Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.10.2010, Az. V ZB 96/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 2136

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 96/10 vom 21. Oktober 2010 in der [X.]- 2 - Der [X.] hat am 21. Oktober 2010 durch [X.] [X.], [X.] Lemke, [X.] und [X.] und die Richterin [X.] beschlossen: Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen für die Einlegung der Rechts-beschwerde und ihre Begründung bewilligt. Auf die Rechtsmittel des Betroffenen wird der Beschluss der [X.] des [X.] aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 9. [X.] den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der [X.] auferlegt. Im Übrigen findet keine Auslagenerstattung statt. Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 •. - 3 - Gründe: [X.] 1 Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 29. Okto-ber 2009 mit dem Flugzeug aus [X.] kommend auf dem [X.]in das [X.] ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der [X.] zu 2 wies er sich mit einem [X.] Nationalpass aus und legte eine [X.] Aufenthaltserlaubnis vor. Beide Dokumente sind auf Aliasper-sonalien ausgestellt; das Passfoto gibt das Abbild einer anderen Person wieder. Der Betroffene wurde festgenommen. Er hatte bereits in [X.] einen Asylantrag gestellt und gab gegenüber den Beamten der Beteiligten zu 2 an, nunmehr in der [X.] Asyl beantragen zu wollen. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 30. Oktober 2009 nach § 427 Abs. 1 FamFG die vorläufige Freiheitsentziehung bis zum 11. Dezember 2009 angeordnet. 2 Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach [X.]. Am 30. Oktober 2009 stellte der Betroffene einen Asylantrag bei dem [X.] (nachfolgend [X.]), am 20. No-vember 2009 bei dem Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Zurückschiebung nach [X.]. Das [X.] rich-tete am 4. November 2009 ein Rückübernahmeersuchen an [X.]. 3 Das Amtsgericht hat am 9. Dezember 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen bis zum 20. Dezember 2009 angeordnet. Nachdem das Verwaltungsgericht den Vollzug der Abschiebung vorläufig [X.] hatte und der Betroffene am 16. Dezember 2009 aus der Zurückschie-bungshaft entlassen worden war, hat er mit der Beschwerde die Feststellung 4 - 4 - beantragt, dass die Haftanordnung rechtswidrig war. Das [X.] hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 10. Februar 2010 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung [X.], dass der Beschluss des Amtsgerichts und der Beschluss des Landge-richts ihn in seinen Rechten verletzt haben. I[X.] Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen des Haftgrunds nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] seien erfüllt. Die Absicht, sich der Zu-rückschiebung zu entziehen, folge aus dem Umstand der unerlaubten Einreise unter Verwendung falscher Ausweispapiere zum Zweck der [X.]. 5 Bis zur Entlassung des Betroffenen am 16. Dezember 2009 habe nicht festgestanden, dass die Zurückschiebung des Betroffenen nicht innerhalb der [X.] nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] habe erfolgen können. Der Haftrichter habe nicht die Rechtmäßigkeit der Zurückschiebung überprüfen müssen. Die Entscheidung des [X.] im Verfahren des einstwei-ligen Rechtsschutzes sei abzuwarten gewesen, weil [X.] nach [X.] nicht generell ausgesetzt seien. 6 Der Asylantrag habe der Anordnung der Haft wegen des von dem [X.] an [X.] gerichteten [X.] nicht entgegengestan-den. 7 Einen Verstoß gegen das Beteiligungserfordernis nach § 72 Abs. 4 [X.], das für [X.] ohnehin nicht gelte, habe der Betroffene nicht geltend gemacht. 8 - 5 - II[X.] 9 Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 10 1. Die nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 359, 360) Rechtsbeschwerde ist gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht einge-legt. 2. Der Betroffene kann mit der Rechtsbeschwerde allein die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung erreichen. Denn wenn - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über den Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 62 FamFG entschieden hat, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren allein um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Dabei ist inzident allerdings auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung zu prüfen (Senat, [X.] vom 22. Juli 2010 - [X.], Rn. 4, juris). Entsprechend legt der [X.] anhand der Rechtsbeschwerdebegründung den Antrag des Betroffenen aus. 11 3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. 12 a) Das Beschwerdegericht hat übersehen, dass nach dem Inhalt der [X.] ein Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) fehlte. Das Vorliegen eines solchen rechtswirksamen Antrags ist jedoch Verfah-rensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Die [X.] müssen entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag ent-halten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die [X.] ergeben. Letzteres ist hier ebenfalls nicht der Fall. Da beides fehlt, ist eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung in den 13 - 6 - [X.] nicht möglich (siehe zu allem Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 359, 360). 14 b) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist somit davon auszugehen, dass der Haftanordnung kein rechtmäßiger Antrag der Beteiligten zu 2 [X.] lag. Dieser Verstoß gegen die Vorschrift des § 417 Abs. 1 FamFG konnte durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2, welcher den Haftantrag enthält, in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt werden, weil es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfah-rensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert ([X.], Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], aaO). c) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht dem von dem Betroffenen bei dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ge-gen die Zurückschiebung nach [X.] keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen. 15 Zwar kommt nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] die Anordnung von [X.] bereits in Betracht, wenn zunächst eine zuverlässige Prognose über den Zeitpunkt der Zurückschiebung nicht gestellt werden kann (vgl. [X.] NJW 2009, 2659, 2660). So liegt es hier aber nicht. Wird - wie derzeit bei Überstellungen nach [X.] gemäß Art. 19 der [X.] [X.] - den bei den Verwaltungsgerichten gestellten Anträgen nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung des [X.] in der Regel entsprochen, hat der Haftrichter, wenn die Sache bei dem Verwaltungs-gericht anhängig gemacht worden ist, auf die Beschwerde des Betroffenen eine bereits angeordnete Haft nach § 426 FamFG aufzuheben (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 249, 251 f.). In diesen Fäl-len muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nicht inner-halb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss 16 - 7 - vom 25. Februar 2010 - [X.], aaO). An der überwiegenden verwal-tungsgerichtlichen Praxis in den sogenannten [X.]fällen hat sich [X.] nichts geändert (vgl. etwa zuletzt [X.], Beschluss vom 21. Mai 2010 - 2 BvR 1036/10, juris, Rn. 4ff.; VG Saarbrücken, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 2 L 424/10, juris, Rn. 7f.; [X.], Beschluss vom 7. Januar 2010 - 7 [X.]/09, juris, Rn. 25; [X.], Beschluss vom 10. Februar 2010 - [X.], juris, Rn. 7; [X.], Beschluss vom 17. Februar 2010, juris, Rn. 16ff.). 4. Die Entscheidung des [X.] ist somit aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). 17 Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts ist begründet. Wegen des Verstoßes gegen die Verfahrensgarantie der [X.] Antragstellung hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Be-troffenen in seinen Rechten verletzt. Dasselbe folgt daraus, dass das Amtsge-richt trotz Kenntnis des von dem Betroffenen bei dem Verwaltungsgericht ge-stellten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz davon ausgegangen ist, dass eine Zurückschiebung nach [X.] innerhalb von drei Monaten erfolgen konnte (§ 62 Abs. 2 Satz 4 [X.]). 18 [X.] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Rege-lung in Art. 5 Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, die [X.] Deutschland als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsver-19 - 8 - folgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen zu verpflich-ten. 20 2. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. [X.] Schmidt-Räntsch

Roth Brückner Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.] - 380 [X.]/09 B - [X.], Entscheidung vom 10.02.2010 - 84 T 499/09 [X.]/10 -

Meta

V ZB 96/10

21.10.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.10.2010, Az. V ZB 96/10 (REWIS RS 2010, 2136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2136

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