Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2020, Az. 4 StR 15/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11518

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:040620B4STR15.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 15/20

vom
4. Juni
2020
in der Strafsache
gegen

wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Generalbun-desanwalts und des
Beschwerdeführers
am 4.
Juni 2020
gemäß §
349 Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 29.
August 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Besitz eines verbotenen Gegenstandes sowie
wegen vorsätzlichen
Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheits-strafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsan-stalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der erkannten Freiheitsstrafe vor-weg zu vollziehen ist. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

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3
-
I.
Nach den Feststellungen verfügte der Angeklagte am Tattag über 1.527,66
Gramm Cannabisblüten und Cannabisblätter sowie 9,74
Gramm Cannabisharz
in denen zusammen 54,55
Gramm Tetrahydrocannabinol enthal-ten waren. Davon war eine Teilmenge mit einem Wirkstoffanteil von 11,28
Gramm für den Eigenbedarf vorgesehen; die Restmenge (43,27
Gramm Tetrahydrocannabinol) war für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Den überwiegenden Teil des Rauschgifts verwahrte der Angeklagte in seiner Wohnung. Außerdem
zog er in einem von ihm genutzten Garten mehrere Can-nabispflanzen auf. Um seine Betäubungsmittelvorräte verteidigen zu können, waren in der Wohnung
in deren Nähe ein Schlagring
und ein Schlagstock
griff-bereit abgelegt. Außerdem hatte der Angeklagte 22,2
Gramm Triacetontriper-oxid, eine Nebelhandgranate aus [X.], 281

lenböl

II.
Das Urteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die bei der staatsanwaltlich angeordneten Durchsuchung der Wohnung des Angeklag-ten und des von ihm genutzten Gartens aufgefundenen
Beweismittel einem Verwertungsverbot unterliegen.
1. Nach den zum Verfahrensgang
im Urteil getroffenen Feststellungen und dem [X.] suchten mehrere Polizeibeamte den Angeklagten am Tattag um 18.10
Uhr auf, weil zwei Haftbefehle gegen ihn vorlagen und eine Gefährderansprache vorzunehmen war. Als der Angeklagte seine Wohnungstür öffnete, schlug ihnen intensiver Cannabisgeruch entgegen. Die Beamten gaben 2
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dem Angeklagten zunächst die gegen ihn vorliegenden Haftbefehle bekannt. Dieser
ging daraufhin in seine Wohnung zurück, um noch einige Sachen zu ho-len. Dabei blieb die Wohnungseingangstür geöffnet. Kurz darauf kamen die Mutter des Angeklagten und dessen Bruder hinzu. Da sich für die Beamten der Anfangsverdacht für eine Betäubungsmittelstraftat ergeben hatte und nicht [X.] war, ob sich in der Wohnung noch weitere Personen aufhielten, beabsich-tigten sie, sogleich in der Wohnung Nachschau zu halten. Als der Angeklagte wieder aus seiner Wohnung kam, wiesen ihn die Beamten auf die [X.] hin und forderten ihn auf, die Wohnungstür offen zu lassen. Entgegen dieser Aufforderung zog der Angeklagte die Wohnungstür ins Schloss und steckte den Schlüssel seiner Mutter zu. Auf ihre Aufforderung, den Schlüssel herauszuge-ben, stritt die Mutter des Angeklagten dessen Besitz zunächst ab, gab den Schlüssel schließlich aber doch heraus. Die Beamten betraten daraufhin gegen 18.40
Uhr die Wohnung. Dabei sahen sie mehrere Behältnisse mit [X.], trafen aber keine weitere Person an. Sie verließen deshalb die [X.] wieder und forderten Beamte der Kriminalpolizei an. Als die Kriminalbe-amten gegen 19.10
Uhr eintrafen, nahmen sie nach erfolgter Unterrichtung über die Lage Kontakt mit ihrer Dienststelle auf. Nach mehreren Rücksprachen ver-ständigte schließlich der leitende Beamte den zuständigen Staatsanwalt des Bereitschaftsdienstes, der daraufhin um 20.26
Uhr die Durchsuchung aller den Angeklagten betreffenden Räumlichkeiten und des Gartens fernmündlich an-ordnete. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er in der Hauptverhand-lung aus, der Anruf der Polizei habe ihn kurz vor Ende des richterlichen Bereit-schaftsdienstes um 21.00
Uhr erreicht. Ihm sei bekannt, dass er vom [X.] nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen einen [X.] bekomme. Da die [X.] nunmehr knapp gewesen sei und sich noch Fa-milienangehörige des Angeklagten auf dem Grundstück befunden hätten, sei der Verlust von Beweismitteln zu befürchten gewesen.
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-
2. Entgegen der Auffassung des [X.] war die aufgrund der um 20.26
Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte zweite Durchsu-chung der Wohnung des Angeklagten und des von ihm genutzten Gartens rechtswidrig.
Es lag insoweit ein
Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung vor, der
unter den vorliegenden Umständen ein
Verwertungsverbot in Bezug auf die durch diese Durchsuchungsmaßnahme gewonnenen Beweismittel
nach sich zieht.
a) Für die wiederholte Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten durch die herbeigerufenen Beamten der Kriminalpolizei nach 20.26
Uhr bedurf-
18.40
Uhr, bei der es sich in der Sache um eine Wohnungsdurchsuchung ge-handelt hat, zugrundeliegende polizeiliche Anordnung, konnte das neuerliche Betreten der Wohnung nicht mehr gestützt werden. Zwar ist diese
erste
Anord-nung nach §
105 Abs.
1 Satz
1
[X.] zu Recht ergangen, denn aufgrund des Verhaltens des Angeklagten und seiner Mutter bestand zu diesem [X.]punkt Gefahr im Verzug. Diese Anordnung war aber bereits verbraucht, denn die [X.] Beamten haben mit dem Verlassen der Wohnung konkludent die Beendigung dieser Durchsuchungsmaßnahme erklärt (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
Februar 2004

