Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.03.2013, Az. V B 112/11

5. Senat | REWIS RS 2013, 7731

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Gegenstand

Erlass von Nachzahlungszinsen


Leitsatz

NV: Es ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass eine Umsatzsteuernachforderung auch dann der Vollverzinsung nach § 233a AO unterliegt, wenn die Steuererhöhung allein darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich auf die Steuerfreiheit der von ihm erbrachten Leistungen verzichtet hat. Dies widerspricht nicht dem Grundsatz steuerlicher Neutralität.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt den Erlass von Nachzahlungszinsen und Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer für 2002.

2

Mit Bescheiden vom 25. Februar 2010 und vom 1. April 2010 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung ([X.]) und Aussetzungszinsen gemäß § 237 [X.] in Höhe von insgesamt 3.220.844 € fest. Die zugrunde liegende Umsatzsteuernachforderung beruht auf dem im [X.] erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung der im Jahr 2002 erfolgten Veräußerung eines bebauten Grundstücks.

3

Das [X.] lehnte den Erlassantrag des [X.] mit Bescheid vom 18. Februar 2011 ab. Die Sprungklage vor dem [X.] hatte keinen Erfolg.

4

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision und macht geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der [X.]sordnung --FGO--). Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob die Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf verspätet festgesetzte [X.] bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen mit Sinn und Zweck des § 233a [X.] vereinbar sei. Zudem erfordere die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des [X.] --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zu dieser Frage.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Eine Rechtssache hat nur grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des [X.] maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den [X.] erforderlich machen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 3. März 2011 V B 17/10, [X.]/NV 2011, 1105, unter [X.]; vom 27. Mai 2009 VI B 162/08, [X.]/NV 2009, 1435, unter 1.). Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage ist jedoch bereits durch die Rechtsprechung des [X.]s geklärt.

7

a) Der Kläger stützt die Beschwerde darauf, dass der [X.] zwar bereits entschieden habe, dass die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a [X.] im Fall einer nachträglich festgesetzten Umsatzsteuer grundsätzlich rechtmäßig sei ([X.]-Urteil vom 28. November 2002 V R 54/00, [X.]E 200, 38, [X.] 2003, 175). Jedoch seien zwischenzeitlich neue rechtliche Gesichtspunkte im Schrifttum vorgebracht worden, die einer neuen Klärung durch den [X.] bedürften. So habe sich der [X.] noch nicht mit der im Aufsatz von [X.] in [X.] ([X.]) 2011, 648 dargelegten Bedeutung des mehrwertsteuer-pflichtigen Neutralitätsprinzips für die Verzinsung nach § 233a [X.] auseinandergesetzt.

8

b) Es ist durch die [X.]-Rechtsprechung geklärt, dass eine Umsatzsteuernachforderung auch dann der [X.] nach § 233a [X.] unterliegt, wenn die Steuererhöhung --wie im [X.] allein darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich auf die Steuerfreiheit der von ihm erbrachten Leistungen verzichtet hat ([X.]-Urteil vom 5. Mai 2011 V R 39/10, [X.]/NV 2011, 1474). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 233a [X.], einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. [X.], die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. [X.] ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich bestanden, ist grundsätzlich unbeachtlich ([X.]-Urteile vom 23. Oktober 2003 V R 2/02, [X.]E 203, 410, [X.] 2004, 39, und in [X.]/NV 2011, 1474). Unerheblich ist deshalb, dass der Kläger dem Leistungsempfänger die Umsatzsteuer erst später aufgrund des Verzichts in Rechnung stellen konnte.

9

Hieran ist weiter festzuhalten. Weder aus dem vom Kläger angeführten Aufsatz von [X.] in [X.] 2011, 648 noch aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zur Entlastung wegen rechtmäßigem Alternativverhalten im Organhaftungsrecht ([X.]-Urteile vom 21. Juli 2008 II ZR 39/07, [X.] --DStR-- 2008, 1974; vom 11. Dezember 2006 II ZR 166/05, [X.], 310) ergibt sich neuer Klärungsbedarf.

c) Entgegen der Auffassung von [X.] in [X.] 2011, 648 folgt aus dem mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsprinzip nicht, dass bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen eine Verzinsung nach § 233a [X.] ausscheidet. Insbesondere lässt sich dem Neutralitätsprinzip nicht entnehmen, dass ein (potentieller) Liquiditätsvorteil des nachträglich zur Umsatzsteuerpflicht optierenden Unternehmers generell zu verneinen ist.

