Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.10.2008, Az. 5 StR 439/08

5. Strafsenat | REWIS RS 2008, 1680

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5 [X.][X.] vom 1. Oktober 2008 in der Strafsache gegen 1. [X.]wegen gefährlicher Körperverletzung - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 1. Oktober 2008 beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. April 2008 gemäß § 349 Abs. 4 [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Kör-perverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die Ange-klagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben Erfolg. 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 2 Am 13. Februar 2004 gegen 19.40 Uhr befanden sich die Angeklagten gemeinsam mit dem Geschädigten [X.]in dessen an einer [X.] in [X.] parkenden Fahrzeug. Der Angeklagte [X.]stieg mit einem ta-schenartigen Gegenstand aus und entfernte sich einige Meter. Er kam [X.], als es zwischen dem Angeklagten [X.]und dem Geschädigten zu Handgreiflichkeiten kam, die sich auf die [X.] verlagerten. Die Angeklag-ten schlugen sodann auf den Kopf des Geschädigten ein; nachdem dieser zu Boden gegangen war, traten sie gegen sein Gesicht. Als sich ein das [X.] - 3 - schehen beobachtender Passant, der Zeuge [X.]. , schreiend näherte, flüchteten beide Angeklagten. 2. Das [X.] hat seine Überzeugung von der Täterschaft der beiden zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten maßgeblich auf die Wiedererkennung durch den Geschädigten und den Zeugen [X.].

anhand von Lichtbildern gestützt. Dies hält jedoch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Denn durch die Urteilsgründe wird schon eine Identifizierung des An-geklagten [X.]durch die Zeugen nicht belegt. Zudem ist die Beweis-würdigung lückenhaft, da sie sich mit zahlreichen, für den Beweiswert einer [X.] wesentlichen Gesichtspunkten nicht auseinander-setzt. Auch die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten sprechenden Umstände werden nicht ausreichend erörtert. 4 5 a) Ein Wiedererkennen des Angeklagten [X.]als Täter durch den Ge-schädigten [X.]einerseits und den unbeteiligten Zeugen [X.]. anderer-seits [X.] wie vom [X.] seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt [X.] lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Anders als hinsichtlich des Ange-klagten [X.]war den beiden Zeugen eine sichere Identifizierung des Ange-klagten [X.]nicht möglich. Der Zeuge [X.]. hat vielmehr die Wahrschein-lichkeit, dass auf dem diesen Angeklagten abbildenden Lichtbild einer der Täter zu sehen ist, nur mit 50 Prozent angegeben. Nach der Vorlage von Einzellichtbildern dieses Angeklagten und einer erneuten Wahllichtbildvorla-ge hat der Zeuge die Wahrscheinlichkeit auf 60 Prozent erhöht. Der Geschä-digte [X.]hat bei einer Wahllichtbildvorlage den Angeklagten [X.]mit 80 bis 90 Prozent Sicherheit als einen Täter wiedererkannt. Soweit das [X.] ohne weitere Erörterungen diesen Zeugenaussagen unabhängig [X.] die Eignung zumisst, andere Personen als Täter auszuschließen, verkennt es die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung. Denn es nimmt nicht in den Blick, dass die Zeugen selbst Unsicherheiten hinsichtlich des Erkennens benannt haben und zu einem sicheren [X.] nicht in der Lage waren. Über diese von den Zeugen zum Ausdruck - 4 - gebrachten Zweifel hätte sich das [X.] nicht ohne weiteres hinweg-setzen dürfen. b) Die vornehmlich auf [X.]en beruhende Be-weiswürdigung leidet zudem an strukturellen [X.]. Denn das [X.] lässt eine Würdigung der Umstände vermissen, die für die Beur-teilung der Zuverlässigkeit des Wiedererkennens der Angeklagten durch die Zeugen bedeutsam sind (vgl. [X.] [X.] Kammer [X.] NJW 2003, 2444, 2445; [X.]R [X.] § 261 Identifizierung 6 und 16; [X.], 452; [X.], [X.] der [X.]. [X.]. 1383 ff.). 6 aa) So lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, anhand wel-cher Merkmale die Zeugen den Angeklagten [X.]wiedererkannt haben. Dies hätte gerade im Hinblick auf den Zeugen [X.]. vertiefter Erörterung bedurft, da er bei einer früheren Lichtbildvorlage diesen Angeklagten nicht als Täter erkannt hatte. Es wird zwar dargelegt, dass [X.]auf dem früher vorgelegten [X.]ld noch längere Haare und [X.] getragen habe, jedoch lassen sich die [X.] zu den maßgeblichen Anknüpfungstatsachen für die spä-tere Identifizierung den Urteilsgründen nicht entnehmen. Auf dieser Grundla-ge kann nicht beurteilt werden, ob die Veränderung der Haar- und [X.]tracht das widersprüchliche Ergebnis der Wahllichtbildvorlagen erklären kann. [X.] hat das [X.] nicht ersichtlich den Umstand in den Blick genom-men, dass auf der zweiten Wahllichtbildvorlage von den Vergleichspersonen nur der Angeklagte [X.]haarlos ist. Sollte dieses Merkmal für die [X.] maßgeblich gewesen sein, würde ihr Beweiswert erheblich gemin-dert (zu den Erfordernissen des Auswahlverfahrens bei der [X.] vgl. [X.]R [X.] § 261 Identifizierung 13 m.w.N.). 7 bb) Die Zuverlässigkeit der [X.] ist auch [X.] nicht nachvollziehbar, weil die von den Zeugen vor den Wahl-lichtbildvorlagen abgegebenen Täterbeschreibungen bzw. ihre Angaben, ob und anhand welcher Umstände ihnen eine Wiedererkennung überhaupt [X.] - 5 - lich war, nicht mitgeteilt werden. In diesem Zusammenhang hätte es sich hinsichtlich des Zeugen [X.]. auch empfohlen, die wesentlichen, die Wahr-nehmungssituation bestimmenden Determinanten, wie die Entfernung zu den Angeklagten und die Lichtverhältnisse in den Abendstunden eines Winterta-ges, näher zu erörtern (vgl. [X.], 452; OLG Düsseldorf StV 2007, 347; [X.] in [X.]/[X.], Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen 1990 S. 21). Angesichts dieser Darlegungslücken sind auch die Erwägungen nicht nachvollziehbar, mit denen das [X.] die der wiederholten [X.] innewohnenden Bedenken ([X.] aaO; [X.]R [X.] § 261 Identi-fizierung 12; [X.], 355) zu entkräften sucht. 9 10 cc) Bedenken begegnet darüber hinaus, dass das [X.], das die [X.] ausweislich des Urteils nur über die Polizei-beamten eingeführt hat, sich nicht dazu verhält, ob die Zeugen die Angeklag-ten in der Hauptverhandlung wiedererkannt haben. Obwohl einem [X.] einerseits in Fällen vorangegangener Wahl- und Einzellichtbildvorla-gen nur ein fragwürdiger Beweiswert zukäme ([X.] aaO; [X.], 350), hätte sich eine solche Erörterung aber aufgedrängt. Denn ein Nichtwie-dererkennen in der Hauptverhandlung wäre andererseits geeignet, die [X.] der früheren Identifizierung in Frage zu stellen ([X.], 297; [X.], [X.] Aufl. § 261 [X.]. 11b). c) Zudem setzt sich die [X.] nicht hinlänglich mit den sich aus den Urteilsgründen ergebenden, für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten [X.]relevanten Umständen auseinander. Zum einen schildert er die Körperverletzung als Teil eines Raubgeschehens, [X.] waren seine diesbezüglichen Angaben von —gravierenden [X.] gekennzeichnet, so dass hierauf eine Überzeugung nicht gestützt wer-den konnte. Zum anderen beruft sich der Zeuge als Erklärung für dieses [X.] auf eine —chronische Amnesiefi. Inwieweit dies Auswirkun-11 - 6 - gen auf die Zuverlässigkeit der [X.] haben könnte, lässt das [X.] unerörtert. Waren dies [X.] naheliegend [X.] unverschämte Ausflüchte, wäre auch ein solches Verhalten kritisch zu bewerten gewesen. Schließlich hat der Geschädigte [X.]

