Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.03.2013, Az. VI R 46/11

6. Senat | REWIS RS 2013, 7110

STEUERRECHT AUTO BUNDESFINANZHOF (BFH) EINKOMMENSTEUER DIENSTWAGEN

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Gegenstand

Anwendungsvoraussetzung der 1 %-Regelung - Reichweite des Anscheinsbeweises beim angestellten Gesellschafter-Geschäftsführer


Leitsatz

1. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

2. Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen.

3. Dies gilt auch bei angestellten Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH. Auch in einem solchen Fall lässt sich kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts feststellen, dass ein Privatnutzungsverbot nur zum Schein ausgesprochen ist oder der (Allein-)Geschäftsführer ein Privatnutzungsverbot generell missachtet.

4. Nutzt der Gesellschafter-Geschäftsführer den betrieblichen PKW allerdings unbefugt privat, liegt kein Arbeitslohn, sondern eine vGA vor.

Tatbestand

1

I. Streitig ist der [X.]nsatz eines geldwerten Vorteiles wegen der privaten Nutzung eines Firmenwagens.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein gelernter Elektromonteur, war in den beiden Streitjahren --neben dem Mitgesellschafter [X.] zu 50 % am Stammkapital der Firma [X.] beteiligt. Die [X.] handelte mit Wasseraufbereitungsanlagen, Tankanlagen, [X.] und [X.]. Gemäß [X.]rbeitsvertrag vom 1. Januar 2003 war er dort als [X.]etriebsleiter tätig. Der [X.]rbeitsvertrag enthielt die [X.]estimmung, dass die Verwendung firmeneigener PKW und LKW zu privaten Zwecken "grundsätzlich" untersagt sei. Im Jahre 2006 wurde der Kläger als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der [X.] in das Handelsregister eingetragen. In den Streitjahren nutzte er einen von der [X.] geleasten PKW Kombi [X.]udi [X.]6 [X.]vant für Kundenbesuche (Verkauf und [X.]eratung) sowie zur Wartung und Reparatur der von der [X.] zu betreuenden [X.]utowasch- und Tankanlagen. [X.]us der Tätigkeit bei der [X.] erzielte der Kläger in den beiden Streitjahren (2003 und 2004) einen [X.]ruttoarbeitslohn von jährlich 16.200 €. Daneben erzielte er in den beiden Jahren als Gesellschafter-Geschäftsführer der unter seiner Wohnanschrift ansässigen Firma [X.] einen [X.]ruttoarbeitslohn von jährlich 48.000 €.

3

Der Kläger führte für die Streitjahre Fahrtenbücher für das ihm von der [X.] überlassene Fahrzeug, die der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) aus formalen Gründen (als Fahrziele sind teilweise nur die Firmennamen der besuchten Kunden, häufig ohne Orts- und/oder [X.], stets ohne Hausnummern angegeben worden) nicht anerkannte. [X.]usweislich dieser [X.]ufzeichnungen ist der PKW nur betrieblich genutzt worden. Fahrten zwischen Wohnung und [X.]rbeitsstätte haben danach im Jahre 2003 nicht und im Jahre 2004 lediglich am 17./18. März 2004 und 21./22. [X.]pril 2004 stattgefunden.

4

Die im September 2005 zur [X.] an beide Gesellschafter ([X.]udi [X.]6 an [X.], [X.]udi [X.]6 [X.]vant an den Kläger) bei der [X.] durchgeführte Lohnsteuer-[X.]ußenprüfung führte zur Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2003 und 2004. Das F[X.] machte sich die Prüfungsfeststellungen der Prüferin zu eigen, wonach ein [X.]eweis des ersten [X.]nscheins für eine auch private Nutzung des überlassenen PKW durch den Kläger aufgrund seiner Einflussmöglichkeiten als Gesellschafter-Geschäftsführer spreche, der vorliegend nicht durch die Führung der Fahrtenbücher entkräftet worden sei, weil diese wegen lückenhafter bzw. unvollständiger [X.]ngaben zu den beruflichen Fahrten und fehlender [X.]ngaben zu den Fahrten zwischen Wohnung und [X.]rbeitsstätte nicht ordnungsgemäß geführt worden seien. [X.]ls Gesellschafter-Geschäftsführer habe der Kläger unkontrolliert auch Privatfahrten durchführen können. Entsprechend setzte das F[X.] sowohl für Privatfahrten als auch für Fahrten zwischen Wohnung und [X.]rbeitsstätte die sich aus § 8 [X.]bs. 2 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebenden [X.] als Sachbezug an.

5

Der Einspruch des [X.] blieb ohne Erfolg. Die daraufhin erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) aus den in [X.] 2012, 1368 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

7

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] [X.]erlin-[X.]randenburg vom 13. [X.]pril 2011  14 K 14175/07 sowie die Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2007 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2003 und den Einkommensteuerbescheid für 2004 jeweils vom 29. Dezember 2006 insoweit abzuändern, als dass Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger [X.]rbeit für 2003 um 7.419,96 € und für 2004 um 7.644 € gemindert werden.

8

Das F[X.] ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren [X.] (Urteile des [X.] --BFH-- vom 6. November 2001 VI R 62/96, [X.], 142, [X.], 370; vom 7. November 2006 VI R 19/05, [X.], 256, [X.], 116; VI R 95/04, [X.], 252, [X.], 269; vom 4. April 2008 VI R 68/05, [X.], 17, [X.], 890; vom 28. August 2008 VI R 52/07, [X.], 12, [X.], 280; vom 21. April 2010 VI R 46/08, [X.], 228, [X.], 848; vom 6. Oktober 2011 VI R 56/10, [X.], 383, [X.], 362), und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den betrieblichen PKW privat nutzt (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 31/10, [X.], 167). Der Vorteil ist nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn --wie im Streitfall mittlerweile unstreitig-- kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten.

2. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das [X.] unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das [X.] hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat ([X.] vom 13. März 1997 I B 78/96, [X.] 1997, 772). Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor (BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 16/09, [X.], 34, [X.] 2011, 966, m.w.N.).

3. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler ist vorliegend zu beklagen. Der Schluss des [X.], dass dem Kläger von der A der streitige Firmenwagen in den Streitjahren arbeitsvertraglich auch zur privaten Nutzung überlassen worden ist, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Denn diese Erkenntnis beruht zum einen weniger auf festgestellten Tatsachen, als vielmehr auf der Vermutung, dass bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer wegen seiner herausragenden Position und dem damit verbundenen jederzeitigen Zugriff auf die betrieblichen PKW nach den Regeln des Anscheinsbeweises von einer privaten Nutzung der PKW auszugehen sei, wenn kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt werde und daher der tatsächliche Umfang der privaten Nutzung des durch den Arbeitgeber überlassenen Dienstwagens nicht feststehe.

Einen --auf der allgemeinen Lebenserfahrung gründenden-- Erfahrungssatz, nach dem ein angestellter Gesellschafter-Geschäftsführer generell arbeitsvertraglich vereinbarte [X.] nicht achten werde, vermag der [X.] nicht zu erkennen. Zwar mag es sein, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Arbeitnehmer --in Ermangelung einer "Kontrollinstanz"-- bei einer Zuwiderhandlung keine arbeitsrechtlichen oder gar strafrechtlichen Konsequenzen zu gewärtigen hat. Gleichwohl rechtfertigt dies einen entsprechenden steuerstrafrechtlich erheblichen Generalverdacht nicht. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht (BFH-Urteile in [X.], 228, [X.], 848; in [X.], 383, [X.], 362, und vom 21. März 2013 VI R 42/12, [X.], 180).

Vielmehr muss das [X.] auch in solchen Fällen mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, ob dem [X.] ein Firmenwagen arbeitsvertraglich zur privaten Nutzung überlassen worden ist (BFH-Urteil in [X.], 383, [X.], 362, m.w.N.).

b) Zum anderen fehlt es an belastbaren Feststellungen insoweit, als das Gericht der Auffassung ist, dass dem Kläger das streitige Fahrzeug auch zur Privatnutzung zur Verfügung gestellt worden sei, weil insoweit ein entsprechender Konsens unter den beiden Gesellschaftern bestünde. Es ist für den [X.] nicht nachvollziehbar, woher das [X.] diese Erkenntnis schöpft. In diesem Zusammenhang ebenfalls nicht tragfähig erscheint dem [X.] die Würdigung, nach der dem Kläger arbeitsvertraglich die private Nutzung "grundsätzlich", aber damit nicht "ausnahmslos" verboten war. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort "grundsätzlich" auch mit einem generalisierenden Bedeutungsgehalt im Sinne von "ohne Ausnahme" verwendet. Für eine anderslautende Lesart bedarf es deshalb über den Wortlaut des in den Streitjahren gültigen Arbeitsvertrages hinausgehender Anhaltspunkte.

4. Das [X.] wird nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze den hier streitigen Sachverhalt insbesondere dahingehend zu würdigen haben, ob der Kläger arbeitsvertraglich zur privaten Nutzung des geleasten [X.] befugt war. Diese Feststellungen kann auch der Beweis des ersten Anscheins nicht ersetzen. Das [X.] hat sich von der privaten [X.] vielmehr mit der erforderlichen Gewissheit zu überzeugen. Weitere Feststellungen, insbesondere zu den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen, sind jedoch nicht erforderlich. Denn die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt davon unabhängig zu einem lohnsteuerlichen Vorteil des Arbeitnehmers (BFH-Urteil vom 21. März 2013 VI R 31/10, [X.], 167), der nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten ist.

Sollte das [X.] hingegen feststellen, dass der Kläger den [X.] ohne entsprechende Gestattung der [X.] genutzt hat, liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung und kein Arbeitslohn vor. Denn die unbefugte Privatnutzung eines betrieblichen PKW hat keinen Lohncharakter ([X.]surteile vom 23. April 2009 VI R 81/06, [X.], 33, [X.], 262, und vom 11. Februar 2010 VI R 43/09, [X.], 354, [X.], 266).

5. Angesichts dessen braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob dem [X.] die von der Revision gerügten Verfahrensfehler unterlaufen sind ([X.]surteil vom 30. Juni 2011 VI R 80/10, [X.], 195, [X.] 2011, 948, m.w.N.).

Meta

VI R 46/11

21.03.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 13. April 2011, Az: 14 K 14175/07, Urteil

§ 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 8 Abs 1 EStG 2002, § 8 Abs 2 S 2 EStG 2002, § 8 Abs 2 S 3 EStG 2002, § 8 Abs 2 S 4 EStG 2002, § 6 Abs 1 Nr 4 S 2 EStG 2002, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.03.2013, Az. VI R 46/11 (REWIS RS 2013, 7110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7110

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(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 06.10.2011 VI R 56/10 - Keine Anwendung der 1 %-Regelung bei …


Referenzen
Wird zitiert von

6 K 154/18

6 K 172/17

11 Sa 961/13

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