Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2012, Az. III R 64/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 1118

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Gegenstand

Fahrtkosten eines nebenberuflich studierenden Kindes


Leitsatz

1. Bei der Prüfung, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. überschritten ist, sind Fahrtkosten eines Kindes, die ihm aus Anlass eines nebenberuflich ausgeübten Studiums entstehen, nicht mit der Entfernungspauschale zu berücksichtigen, sondern in tatsächlicher Höhe von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen.    

2. Eine vom Kind als Arbeitnehmer aufgesuchte arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte dar.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat einen [X.] ([X.]), der im Juni 2008 seine Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten erfolgreich abschloss und anschließend im erlernten Beruf arbeitete. Ab [X.]eptember 2008 nahm er ein berufsbegleitendes [X.]tudium an einer [X.] im Fachbereich [X.]teuerrecht auf. [X.]eitdem arbeitete er 28 Wochenstunden als Angestellter in einer [X.]teuerberaterkanzlei und besuchte an zwei bis drei Terminen je Woche (abends und auch an [X.]amstagen) die [X.] A bzw. B.

2

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) gewährte für den [X.]treitzeitraum Februar bis Dezember 2009 kein Kindergeld, weil der Grenzbetrag ihres Erachtens überschritten war. Bei ihrer Berechnung berücksichtigte sie die Fahrten des [X.] nicht mit den tatsächlich angefallenen Kosten, sondern setzte lediglich die Entfernungspauschale an. Auf diese Weise ermittelte sie Aufwendungen in Höhe von 1.363,50 €. Hieraus ergab sich eine Überschreitung des Grenzbetrags um 276 €.

3

Die Klägerin wandte sich im Einspruchs- und im Klageverfahren erfolglos gegen die Ablehnung ihres Kindergeldantrags.

4

Mit ihrer Revision bringt die Klägerin vor, dass ihrem [X.] Werbungskosten in Form von Fortbildungskosten in dem erlernten und ausgeübten Beruf entstanden seien. Zu diesen Kosten gehörten auch die Fahrtkosten zur Bildungseinrichtung. [X.]ie seien grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Eine Einschränkung sei nur bei Fahrten zu solchen Orten gerechtfertigt, an denen der Arbeitnehmer schwerpunktmäßig tätig werde. [X.] werde aber schwerpunktmäßig in der [X.]teuerberaterkanzlei tätig. Der Besuch der [X.] sei demgegenüber hinsichtlich des zeitlichen Umfangs nachgeordnet und zudem befristet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhe noch auf der zwischenzeitlich aufgegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Arbeitnehmern mit mehreren Arbeitsstätten. Es könne daher keinen Bestand haben.

5

Die Klägerin beantragt, die Familienkasse unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz, des Ablehnungsbescheids vom 4. Februar 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 2. März 2010 zu verpflichten, für [X.] Kindergeld für die Monate Februar bis Dezember 2009 festzusetzen.

6

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Im vorliegenden Fall sei nicht "eine" (Gesamt-)Tätigkeit des [X.]teuerpflichtigen, die sich in "Untertätigkeiten" aufgliedere, zu beurteilen, sondern verschiedene, nebeneinander bestehende Tätigkeiten. Der [X.]treitfall sei daher mit der Konstellation gleichzustellen, in welcher der [X.]teuerpflichtige zwei isolierten Beschäftigungen in Form von zwei verschiedenen Arbeitsverhältnissen nachgehe. Für jede dieser Beschäftigungen sei dann die jeweils "eine" regelmäßige Arbeitsstätte festzustellen. Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des [X.] ([X.]) seien daher nicht einschlägig, weil der Arbeitnehmer in den dort entschiedenen Fällen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses verschiedene Tätigkeitsorte aufsuchte. Auch das [X.]-Urteil vom 10. April 2008 VI R 66/05 ([X.]E 221, 35, B[X.]tBl II 2008, 825) zwinge zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung, weil das [X.]tudium des [X.] im [X.]treitfall mit einem unbefristeten Arbeitsverhältnis verglichen werden könne.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. [X.]ie führt zur [X.]ufhebung des angegriffenen Urteils, des [X.]blehnungsbescheids vom 4. Februar 2010 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2. März 2010 (§ 126 [X.]bs. 3 [X.]atz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Klägerin hat für den [X.]treitzeitraum einen [X.]nspruch auf die Festsetzung von Kindergeld für [X.].

