Bundessozialgericht, Urteil vom 25.05.2018, Az. B 13 R 33/15 R

13. Senat | REWIS RS 2018, 8636

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Bewilligung einer nachrangigen Rente - anfängliche Rechtswidrigkeit - Anordnung des Ruhens nachrangiger Renten - Regelungen des Sozialverwaltungsrechts über die Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten


Leitsatz

1. Die Bewilligung einer nachrangigen Rente ist anfänglich rechtswidrig, wenn bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der Rentengewährung bereits Ansprüche aus einem vorrangigen Rentenrecht entstanden waren, die nachrangige Rentenansprüche kraft Gesetzes zum Ruhen gebracht hatten (Anschluss an BSG vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R = SozR 4-2600 § 89 Nr 3).

2. Die Anordnung des Ruhens nachrangiger Renten verdrängt nicht die Regelungen des Sozialverwaltungsrechts über die Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit stehen die Rücknahme eines Verwaltungsakts über Zahlungsansprüche aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund einer später mit Wirkung für denselben [X.]raum bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung und eine daraus folgende Erstattungsforderung.

2

Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19.9.2011 eine (befristete) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die [X.] vom 1.2.2011 bis 30.9.2013 iHv 394,29 [X.] monatlich. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom [X.] "anstelle" der bisherigen Rente für denselben [X.]raum eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv monatlich 788,58 [X.]. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Nachzahlung iHv 10 212,79 [X.] für die [X.] vom 1.2.2011 bis 29.2.2012 vorläufig nicht ausgezahlt, sondern erst bei Kenntnis der Höhe der Ansprüche anderer Stellen abgerechnet werde.

3

Nachdem sie der Krankenkasse der Klägerin und der [X.] das zeitgleich zur Rente gezahlte Kranken- bzw Arbeitslosengeld erstattet hatte, hob die Beklagte den Bescheid über die befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 19.9.2011 "hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die [X.] vom 1.2.2011 bis 30.9.2013 nach § 48 SGB X" auf. Zugleich rechnete sie ihre Forderung aus der "Überzahlung" dieser Rente gegen den Anspruch auf Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf, soweit dieser nach Erfüllung der [X.] verblieben war und forderte von der Klägerin eine Erstattung der überzahlten Leistung iHv noch 1305,56 [X.] (Bescheid vom [X.]). Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012).

4

Das [X.] hat den Bescheid der Beklagten vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2012 aufgehoben (Urteil vom 27.10.2014). Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei durch Erteilung des Bescheids über die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht eingetreten, denn die Klägerin habe bereits von Anfang an - ab Februar 2011 - sowohl einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Eine Rücknahme des Zahlungsanspruchs komme nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X in Betracht; insoweit sei jedoch von einem schützenswerten Vertrauen der Klägerin in den Bestand des ursprünglichen Verwaltungsakts auszugehen (Urteil vom 14.7.2015).

5

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 45, 48 [X.] Zwar habe die Klägerin ab 1.2.2011 Anspruch sowohl auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gehabt. Jedoch werde nach § 89 [X.] nur die höchste Rente "geleistet". Der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 über den Auszahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei somit für [X.]en ab Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtswidrig geworden. Diese Rechtswidrigkeit habe nicht von [X.] an bestanden; vielmehr sei erst durch die Festsetzung des [X.] der Rente wegen voller Erwerbsminderung am [X.] eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Mit der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 [X.] erzielt, auch wenn ihr das Mehr an Einkünften nur indirekt durch Befriedigung von [X.] zugutegekommen sei.

6

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 14. Juli 2015 und des [X.] vom 27. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 [X.] [X.]G).

Das [X.] hat die Berufung der [X.] gegen das die angefochtenen Bescheide aufhebende Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Die [X.] war nicht berechtigt, den Bescheid vom 19.9.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den [X.]raum vom 1.2.2011 bis [X.] hinsichtlich des Zahlungsanspruchs zurückzunehmen und Erstattung einer Überzahlung iHv 1305,56 Euro von der [X.]lägerin zu verlangen. Sowohl der [X.] im Bescheid vom [X.] (dazu unter 1.) als auch der [X.] sind rechtswidrig (dazu unter 2.).