2
BvR 1687/02, [X.], 633, 634; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 63.
Aufl., §
105 Rn.
14; [X.] in SSW-[X.], 4.
Aufl., §
105 Rn.
40).
b) Die zweite Durchsuchung war wegen Missachtung des [X.]vorbe-halts rechtswidrig, weil eine gemäß Art.
13 Abs.
2 [X.], §
105 Abs.
1 Satz
1 [X.] grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und die von der Staatsanwaltschaft in Anspruch genommene Eilkompe-tenz zu diesem [X.]punkt nicht mehr bestand.
5
6
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-
6
-
aa) Art.
13 Abs.
1 [X.] garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein. Dem entspricht es, dass Art.
13 Abs.
2 Halbsatz
1 [X.] die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem [X.] vorbehält (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
März 2019

2
BvR 675/14, NJW 2019, 1428 Rn.
52
f. [X.]). Nach Art.
13 Abs.
2 Halbsatz
2 [X.] i.V.m. §
105 Abs.
1 Satz
1
[X.] dürfen Durchsuchungen ausnahmsweise auch durch die Staatsanwalt-schaft und ihre Ermittlungspersonen (§
152 [X.]) angeordnet werden, wenn Gefahr im Verzug besteht. Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme

regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln

gefährdet [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
März 2019

2
BvR 675/14, NJW 2019, 1428 Rn.
52
f.; Urteil vom 20.
Februar 2001

2
BvR 1444/00, NJW 2001, 1121, 1122
f.; [X.], Urteil vom 18.
April 2007

5
StR 546/06, NJW 2007, 2269 Rn.
17 [X.]). Die Strafverfolgungsbehörden müssen dementsprechend regel-mäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen [X.]s zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsu-chung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im [X.] treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu ha-ben (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
März 2019

2
BvR 675/14, NJW 2019, 1428 Rn.
55
f.; [X.],
Urteil vom 6.
Oktober 2016

2
StR 46/15, [X.], 367 Rn.
20 [X.]). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den [X.]-punkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten eine Durchsu-chung für erforderlich hielten (vgl. [X.], Urteil vom 18.
April 2007

