Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2016, Az. XI R 19/14

11. Senat | REWIS RS 2016, 8273

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kindergeld: Ausbildungsdienststelle als regelmäßige Arbeitsstätte


Leitsatz

NV: Ist ein Auszubildender im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses, aus dem er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, der Ausbildungsdienststelle zugewiesen und sucht er diese fortdauernd auf, um dort seine für den Ausbildungszweck zentralen Tätigkeiten zu erbringen, so ist die Ausbildungsdienststelle regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG in der bis Ende 2013 geltenden Fassung .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 27. Februar 2014  2 K 663/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. [X.]treitig ist der Anspruch der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) auf Kindergeld für ihren im Juni 1988 geborenen [[[X.].].] ([X.]) für die [[[X.].].] Januar bis Dezember 2009 ([X.]treitzeitraum).

2

[X.] befand sich vom 1. Oktober 2008 bis zum 30. [X.]eptember 2011 in einer Ausbildung für den gehobenen nichttechnischen Dienst der [X.]teuerverwaltung. Er war dem Finanzamt [[X.].] ([[X.].]) zugewiesen und für die [[X.].] vom 6. Oktober 2008 bis zum 9. April 2009 an die [[X.].] in [[X.].] (FH) abgeordnet. [X.]ein Bruttoarbeitslohn belief sich im Kalenderjahr 2009 auf 11.697,48 €; er fuhr im [X.]treitzeitraum an 93 Tagen zum [[X.].] (einfache Entfernung 21 km).

3

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob mit --bestandskräftigem-- Bescheid vom 30. Oktober 2008 die Kindergeldfestsetzung für [X.] ab Januar 2009 auf, da dessen voraussichtlichen Einkünfte und Bezüge im [X.] den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung --E[X.]tG a.F.--) überschritten.

4

Am 24. [X.]eptember 2012 beantragte die Klägerin unter Beifügung einer Erklärung zu den Verhältnissen des [X.] für das abgelaufene Kalenderjahr 2009 Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 6. November 2012 ab. Den Einspruch der Klägerin wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2013 als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2014, 2053 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

7

Die 93 Fahrten des [X.] zwischen Wohnung und [[X.].] seien nach Reisekostengrundsätzen mit 0,30 € je gefahrenem Kilometer (insgesamt mit 1.171,80 € statt mit 585,90 €) anzusetzen, weshalb seine Einkünfte und Bezüge mit 6.899,07 € unter dem Jahresgrenzbetrag von 7.680 € lägen.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung, den Ablehnungsbescheid vom 6. November 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2013 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, der Klägerin für [X.] Kindergeld für die [[[X.].].] Januar bis Dezember 2009 zu gewähren.

9

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Einkünfte und Bezüge des [X.] haben den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG a.[X.]) in Höhe von 7.680 € überschritten.

1. Für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, bestand im [X.]treitzeitraum nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG a.[X.] ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als --im [X.]treitzeitraum-- 7.680 € im Kalenderjahr hatte. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 E[X.]tG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 22. Oktober 2009 III R 101/07, [X.], 200; vom 27. Februar 2014 III R 60/13, [X.], 421, B[X.]tBl II 2015, 27; vom 10. April 2014 III R 35/13, [X.], 207, B[X.]tBl II 2014, 1011).

2. Werbungskosten i.[X.]. des § 9 Abs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG sind Aufwendungen, die objektiv durch die berufliche Tätigkeit veranlasst sind und die subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden.

a) Hierzu können auch Fahrtkosten gehören, die grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen sind. Fahrtkosten sind jedoch nach § 9 Abs. 1 [X.]atz 3 Nr. 4 E[X.]tG a.[X.] nur nach den Regeln über die Entfernungspauschale abzuziehen, soweit es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte handelt. In diesem Fall sind pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte grundsätzlich 0,30 € anzusetzen (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, [X.], 431, B[X.]tBl II 2013, 234, und vom 18. [X.]eptember 2012 VI R 65/11, [X.], 517).

b) Regelmäßige Arbeitsstätte i.[X.]. des § 9 Abs. 1 [X.]atz 3 Nr. 4 E[X.]tG a.[X.] ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, [X.], 164, B[X.]tBl II 2012, 38). Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht; entsprechend kann auch eine Ausbildungsstätte im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei beruflichen Lehrgängen, Ausbildungsverhältnissen, Abordnungen oder Fortbildungsmaßnahmen den Charakter einer regelmäßigen Arbeitsstätte haben, wenn es sich um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt und der Arbeitnehmer diese dauerhaft, d.h. über einen längeren Zeitraum, aufsucht (vgl. z.B. [X.]-Urteile in [X.], 421, B[X.]tBl II 2015, 27, Rz 12; in [X.], 207, B[X.]tBl II 2014, 1011, Rz 12).

c) Nach diesen Maßgaben ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass das [X.] im betreffenden Zeitraum die regelmäßige Arbeitsstätte des [X.] bildete und dass für die Fahrten des [X.] zwischen Wohnung und dem [X.] die Entfernungspauschale anzusetzen ist.