1. Die Aufhebung des Renten[X.]anspruchs aus dem Bescheid vom 19.9.2011 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 [X.]B X, der von der [X.] gewählten Rechtsgrundlage, nicht erfüllt sind (dazu unter a) und der Verwaltungsakt weder in eine Rücknahme nach § 45 Abs 1 [X.]B X (dazu unter b) noch in einen Widerruf (§§ 46, 47 [X.]B X) umgedeutet bzw durch Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw Nachschieben von ([X.] aufrechterhalten werden kann (dazu unter c). Allein auf § 89 [X.]B VI kann der Verwaltungsakt nicht gestützt werden (dazu unter d).

a) Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 [X.]B X (idF der Neubekanntmachung vom 18.1.2001, [X.]), auf den die [X.] ihre Aufhebungsentscheidung stützt, liegen nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ([X.]); unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2).

Vorliegend fehlt es bereits an einer erst nach Bekanntgabe des Bescheids vom 19.9.2011 eingetretenen wesentlichen Änderung. Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des [X.] wegen teilweiser Erwerbsminderung war, anders als die [X.] annimmt, schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell rechtswidrig. Denn ein befristetes (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 [X.]B VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzel([X.])ansprüche ab dem 1.2.2011 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die [X.] den Bescheid vom 19.9.2011 erließ (zur Unterscheidung zwischen Renten-Stammrecht und -[X.]anspruch vgl Senatsurteil vom [X.] - B[X.]E 72, 39 = [X.]-2200 § 1265 [X.]; B[X.] Urteil vom 23.6.1994 - 4 RA 70/93 - [X.]-2600 § 300 [X.] 3; B[X.] Urteil vom 30.9.1997 - 4 RA 6/96 - [X.]-2200 § 1304a [X.] 3). Bereits damals stand "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der [X.]enntnis der [X.] fest, dass daneben keine durchsetzbaren Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bestehen konnten, sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (§ 89 Abs 1 [X.] [X.]B VI, damals idF durch Gesetz vom 21.7.2004, [X.] 1791). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (zum Ganzen vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 31 mwN). Eine Rücknahme anfänglich rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte - hier des [X.]s vom 19.9.2011 - ist aber nicht auf Grundlage des § 48 [X.]B X möglich, sondern allein auf Grundlage des § 45 [X.]B X.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der [X.] in Bezug genommenen Entscheidung des 5. Senats vom [X.] (B 5 [X.]N 4/08 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 2). Dieser lag eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) nach Erlass des später aufgehobenen [X.] zugrunde. Ihr ist kein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 [X.]B VI stets § 48 [X.]B X zur Anwendung kommen müsse (so bereits B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 32). Zu Unrecht nimmt die [X.] an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der [X.]lägerin mit Bescheid vom [X.] wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 [X.]B X kommt es weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die [X.]enntnis der Behörde von den wirklichen Verhältnissen an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 [X.] [X.]B X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben" (vgl B[X.] Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - [X.]-1300 § 48 [X.] 35 - Juris Rd[X.] 15 mwN; B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 32).

Auch wenn darauf abgestellt würde, dass der Zahlungsanspruch mangels Selbstvollzug des Gesetzes einen den Rentenwert und den Beginn (der Rente wegen voller Erwerbsminderung) festsetzenden Verwaltungsakt erfordert, so ergibt sich daraus keine andere Bewertung. Denn auch insoweit kommt es nicht auf die Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts als den [X.]punkt der äußeren Wirksamkeit an, sondern darauf, dass dessen inhaltliche Regelung - hier auf den [X.]punkt des Rentenbeginns am 1.2.2011 - zurückwirkt (innere Wirksamkeit).

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht im Wege der Umdeutung auf § 45 Abs 1 [X.]B X stützen und damit aufrechterhalten. Nach § 43 Abs 1 [X.]B X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 [X.]). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 [X.]B X ist entsprechend anzuwenden (Abs 4). Die Befugnis zur Umdeutung steht auch den Gerichten zu; die Grundsätze des § 43 [X.]B X sind auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar (stRspr; vgl zB B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/14 R - B[X.]E 119, 57 = [X.] 4-2500 § 34 [X.] 17, Rd[X.] 49 mwN; [X.], 2. Aufl 2017, § 43 Rd[X.] 63 mwN; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B, Oktober 2009, [X.] § 43 [X.]B X Rd[X.] 14 mwN).