9

1. a) Für ein Kind, das --wie [X.] im [X.]treitzeitraum-- das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in [X.]usbildung befindet, besteht nach § 62 [X.]bs. 1, § 63 [X.]bs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 [X.]bs. 4 [X.]atz 2 des Einkommensteuergesetzes  in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung (E[X.]tG) ein [X.]nspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und [X.]ezüge, die zur [X.]estreitung des Unterhalts oder der [X.]erufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat. Der [X.]egriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 [X.]bs. 2 E[X.]tG gesetzlich definierten [X.]egriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit, sind daher von den [X.]ruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.[X.]. [X.]enatsurteile vom 29. Mai 2008 III R 33/06, [X.], 1664; vom 22. Oktober 2009 III R 101/07, [X.], 200).

b) Nach § 32 [X.]bs. 4 [X.]atz 5 E[X.]tG bleiben bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 € [X.]ezüge außer [X.]nsatz, die für besondere [X.]usbildungszwecke bestimmt sind bzw. Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. [X.]olche besonderen [X.]usbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. [X.]usbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 E[X.]tG) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 [X.]bs. 4 [X.]atz 5 E[X.]tG von der [X.]umme der Einkünfte und [X.]ezüge abzuziehen. Dabei erfolgt die [X.]bgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines [X.]usbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den [X.]eruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den [X.]bzug der jeweiligen [X.]ufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der [X.]öhe nach zu beachten ([X.]-Urteil vom 22. [X.]eptember 2011 III R 38/08, [X.], 331, [X.][X.]t[X.]l II 2012, 338, m.w.N.).

c) Die in § 9 [X.]bs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG genannten Voraussetzungen für den [X.]bzug von Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger [X.]rbeit können auch bei berufsbezogenen [X.]ildungsmaßnahmen erfüllt sein ([X.]-Urteil vom 27. Oktober 2011 [X.] R 52/10, [X.], 444, [X.][X.]t[X.]l II 2012, 825). [X.]ls Werbungskosten abziehbar sind sämtliche [X.]ufwendungen, die im Zusammenhang mit der beruflichen [X.]ildungsmaßnahme stehen. [X.]ierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. [X.]ie sind grundsätzlich gemäß § 9 [X.]bs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG in tatsächlicher [X.]öhe zu berücksichtigen. Eine Einschränkung für den [X.]bzug von Fahrtkosten sieht das Gesetz in § 9 [X.]bs. 1 [X.]atz 3 Nr. 4 E[X.]tG nur für die [X.]ufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger [X.]rbeitsstätte vor. Eine vom [X.]rbeitnehmer besuchte arbeitgeberfremde [X.]ildungseinrichtung stellt --unabhängig davon, ob die [X.]ildungsmaßnahme die volle [X.]rbeitszeit des [X.]teuerpflichtigen in [X.]nspruch nimmt oder neben einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird-- nach der Rechtsprechung des [X.]. [X.]enats des [X.] keine regelmäßige [X.]rbeitsstätte in diesem [X.]inne dar ([X.]-Urteile vom 9. Februar 2012 [X.] R 44/10, [X.]E 236, 431; vom 9. Februar 2012 [X.] R 42/11, [X.]E 236, 439). Der erkennende [X.]enat schließt sich dieser [X.]uffassung an.

