Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2021, Az. II ZR 5/20

2. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 7599

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde bei Kapitalanlageberatung: Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil der Einzelrichterin des 3. Zivilsenats des [X.] vom 12. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis zu 110.000 €

Gründe

1

I. Der Kläger beteiligte sich am 31. März 2005 nach vorhergehender Beratung als Treuhandkommanditist mit 100.000 € [X.] 3 % Agio an der"M.         " GmbH & Co. KG, einem geschlossenen Schiffsfonds. Die Beklagten zu 1 und 2 sind Gründungskommanditistinnen der Beteiligungsgesellschaft, die Beklagte zu 1 ist die Treuhänderin.

2

Der Kläger hat von den Beklagten die Zahlung von 85.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus der Beteiligung an der [X.], vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, die Freistellung von allen Verpflichtungen aus der Beteiligung, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Neben zahlreichen Prospektfehlern behauptet der Kläger eine nicht anlagegerechte Beratung des Zeugen S.       , die sich die Beklagten zurechnen lassen müssten.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des [X.] hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.].

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es den Berater und die Ehefrau des [X.] nicht zu der behaupteten, vom Prospekt abweichenden mündlichen Beratung als Zeugen vernommen hat.

5

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass keine Anhaltpunkte dafür bestünden, dass die fehlerfreien Prospektangaben durch Erklärungen im Rahmen des vor der Zeichnung der Beteiligung am 29. März 2005 geführten Gesprächs mit dem Berater [X.]entwertet worden seien.

6

Dazu habe der Kläger erstinstanzlich widersprüchlich und damit nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Er habe schriftsätzlich ausgeführt, der Prospekt sei im Rahmen des Anlagegesprächs gemeinsam mit dem Berater durchgeblättert worden und habe andererseits angegeben, der Berater habe die Anlage als sicher und für die Altersvorsorge geeignet dargestellt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung habe das [X.] zu bedenken gegeben, dass die Lektüre des Prospekts beim Kläger mindestens erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Aussagen des Beraters geweckt haben könnte, da der Prospekt die unternehmerische Natur der Beteiligung und die damit verbundenen erheblichen Risiken deutlich herausstelle. Weder in dem Termin noch im Rahmen der eingeräumten Schriftsatzfrist habe der Kläger dazu indes erläuternde Ausführungen gemacht, so dass das [X.] zu Recht davon abgesehen habe, den Berater und die Ehefrau des [X.] als Zeugen zu vernehmen. Auch in der Berufung habe sich der Kläger darauf beschränkt, den erstinstanzlichen Vortrag nur zu wiederholen.

7

2. Das Berufungsgericht hat damit in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 9 ZPO). Die Ablehnung der vom Kläger durch Vernehmung des Beraters sowie seiner Ehefrau angebotenen Beweise findet im Prozessrecht keine Stütze.

8

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr.; vgl. [X.] 65, 305, 307; 69, 141, 144; [X.], Beschluss vom 11. Mai 2010- VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10; Beschluss vom 28. Januar 2020 - [X.], [X.], 486 Rn. 4). Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer [X.] gestellt hat. Es verschließt sich in einem solchen Fall der Erkenntnis, dass eine [X.] ihrer Darlegungslast schon dann genügt, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juni 2009 - [X.], [X.], 2598 Rn. 2).

9

b) Diesen Anforderungen genügte der Vortrag des [X.] zu von den zutreffenden Prospekthinweisen abweichenden Aussagen des Beraters bei dem [X.]. Er hat vorgetragen, der Berater habe die Beteiligung an dem geschlossenen Schiffsfonds als sicher und für die Altersvorsorge geeignet beschrieben, was den [X.]. Da das Berufungsgericht die Frage offenlässt, ob die Beklagten für eine etwaige nicht anlagegerechte Beratung durch den Berater hafteten, genügte der Vortrag, um in Verbindung mit den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinn den Anspruch als entstanden erscheinen zu lassen (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 2013 - [X.], [X.], 1616 Rn. 37; Urteil vom 14. Mai 2012 - [X.], [X.], 1289 Rn. 11; Urteil vom 1. März 2011 - [X.], [X.], 957 Rn. 7).

c) Das Urteil erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil der Kläger auf die angebliche Widersprüchlichkeit seines Vortrags hingewiesen worden ist und dieser dazu keine Stellung mehr genommen hat. Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Kläger zu weitergehenden Erläuterungen nicht verpflichtet.

Genügt das [X.]vorbringen den Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer [X.] nicht verlangt werden ([X.], Beschluss vom 21. Mai 2007 - [X.], [X.], 1524 Rn. 8). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der [X.] zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen ([X.], Urteil vom 29. Februar 2012 - [X.], [X.], 1647 Rn. 16).

Insoweit hat schon das [X.] und ihm folgend das Berufungsgericht die [X.] überspannt. Die Verwendung eines Prospekts zur Aufklärung der [X.] schließt es nicht aus, unzutreffende Angaben des Vermittlers dem Gründungsgesellschafter zuzurechnen. Vermittelt der Prospekt hinreichende Aufklärung, ist dies kein Freibrief, Risiken abweichend hiervon darzustellen und mit Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt für die Entscheidung des Anlegers entwertet oder mindert ([X.], Urteil vom 6. November 2018 - [X.], [X.], 22 Rn. 16; Urteil vom 17. April 2018 - [X.]/16, [X.], 1130 Rn. 27; Urteil vom 4. Juli 2017 - [X.], [X.], 1664 Rn. 11; Urteil vom 14. Mai 2012 - [X.], [X.], 1289 Rn. 12; Urteil vom 12. Juli 2007 - [X.], [X.], 1866 Rn. 10 für den Anlagevermittler; Urteil vom 19. November 2009 - [X.], [X.], 118 Rn. 24; Urteil vom 19. Juni 2008 - [X.], juris Rn. 7 für den Anlageberater).

Auch wenn - wie hier - der Kläger selbst vorträgt, den Prospekt gemeinsam mit dem Berater durchgeblättert zu haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auf die davon abweichenden mündlichen Erklärungen des Vermittlers vertraut hat. Der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nimmt, misst den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die notwendig allgemein gehaltenen und mit zahlreichen Fachbegriffen versehenen Prospektangaben treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund (vgl. [X.], Urteil vom 14. April 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 1139 Rn. 7; Urteil vom 22. Juli 2010 - [X.]/09,NJW-RR 2010, 1623 Rn. 15).

III. Auf dieser Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht die Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach der Erhebung der angebotenen Beweise anders entschieden hätte.

Drescher     

        

Wöstmann     

        

Bernau

        

von Selle     

        

C. Fischer     

        

Meta

II ZR 5/20

23.03.2021

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 12. Dezember 2019, Az: 3 U 100/16

Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2021, Az. II ZR 5/20 (REWIS RS 2021, 7599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7599

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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