Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2022, Az. I ZB 6/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7209

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 20. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gegenstandswert: 1.568,31 €

Gründe

1

A. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, einem Beschluss sowie einem Kostenfestsetzungsbeschluss des [X.] und einem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle des Amtsgerichts Braunschweig.

2

Die Gerichtsvollzieherin holte beim [X.] die von der Gläubigerin beantragte [X.] gemäß § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zu Konten des Schuldners und dessen Verfügungsberechtigung zu Konten Dritter ein. Die Drittauskunft des Bundeszentralamts für Steuern ergab sieben Konten. Die Gerichtsvollzieherin teilte dieses Ergebnis der Gläubigerin dergestalt mit, dass bei sechs Konten, an denen der Schuldner lediglich verfügungsberechtigt war, der jeweilige Kontoinhaber, dessen Daten sowie die Kontonummer infolge einer Schwärzung nicht zu erkennen waren.

3

Die gegen die Unkenntlichmachung dieser Informationen durch Schwärzung gerichtete Erinnerung der Gläubigerin hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die von der Gläubigerin eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht (Einzelrichterin) unter Hinweis auf die divergierende Rechtsprechung von Beschwerdegerichten zur Zulässigkeit der Unkenntlichmachung von Auskünften über Dritte gemäß § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihr Begehren zur Erteilung einer ungeschwärzten Drittauskunft weiter.

4

B. Das Beschwerdegericht (Einzelrichterin) hat die sofortige Beschwerde der Gläubigerin als zulässig, aber unbegründet angesehen. Es hat angenommen, die Gerichtsvollzieherin habe in der der Gläubigerin mitgeteilten [X.] des Bundeszentralamts für Steuern die Kontodaten Dritter mit Recht geschwärzt.

5

C. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

6

I. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil die Einzelrichterin entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat ([X.], Beschluss vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200 [juris Rn. 4 f.]; Beschluss vom 27. April 2017 - [X.], [X.], 1868 [juris Rn. 8]; Beschluss vom 13. Januar 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 570 [juris Rn. 9]).

7

II. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss der Einzelrichterin ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

8

1. Die Einzelrichterin durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Mitgliedern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200 [juris Rn. 6]; [X.], [X.], 1868 [juris Rn. 10] mwN). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder - wie vorliegend von der Einzelrichterin angenommen - zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200 [juris Rn. 6]; [X.], Beschluss vom 24. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 441 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 7. Januar 2016 - [X.]/14, [X.], 645 [juris Rn. 10]). Damit hat die Einzelrichterin das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des Verfahrens auf die voll [X.] erfüllt die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der Gesetzlichkeit, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. [X.]Z 154, 200 [juris Rn. 8]; [X.], [X.], 1868 [juris Rn. 10]).

9

2. Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom [X.] wegen zu berücksichtigen ([X.]Z 154, 200 [juris Rn. 9]). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen ([X.]Z 154, 200 [juris Rn. 10 f.]).

III. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an die Einzelrichterin, die den angefochtenen Beschluss erlassen hat.

Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch die Einzelrichterin nicht entstanden.

D. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Annahme des [X.], die Gerichtsvollzieherin habe in der der Gläubigerin mitgeteilten [X.] des Bundeszentralamts für Steuern die Kontodaten Dritter mit Recht geschwärzt, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie der Senat - nach der Entscheidung des [X.] - entschieden hat, hat der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger gemäß § 802l Abs. 3 Satz 1 ZPO die nach § 802l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO beim [X.] eingeholte [X.] zu Konten Dritter, über die der Schuldner verfügungsberechtigt ist, in der Weise zu erteilen, dass Namen und, soweit in der [X.] des Bundeszentralamts für Steuern aufgeführt, Anschriften, Kontonummer und die Bank, bei der das Konto unterhalten wird, sowie der Zeitpunkt der Kontoeröffnung offengelegt werden, soweit diese Daten für die Zwecke der Vollstreckung erforderlich sind (vgl. [X.], Beschluss vom 24. März 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 924 [juris Rn. 13]).

Koch     

      

Löffler     

      

Schwonke

      

Schmaltz     

      

Wille     

      

Meta

I ZB 6/22

15.09.2022

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Braunschweig, 20. Januar 2022, Az: 2 T 615/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.09.2022, Az. I ZB 6/22 (REWIS RS 2022, 7209)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7209

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