2. Die Vorentscheidung entspricht diesen Grundsätzen nicht. [X.]ie ist daher aufzuheben.

a) Die Kosten des [X.] für das Fachhochschulstudium sind als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 [X.]bs. 1 [X.]atz 1 E[X.]tG bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger [X.]rbeit zu berücksichtigen. Den erforderlichen Veranlassungszusammenhang hat das [X.] zu Recht bejaht. Um Kosten der [X.]erufsausbildung i.[X.]. von § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 E[X.]tG handelt es sich nicht (vgl. [X.]-Urteil vom 18. Juni 2009 [X.] R 14/07, [X.]E 225, 393, [X.][X.]t[X.]l II 2010, 816).

§ 4 [X.]bs. 9, § 9 [X.]bs. 6 und § 12 Nr. 5 E[X.]tG i.d.[X.] ([X.]) vom 7. Dezember 2011 ([X.], 2592), die nach § 52 [X.]bs. 12, 23d und 30a E[X.]tG i.d.F. des [X.] rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2004 gelten sollen, stehen dem Werbungskostenabzug im [X.]treitfall schon deshalb nicht entgegen, weil [X.] vor [X.]eginn seines berufsbegleitenden [X.]tudiums an der [X.] bereits eine [X.]usbildung zum [X.]teuerfachangestellten durchlaufen und damit eine erste [X.]erufsausbildung im [X.]inne dieser Vorschriften absolviert hat ([X.]-Urteile in [X.]E 236, 431 und in [X.]E 236, 439).

Da es sich bei den streitigen [X.]ufwendungen folglich um Werbungskosten handelt, die unmittelbar bei der Ermittlung der Einkünfte des [X.] i.[X.]. des § 32 [X.]bs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG zu berücksichtigten sind, bedarf es keiner --systematisch nachrangigen-- Korrektur der Einkünfte und [X.]ezüge gemäß § 32 [X.]bs. 4 [X.]atz 5 E[X.]tG (sog. ausbildungsbedingter Mehrbedarf).

b) Das [X.] ist --in Übereinstimmung mit der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.[X.]. [X.]-Urteil vom 29. [X.]pril 2003 [X.] R 86/99, [X.]E 202, 299, [X.][X.]t[X.]l II 2003, 749)-- davon ausgegangen, dass eine arbeitgeberfremde [X.]ildungseinrichtung grundsätzlich eine regelmäßige [X.]rbeitsstätte i.[X.]. des § 9 [X.]bs. 1 [X.]atz 3 Nr. 4 [X.]atz 1 E[X.]tG mit der Folge der [X.]nwendung der Entfernungspauschale darstellen kann. Dies ist jedoch nicht zutreffend. Zur [X.]egründung ist auf die [X.]-Urteile in [X.]E 236, 431 und in [X.]E 236, 439 zu verweisen.

3. Die [X.]ache ist spruchreif. Der [X.]enat kann durcherkennen. Die [X.]nzahl der Fahrten und die Entfernung zwischen der Wohnung des [X.] und der in [X.] bzw. [X.] gelegenen [X.] sind, wie die übrigen Positionen der [X.]erechnung ([X.]ruttolohn, [X.]ozialversicherungsbeiträge u.a.), zwischen den [X.]eteiligten unstreitig. Die tatsächlichen [X.]ufwendungen hat die Klägerin zulässigerweise mit den in [X.] 9.5 des Lohnsteuerhandbuchs 2009 vorgesehenen Pauschalen von 0,30 € je Fahrtkilometer, mithin mit insgesamt 2.727 € berechnet. Die Familienkasse hat die Fahrtaufwendungen bislang lediglich in [X.]öhe der Entfernungspauschale, also mit der [X.]älfte des genannten [X.]etrags berücksichtigt. Werden im Rahmen der Grenzbetragsprüfung weitere Kosten des [X.] in [X.]öhe von 1.363,50 € berücksichtigt, dann ist der Grenzbetrag unterschritten.

Meta

III R 64/11

22.11.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 14. Juli 2011, Az: 10 K 1009/10, Urteil

§ 9 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2009, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009 vom 22.12.2008, EStG VZ 2009, § 2 Abs 2 EStG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2012, Az. III R 64/11 (REWIS RS 2012, 1118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1118

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