen Rechtsnormen und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht (BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 [X.] 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 28). Ausgehend davon führt es nicht bereits zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, wenn ein (ausdrücklicher) Ausspruch zur Feststellung von [X.] nach § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] fehlt oder eine Prüfung der nationalen Abschiebungsverbote nicht erfolgt ist. Vielmehr hat das [X.] diese Prüfung - gegebenenfalls auch erstmals - selbst vorzunehmen.

Ob der Bescheid aus anderen Gründen rechtswidrig war, ist für die nach Erledigung der Hauptsache nur noch zu treffende Kostenentscheidung hier nicht mehr von Bedeutung. Es entsprach schon deshalb billigem Ermessen, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil sie den angefochtenen Bescheid aufgehoben und damit die Kläger klaglos gestellt hat.

Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 [X.]. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 [X.] liegen nicht vor.

Meta

1 C 9/16

03.04.2017

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 3. Dezember 2015, Az: 13a B 15.50124, Urteil

§ 29 Abs 1 Nr 1a AsylVfG 1992, § 31 Abs 3 S 1 AsylVfG 1992, § 60 Abs 7 AufenthG, § 60 Abs 5 AufenthG, Art 17 EUV 604/2013, § 113 Abs 1 VwGO, § 161 Abs 2 S 1 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.04.2017, Az. 1 C 9/16 (REWIS RS 2017, 12984)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12984

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