Im konkreten Fall liegen die Voraussetzungen einer Umdeutung nach § 43 Abs 1 [X.]B X jedoch nicht vor. Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 [X.]B X und der Ersatzakt nach § 45 [X.]B X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 [X.] [X.]B X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 [X.]B X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 [X.]B X (dazu unter aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 [X.]B X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 [X.] [X.]B X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 [X.]B X (dazu unter bb).

aa) Der streitige Verwaltungsakt kann nicht in eine Rücknahme für die Vergangenheit umgedeutet werden; die Voraussetzungen für den Erlass eines Ersatzverwaltungsakts nach § 45 [X.]B X liegen nicht vor. Nach § 45 Abs 1 [X.]B X darf ein (im [X.]punkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 [X.]B X zurückgenommen (§ 45 Abs 4 [X.] [X.]B X). Soweit die [X.] den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 19.9.2011 mit dem ([X.] vom [X.] rückwirkend, dh für die [X.] vom 1.2.2011 bis zum [X.] aufgehoben hat, geben die Feststellungen des [X.] keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 [X.] 1 [X.]B X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 [X.]B X (Vorliegen von [X.] entsprechend § 580 ZPO; vgl hierzu Schütze in von [X.]/Schütze, [X.]B X, 8. Aufl 2014, § 45 [X.]B X Rd[X.] 72 mwN) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 beruht auch nicht auf Angaben, welche die [X.]lägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 [X.] 2 [X.]B X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 [X.] 3 Halbs 1 [X.]B X).

bb) Aber auch soweit der Verwaltungsakt vom 19.9.2011 in die Zukunft wirkt, liegen die [X.] nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 [X.] [X.]B X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 [X.]B X im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs 1 S 2 [X.]B I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung nach § 48 Abs 1 [X.] [X.]B X, wie sie die [X.] ausweislich des [X.] ihres ([X.]s vom [X.] getroffen hat, kann nach § 43 Abs 3 [X.]B X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (B[X.] Urteil vom 10.2.1993 - 9/9a [X.] - [X.]-3660 § 1 [X.] 1; B[X.] Urteil vom [X.] - B 7a [X.] 18/05 R - B[X.]E 95, 176 = [X.] 4-4300 § 119 [X.] 3; B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 37).

Eine Umdeutung ist hier auch nicht ausnahmsweise deshalb zulässig, weil auch eine Entscheidung gemäß § 45 Abs 1 [X.]B X "gebunden" wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Rücknahmeentscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der [X.]" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (B[X.] Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] 27 Rd[X.] 29; B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 37; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - [X.] - [X.] 427.3. § 335a LAG [X.] 54). Dies trifft hier nicht zu. Denn dass die [X.]omplettrücknahme des [X.]anspruchsgewährenden Verwaltungsakts im [X.] vom 19.9.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der [X.]lägerin (vgl dazu Senatsurteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - [X.] Aktuell 2015, 725, 729 - Juris Rd[X.] 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu [X.]/Waschull in [X.]/[X.], [X.]B X, 4. Aufl 2016, § 45 Rd[X.] 61 mwN; Siewert/[X.] in Fichte/[X.], Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl 2016, § 4 Rd[X.] 177 mwN), auszuschließen.

Die Möglichkeit zur Umdeutung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die [X.] im angefochtenen Bescheid vom [X.] den Anforderungen des § 45 [X.]B X genügende Ermessenserwägungen angestellt hätte. Wenn die [X.] darin ausführt, sie sehe sich nicht dazu in der Lage, "von der Aufhebung des bisherigen Bescheides für die Zukunft abzusehen, da in Fällen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen" sei, macht sie deutlich, dass sie (irrtümlich) davon ausging, eine gebundene Aufhebungsentscheidung treffen zu müssen und zu einer Ermessensausübung nicht befugt zu sein. Soweit sie weiter erklärt, die ihr "bekannten Umstände, die der Aufhebung des bisherigen Bescheides entgegenstehen könnten, … bei der Prüfung der genannten Voraussetzungen beachtet" zu haben, genügen diese pauschalen Ausführungen nicht den Anforderungen an eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 [X.]B I). Auch die Erklärung der [X.], sie sei davon ausgegangen, dass die Aufrechnung des Nach[X.]anspruchs der [X.]lägerin mit ihrem eigenen Rück[X.]anspruch "in Ihrem Interesse" (dh dem der [X.]lägerin) liege, stellt keine Ermessensausübung dar, sondern bezieht sich im [X.] auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" und bewegt sich damit vordergründig auf [X.] des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung (§ 76 Abs 2 [X.]B IV; vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 26/15 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 3 Rd[X.] 38 mwN).

c) Eine Umdeutung der Aufhebungsentscheidung in einen Widerruf des Bescheids vom 19.9.2011 (§§ 46, 47 [X.]B X) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen dafür sind nicht erfüllt.

