Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.06.2011, Az. 1 StR 192/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5447

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 192/11

vom
28. Juni
2011
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 28. Juni 2011 gemäß §
349
Abs.
4 [X.] beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30.
November 2010 mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
I.
1. Das [X.] hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen ge-troffen:
Es kam in der Nacht vom 9.
Juli 2010 gegen 2.30
Uhr zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer

M.

unter Alkoholeinfluss auf offener Straße zu einer verbalen Auseinandersetzung. In deren Verlauf be-leidigte M.

den Angeklagten zunächst mit Ausdrücken wie "Ich habe Deine Mutter gefickt, ich habe [X.] ge-fickt". Sodann schlug M.

dem Angeklagten zweimal mit der Faust ins Gesicht. [X.] nahm das von ihm mitgeführte Küchenmesser mit [X.] von 20
cm in die Hand und forderte M.

auf, abzuhauen und "sich zu verpissen" (UA S.
5). Als M.

dies nicht tat, stach ihm der 1
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Angeklagte mit dem Küchenmesser in den linken Oberbauch und brachte ihm abstrakt lebensgefährdende Verletzungen bei.
Dem Angeklagten war nach den Feststellungen bewusst, dass zum Zeit-punkt des [X.] kein unmittelbarer Angriff vom Tatopfer ausging.
2. [X.] hat sich dahin eingelassen, er habe aus einem Reflex heraus mit dem Messer zugestochen, um sich zu verteidigen.
3. M.

, der Nebenkläger, gab an -
so das [X.]
-, als er zum dritten Schlag ansetzen wollte, habe er gemerkt, "dass etwas nicht stimme". Er habe sein T-Shirt hochgeschoben und gesehen, dass er am Bauch blute.
4. In der zusammenfassenden Würdigung der Beweisaufnahme kommt das [X.] zu dem Ergebnis, dass nur

folgende objektive Umstände zum Kerngeschehen festgestellt werden könnten:
Es habe einen tätlichen Angriff in Form zweier Faustschläge des körperlich deutlich unterlegenden Geschädigten gegen den Angeklagten mit einhergehenden Beleidigungen gegeben, auf die der Angeklagte mit dem
Messerstich reagiert habe. Detaillierte Feststellungen seien aufgrund der nebulösen und vertuschenden Aussagen der Tatzeugen nicht möglich (UA S.
11).
5. In der rechtlichen Würdigung geht die Kammer davon aus, der [X.] sei zwar berechtigt gewesen,
sich gegen die Schläge des [X.] zu verteidigen, er sei aber bei der Wahl der Verteidigungsmittel weit über die gebotene und geeignete Methode hinausgegangen. Der Messerstich sei daher nicht durch Notwehr gemäß §
32 StGB gerechtfertigt.

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4
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II.
Die
auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Die Feststellungen zum Tatgeschehen sind widersprüchlich, die Be-weiswürdigung ist lückenhaft und die rechtliche Bewertung
baut nicht auf den Feststellungen auf. Das Revisionsgericht ist daher nicht in der Lage zu prüfen, ob die Handlung des Angeklagten durch Notwehr geboten war.
1. Nach den zunächst getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Nebenkläger nach den bestehenden Feststellungen mit dem Messer in der Hand aufgefordert abzuhauen. Die Drohung ist daher ersichtlich als Vorwar-nung zu verstehen. Eine solche findet sich in der zusammenfassenden Be-weiswürdigung indes nicht wieder. Da letztere sich durch das Wort "nur" hin-sichtlich der objektiven Umstände zum Kerngeschehen auf Ausschließlichkeit beruft, liegt insoweit ein Widerspruch vor. Die Bedeutung der Vorwarnung für die Beurteilung einer Notwehrlage liegt auf der Hand.
2. Eine Lücke in der Beweiswürdigung ist insofern gegeben, als sie sich zu den Angaben des [X.],
er habe -
offenbar vor dem Messerstich -
zum dritten Schlag ansetzen wollen, nicht verhält. Wenn der Geschädigte selbst einen weiteren gegenwärtigen Angriff beschreibt, so hätte die [X.] darlegen müssen, ob sie diesem folgt oder die Angaben -
aus welchen Gründen
-
für widerlegt hält.
3. In der rechtlichen Würdigung geht sie zwar davon aus, der Angeklagte sei berechtigt gewesen, sich gegen die Schläge des [X.] zu verteidi-gen. Diese rechtliche Bewertung wird aber nicht von den damit nicht ohne [X.] zu vereinbarenden Feststellungen getragen, wonach dem Angeklagten bewusst war, dass zum Zeitpunkt des [X.] kein unmittelbarer Angriff 8
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vom Tatopfer ausging.
Liegt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff nicht vor, dann kommt es auf die Wahl des [X.] nicht an, weil es schlechthin an einer durch Notwehr gebotenen Handlung fehlt.
4. [X.] war daher mit den Feststellungen aufzuheben.
[X.]

Elf

Jäger Sander

13

Meta

1 StR 192/11

28.06.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.06.2011, Az. 1 StR 192/11 (REWIS RS 2011, 5447)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5447

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