gegen den Angeklagten [X.]wegen eines Überfalls mit einem Messer auf ihn im Jahr 2005 eine Strafanzeige ge-stellt, die zur Einstellung des daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 [X.] geführt hat. Insoweit greift die Erwägung, es lägen keine Anhaltspunkte für eine unzutreffende Belastung vor, zu kurz. Weitere Ausführungen wären insbesondere deswegen von Bedeutung gewesen, weil der Zeuge [X.]im Laufe der Ermittlungen erst nach und nach die Ange-klagten als Täter namhaft gemacht hat; dabei lassen sich genauere [X.] hierzu, etwa wieso er immer weitergehende Erkenntnisse erlangen konn-te, den Urteilsgründen nicht entnehmen. 12 3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das neue Tatgericht in der Lage sein wird, auf tragfähiger Grundlage zu einem Schuldspruch zu gelan-gen. Zwar hat das [X.] für die DNA-Spuren der Angeklagten im Fahr-zeug eine andere Entstehungssituation für möglich gehalten, was indes auf einer fehlerhaften Anwendung des Zweifelssatzes beruhen könnte (vgl. [X.], 2322, 2324; [X.], 650; [X.], [X.] Aufl. § 261 [X.]. 26). Bei einer erneuten Verurteilung darf das neue Tatgericht wegen des Verschlechterungsverbots die vom [X.] im Tenor ausgewiesenen Freiheitsstrafen von jeweils elf Monaten nicht überschreiten. 13 Der Senat weist darauf hin, dass die vom [X.] in bewusster Abkehr von der neuen Rechtsprechung des [X.] (—Vollstre-ckungsmodellfi; vgl. [X.]St 52, 124) vorgenommene Art der Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK rechtsfehlerhaft ist, indes die allein revidierenden Angeklagten nicht beschwert. Die Argumente, die das [X.] hierfür angeführt hat, sind keinesfalls neu, sie haben vielmehr 14 - 7 - bei der Entscheidung des [X.] [X.] vom 17. Januar 2008 [X.] GSSt 1/07 [X.] bereits Berücksichtigung ge-funden ([X.] aaO [X.]. 51). [X.] Schaal Schneider Dölp

Meta

5 StR 439/08

01.10.2008

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.10.2008, Az. 5 StR 439/08 (REWIS RS 2008, 1680)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 1680

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