Da die Voraussetzungen für den Erlass eines auf §§ 45, 46 oder 47 [X.]B X gestützten Ersatzverwaltungsakts - wie gezeigt - nicht vorliegen, lässt sich die Aufhebungsentscheidung auch nicht mittels Auswechseln der Rechtsgrundlage bzw durch Nachschieben von ([X.] aufrechterhalten. Denn auch dies ist unter solchen Umständen ausgeschlossen (vgl hierzu allg B[X.] Urteil vom [X.] [X.] 69/01 R - Juris Rd[X.] 16 ff).

d) Entgegen der Auffassung der [X.] war die sozialverwaltungsverfahrensrechtliche Aufhebung des Verwaltungsakts über die Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch nicht mit Rücksicht auf die Ruhensregelung des § 89 Abs 1 [X.] [X.]B VI entbehrlich. Bestehen für denselben [X.]raum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird gemäß § 89 Abs 1 [X.] [X.]B VI nur die höchste Rente geleistet. Dies ist vorliegend die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Vorschrift lässt den Anspruch auf Rente dem Grunde nach unberührt (B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 [X.]N 4/08 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 2 Rd[X.] 27; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B VI, 2. Aufl 2013, § 89 Rd[X.] 7), sodass bei konkurrierenden Rentenansprüchen iS des § 89 Abs 1 [X.] [X.]B VI beide Rentenansprüche dem Grunde nach nebeneinander bestehen bleiben (B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 [X.]N 4/08 R - [X.] 4-2600 § 89 [X.] 2 Rd[X.] 27; Fichte in [X.]/[X.], [X.]B, September 2011, [X.] § 89 [X.]B VI Rd[X.] 11). Damit trifft § 89 Abs 1 [X.] [X.]B VI aber ausschließlich eine materielle Regelung über den [X.]. Ist ein Rentenzahlanspruch - wie vorliegend - durch einen Bescheid festgestellt, so bedarf es zur Beseitigung dieses Zahlungsanspruchs, auch wenn er die niedrigere Rente betrifft, zwingend eines förmlichen Verwaltungsverfahrens. Eines solchen hat sich die [X.] zwar bedient, es jedoch mit einem materiell rechtswidrigen Aufhebungsbescheid abgeschlossen.

2. Auch das Erstattungsverlangen der [X.] im Bescheid vom [X.] ist materiell rechtswidrig. Die [X.] hat gegen die [X.]lägerin keinen Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 [X.] iVm Abs 3 [X.] [X.]B X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Jedoch ist der Verwaltungsakt im Bescheid vom [X.], mit dem die [X.] den Bescheid vom 19.9.2011 hinsichtlich des Renten[X.]anspruchs für die [X.] vom 1.2.2011 bis [X.] aufgehoben hat, rechtswidrig. Eine andere Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Erstattungsforderung kommt nicht in Betracht.

3. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 [X.] [X.]G.

Meta

B 13 R 33/15 R

25.05.2018

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Darmstadt, 27. Oktober 2014, Az: S 6 R 655/12, Urteil

§ 39 Abs 1 S 2 SGB 1, § 43 Abs 1 SGB 6, § 43 Abs 2 SGB 6, § 89 Abs 1 S 1 SGB 6, § 43 Abs 1 SGB 10, § 43 Abs 3 SGB 10, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 SGB 10, § 45 Abs 3 SGB 10, § 46 SGB 10, § 47 SGB 10, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 SGB 10, § 50 Abs 1 S 1 SGB 10, § 50 Abs 3 S 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.05.2018, Az. B 13 R 33/15 R (REWIS RS 2018, 8636)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8636

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 13 R 3/17 R (Bundessozialgericht)

Rückforderung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - nachträgliche Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung - …


B 5 R 26/15 R (Bundessozialgericht)

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - nachträgliche Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung - Rückforderung der …


B 5 R 26/16 R (Bundessozialgericht)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Urlaubsabgeltung während dauerhafter Arbeitsunfähigkeit - rentenschädlicher …


B 13 R 81/11 R (Bundessozialgericht)

Rente wegen voller Erwerbsminderung - Einkommensanrechnung - Jahressondersonderzahlung - Ruhen des Arbeitsverhältnisses


B 13 R 21/15 R (Bundessozialgericht)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - einmalig gezahltes Arbeitsentgelt während dauerhafter Arbeitsunfähigkeit - Urlaubsabgeltung - rentenschädlicher …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.