Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.12.2023, Az. B 4 AS 73/23 B

4. Senat | REWIS RS 2023, 9276

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Glaubwürdigkeit von Zeugen - persönlicher Eindruck


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 6. März 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit sind Leistungen nach dem [X.] zur Erstausstattung für Wohnraum.

2

Der Kläger, der seit Oktober 2017 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] bezieht, beantragte nach dem Einzug in eine Wohnung in der [X.] erfolglos die Übernahme von Kosten für verschiedene Einrichtungsgegenstände (Ablehnungsbescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Das [X.] verurteilte den Beklagten nach Zeugenvernehmung zur Zahlung von 219 Euro und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom [X.]): Teilweise sei die Klage - die Einrichtungsgegenstände Spüle und [X.] betreffend - mangels Verwaltungsverfahrens unzulässig. Im Übrigen (ua bezogen auf die Einrichtungsgegenstände Waschmaschine und Kühlschrank) sei die Klage unbegründet. Es sei angesichts seines aus der Vernehmung der Zeugen gewonnenen Eindrucks nicht davon überzeugt, dass diese die Waschmaschine ernsthaft vom Kläger herausverlangen wollten, sondern es sich um eine kostenfreie Zuwendung im Sinne einer unbefristeten Überlassung handele. Das L[X.] hat die Berufung des [X.] durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G zurückgewiesen. Hinsichtlich der Waschmaschine sei nach der durchgeführten Zeugenvernehmung des [X.] jedenfalls ein entsprechender Bedarf nicht ersichtlich; auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des [X.] werde gemäß § 153 Abs 2 [X.]G verwiesen (Beschluss vom 6.3.2023).

3

Mit seiner nach Bewilligung von PKH durch den Senat erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensmangel ua, dass das L[X.] keine eigene Zeugenvernehmung durchgeführt habe.

4

II. Dem Kläger ist gemäß § 67 [X.]G Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren. Vor der Bewilligung von PKH war er ohne Verschulden daran gehindert, die Beschwerde rechtzeitig einzulegen.

5

Die Beschwerde des [X.] ist zulässig und begründet im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache an das L[X.]. Jedenfalls die sinngemäß geltend gemachte Verletzung des aus § 117 [X.]G folgenden Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist noch hinreichend bezeichnet und liegt vor.

6

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erfordert ua, dass sich alle die Entscheidung treffenden [X.] einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gemacht haben, wenn sie über deren Glaubwürdigkeit befinden; der persönliche Eindruck, den andere [X.] einer früheren Verhandlung gewonnen haben, ist nur dann verwertbar, wenn er protokolliert oder auf sonstige Weise aktenkundig ist (vgl B[X.] vom 15.8.2002 - B 7 AL 66/01 R - [X.] 3-1500 § 128 [X.], juris Rd[X.]4; B[X.] vom 24.2.2004 - B 2 U 316/03 B - [X.] 4-1500 § 117 [X.] RdNr 5 = juris RdNr 7; B[X.] vom 24.6.2020 - B 4 [X.]/20 B - juris RdNr 8). Das L[X.] hat vorliegend seine Entscheidung tragend auf die Würdigung der vom [X.] gehörten zwei Zeugen gestützt, indem es sich auf deren “glaubwürdigen und glaubhaften Aussagen“ stützt. Tatsächlich hat das [X.] aber entscheidungserhebliche Zweifel (auch) an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen aufgezeigt, soweit sie zu ihren Vereinbarungen mit dem Kläger ausgesagt haben, und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Den Zweifeln hat sich das L[X.] angeschlossen, ohne die Zeugen selbst anzuhören. Dies ist verfahrensfehlerhaft, denn im Protokoll des [X.] und in den Akten finden sich keine Ausführungen dazu, welchen persönlichen Eindruck die Zeugen hinterlassen haben.

7

Auf dem vorliegenden Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das L[X.] bei Beachtung des § 117 [X.]G und eigener Vernehmung der Zeugen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Ob die weiteren vom Kläger gerügten Verfahrensfehler ebenfalls ausreichend bezeichnet wurden und vorliegen, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.

8

Gemäß § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

9

Das L[X.] wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren Gelegenheit haben, den Streitgegenstand im Einzelnen unter Berücksichtigung von § 99 [X.]G zu bestimmen, auch im Hinblick auf die erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Ansprüche für Schrankanbauten der Küche und eine Arbeitsplatte. Worüber in der Sache tatsächlich entschieden wurde und worüber mangels Zulässigkeit des Begehrens nicht, muss im Hinblick auf die Rechtskraft von Entscheidungen feststehen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem L[X.] vorbehalten.

        

[X.]

B. [X.]

Söhngen

Meta

B 4 AS 73/23 B

14.12.2023

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 31. Mai 2022, Az: S 148 AS 5794/19, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 117 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.12.2023, Az. B 4 AS 73/23 B (REWIS RS 2023, 9276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9276

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