aa) Das [X.] ist eine Einrichtung des Dienstherrn, der [X.] für die gesamte Dauer seiner Ausbildung vom 1. Oktober 2008 bis 30. [X.]eptember 2011 zugewiesen war und in der er fortdauernd und immer wieder seine durch den [X.] geprägte berufliche Leistung zu erbringen hatte; seine Ausbildung fand in einem herkömmlichen Ausbildungsverhältnis statt, in dessen Rahmen er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Anders als die Klägerin meint, kann ein Ausbildungsdienstverhältnis nicht allein deshalb als nicht dauerhaft angesehen werden, weil es üblicherweise auf zwei bis vier Jahre --im [X.]treitfall auf drei [X.] befristet ist (s. zu befristeten Arbeitsverhältnissen allgemein auch [X.]-Urteil vom 6. November 2014 VI R 21/14, [X.], 427, B[X.]tBl II 2015, 338; [X.] vom 16. Dezember 2015 VI R 6/15, [X.], 399). Der erkennende [X.]enat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des III. [X.]enats des [X.] (vgl. Urteile in [X.], 421, B[X.]tBl II 2015, 27, Rz 14; in [X.], 207, B[X.]tBl II 2014, 1011, Rz 14) aus den dort genannten Gründen an.

bb) Die Ausbildung im [X.] bildete auch [X.] des gesamten Ausbildungsdienstverhältnisses, weshalb sich das [X.] als der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des [X.] darstellte.

Das [X.] hat hierzu ausgeführt, dass [X.] zwar im [X.] und in der [X.] tätig gewesen sei, der [X.]chwerpunkt seiner Tätigkeit jedoch bei der Ausbildung im [X.] gelegen habe. Dies zeige sich bereits darin, dass er für die gesamte Dauer seiner Ausbildung dem [X.] zugewiesen gewesen sei, wogegen die theoretischen Abschnitte --im Wege der [X.] die Arbeit im [X.] unterbrochen hätten. Die Auffassung der Klägerin, [X.] habe den Mittelpunkt seiner Tätigkeit in der häuslichen Umgebung gehabt, vermöge nicht zu überzeugen. Zwar sei das [X.]elbststudium Bestandteil der Ausbildung, aber schon zeitlich betrachtet untergeordnet. Die Klägerin verkenne die tatsächliche Bedeutung der Arbeit des [X.] im [X.]. Die Tätigkeit dort diene keinesfalls nur dazu, die Organisation und büromäßige Erledigungen kennen zu lernen; vielmehr würden auch dort theoretische Kenntnisse vermittelt und insbesondere auch praktisch angewandt und vertieft.

Diese tatsächliche Würdigung des [X.] ist möglich, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. [X.]ie ist deshalb für den [X.] als Revisionsgericht bindend i.[X.]. von § 118 Abs. 2 [X.]O, auch wenn sie nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21. Oktober 2015 XI R 17/14, [X.], 190, Rz 23). Mit ihrem Vorbringen, die Ausbildung des [X.] im [X.] stelle nicht [X.] des Ausbildungsdienstverhältnisses dar, setzt die Klägerin lediglich ihre eigene Würdigung an die [X.]telle der --wie [X.] vertretbaren Würdigung des [X.].

d) [X.]chließlich waren für die Kalendertage, die [X.] im [X.] tätig war, keine Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5 [X.]atz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 [X.]atz 1 Nr. 5 E[X.]tG a.[X.] anzusetzen, da [X.] dort --wie ausgeführt-- seine regelmäßige Arbeitsstätte innehatte.

Nach der im [X.]treitzeitraum geltenden Rechtslage konnten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten nur [X.]teuerpflichtige geltend machen, die vorübergehend von ihrer Wohnung und dem Mittelpunkt ihrer dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig wurden (§ 4 Abs. 5 [X.]atz 1 Nr. 5 [X.]atz 2 E[X.]tG a.[X.] - Dienstreise) oder die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig wurden (§ 4 Abs. 5 [X.]atz 1 Nr. 5 [X.]atz 3 E[X.]tG a.[X.] – Einsatzwechseltätigkeit; vgl. hierzu [X.]-Urteil in [X.], 200, unter II.2.). Diese Voraussetzungen sind im [X.]treitfall, da es sich beim [X.] um die regelmäßige Arbeitsstätte des [X.] handelte, nicht erfüllt.

e) Ein Kindergeldanspruch der Klägerin für [X.] ist danach im [X.]treitzeitraum durch § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG a.[X.] ausgeschlossen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 19/14

13.07.2016

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 27. Februar 2014, Az: 2 K 663/13, Urteil

§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 S 2 EStG 2009, § 9 Abs 5 S 1 EStG 2009, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 EStG 2009, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2016, Az. XI R 19/14 (REWIS RS 2016, 8273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8273

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 30/14 (Bundesfinanzhof)

Fahrtkosten eines nebenberuflich studierenden Kindes - Gegenrüge des Revisionsbeklagten


III R 64/11 (Bundesfinanzhof)

Fahrtkosten eines nebenberuflich studierenden Kindes


VI R 14/12 (Bundesfinanzhof)

(Kindergeld: Fahrtaufwendungen als Werbungskosten - Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des …


VI R 99/10 (Bundesfinanzhof)

(Kindergeld: Minderung der Einkünfte um Zuzahlungen im Sinne des SGB V - Begriff der Einkünfte …


XI R 46/10 (Bundesfinanzhof)

(Keine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG a.F. zur Beseitigung eines …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.