5
StR 546/06, NJW 2007, 2269 Rn.
17).
8
-
7
-
bb) Gemessen daran lag im [X.]punkt der staatsanwaltlichen [X.] um 20.26
Uhr keine Gefahr im Verzug im Sinne des §
105 Abs.
1 Satz
1
[X.] mehr vor. Spätestens mit dem Eintreffen der Beamten der Kriminalpolizei um 19.10
Uhr stand die Erforderlichkeit einer erneuten Durchsu-chung fest. Dabei war den Ermittlungsbehörden bereits aufgrund der um 18.40

nt, dass sich keine Person in der von der Polizei seitdem überwachten Wohnung des festgenommenen [X.] aufhielt und deshalb mit einer Beweismittelvernichtung oder anderen Verdunkelungshandlungen nicht (mehr) zu rechnen war. Für die Annahme von Gefahr im Verzug bestand danach kein Raum mehr.
c) Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolg-ten Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwer-tungsverbots hinsichtlich der dabei sichergestellten Beweismittel.
aa) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots kommt in Betracht, wenn
der [X.]vorbehalt bewusst missachtet oder seine Voraussetzungen in gleichgewichtig grober Weise verkannt wurden (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Mai 2011

2
BvR 2072/10, NJW 2011, 2783, 2784; [X.], Beschluss vom 27.
November 2018

5
StR 566/18, NStZ-RR
2019, 94, 95; Urteil vom 6.

2
StR 46/15, [X.], 367 Rn.
24; Beschluss vom 30.
August 2011

3
StR 210/11, [X.], 104 Rn.
9; Urteil vom 18.
April 2007

5
StR 546/06, [X.]St 51, 285 [X.]).
bb) Ein schwerwiegender Verstoß liegt nach den oben geschilderten Umständen vor. Aufgrund der durch die erste Durchsuchung gewonnenen [X.] gab es für die Annahme von Gefahr im Verzug bei der Anordnung der zweiten Durchsuchung keinerlei
tatsächliche Grundlage mehr. Soweit sich 9
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-
der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei seiner Annahme, eine richterliche Ent-scheidung sei innerhalb einer bestimmten [X.]spanne nicht zu erlangen, auf Erfahrungswerte bezüglich der Erlangung von Durchsuchungsbeschlüssen ge-stützt hat, handelt es sich um nicht auf konkrete Tatsachen gestützte Vermu-tungen. Die in der Hauptverhandlung vernommene Ermittlungsrichterin hat er-klärt, dass sie sich im Regelfall Unterlagen per Fax schicken lasse; wenn eine Übersendung nicht möglich sei, aber auch eine mündliche Anordnung treffen würde. Einen
Versuch, Kontakt zu der noch im Dienst befindlichen [X.]in aufzunehmen, hat der Staatsanwalt nicht unternommen. Angesichts dieser [X.] Missachtung des [X.]vorbehalts
kommt es nicht mehr darauf an, dass bei richtiger Verfahrensweise ein
Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahr-scheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre (vgl. [X.], Urteil vom 6.
Oktober 2016

2
StR 46/15, [X.], 367 Rn.
26; Beschluss vom 30.
August 2011

3
StR 210/11, [X.], 104 Rn.
12 [X.]).
Auf dem Verfahrensverstoß
beruht das Urteil.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die für erwiesen erachteten Tatsachen so darzustellen sind, dass sie sich als Grundlage für die Subsumtion unter die angewendeten Vorschriften eignen. Der Alltagsspraczeichnung eines

13
14
-
9
-

soweit die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Tatbe-standsmerkmals des §
3 Abs.
1 [X.] erfüllt sind
(vgl. [X.], Beschluss vom
2.
Juli
2013

4 StR 187/13, NStZ-p

Sost-Scheible
Quentin
Rin[X.] Dr.
Bartel ist im Urlaub und daher gehindert zu unter-schreiben.
Sost-Scheible
Sturm
Rommel

Vorinstanz:
[X.], [X.], [X.]

651 Js 19035/18 8 KLs

Meta

4 StR 15/20

04.06.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2020, Az. 4 StR 15/20 (REWIS RS 2020, 11518)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11518

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 187/13

4 StR 15/20

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