aa) Dies ergibt sich bereits daraus, dass Zinsen zur Umsatzsteuer keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter i.S. von Art. 401 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) haben (vgl. zu Art. 33 der [X.] vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/[X.]; [X.]-Urteil in [X.]E 200, 38, [X.] 2003, 175, m.w.N.). Der in der MwStSystRL verankerte [X.] der steuerlichen Neutralität (vgl. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- vom 19. Juli 2012 [X.]/11, [X.], [X.] 2012, 667) findet daher auf diese --nicht in der MwStSystRL geregelten-- steuerlichen Nebenleistungen keine Anwendung (vgl. zum Aspekt der Belastungsneutralität [X.]-Urteil in [X.]E 200, 38, [X.] 2003, 175).

bb) Darüber hinaus führt der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht dazu, dass Umsatzsteuer nur erhoben werden darf, wenn diese tatsächlich abgewälzt worden ist. Ebenso wie § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes sieht auch Art. 63 der MwStSystRL die sog. [X.] als Regelfall vor. Danach treten Steuertatbestand und Steueranspruch --unabhängig von der Erteilung einer Rechnung und der Entrichtung der [X.] zum Zeitpunkt der Leistungserbringung ein. Daraus ergibt sich, dass eine fehlende Abwälzung die [X.], die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines [X.] typischerweise entstehen, nicht zu beseitigen vermag.

d) In der Rechtsprechung geklärt ist auch die Frage, ob § 233a [X.] die Berücksichtigung eines fiktiven Sachverhalts vorsieht (verneinend [X.]-Urteil vom 24. Februar 2005 V R 62/03, [X.]/NV 2005, 1220, [X.] 2005, 627, unter II.2.c). Mit Urteil vom 30. März 2006 V R 60/04 ([X.]/NV 2006, 1434) hat der [X.] insbesondere entschieden, dass ein Vergleich der Liquidität des Steuerpflichtigen aufgrund seines "vorschriftswidrigen" Verhaltens mit der fiktiven Liquidität, die er besessen hätte, wenn er sich "vorschriftsmäßig" verhalten hätte, nicht erfolgen kann.

In der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des [X.] in DStR 2008, 1974 und [X.], 310 vermag der [X.] keine neuen Gesichtspunkte zu erkennen, die zu einer geänderten Beurteilung führen könnten. Die [X.] zivilrechtlichen Haftung eines Gesellschafter-Geschäftsführers angestellten-- Erwägungen des [X.] zur Frage, ob trotz des Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung ein Schadensersatzansprüche begründender unzulässiger Sondervorteil fehlt, sind auf die Verzinsung von [X.] nach § 233a [X.] nicht übertragbar.

2. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO), weil auch dieser Zulassungsgrund eine klärungsbedürftige Rechtsfrage voraussetzt ([X.]-Beschlüsse vom 29. September 2011 IV B 56/10, [X.]/NV 2012, 266, unter 1.b; vom 24. September 2009 IV B 126/08, [X.]/NV 2010, 37, Leitsatz 1).

3. Die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 74 FGO und die Vorlage der vom Kläger formulierten Vorlagefragen an den [X.] kommen nicht in Betracht.

a) Eine Vorlage an den [X.] zur Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] zur Frage, "ob die Festsetzung von Nachzahlungszinsen auf verspätet festgesetzte [X.] gemäß einer nationalen Norm wie § 233a [X.] bei einem Leistungsaustausch zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität vereinbar ist", ist nicht erforderlich. Die Rechtslage ist --entgegen der Auffassung des [X.] auch aus unionsrechtlicher Sicht eindeutig.

b) Der Grundsatz steuerlicher Neutralität steht einer Erhebung steuerlicher Nebenleistungen nicht entgegen (s. II.2.c). In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Zahlung von Zinsen festzulegen (vgl. zu Erstattungszinsen [X.]-Urteil vom 19. Juli 2012 [X.]/10, [X.] u.a., [X.]/NV 2012, 1563 Rdnr. 27). Die nach der [X.]-Rechtsprechung insoweit maßgeblichen Grundsätze der Effektivität und Neutralität wurden durch § 233a [X.] nicht verletzt.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.

Meta

V B 112/11

01.03.2013

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 9. November 2011, Az: 12 K 788/11, Urteil

§ 233a AO, § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst a UStG 1999, § 74 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, Art 63 EGRL 112/2006, Art 401 EGRL 112/2006, Art 267 Abs 3 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.03.2013, Az. V B 112/11 (REWIS RS 2013, 7731)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7731

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