Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2017, Az. IX ZR 204/16

9. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 1836

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Gegenstand

Widerruflichkeit eines Rechtsanwaltsvertrags als Fernabsatzgeschäft; Vorliegen eines organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems


Leitsatz

1. Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden.

2. Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des [X.] vom 22. Juli 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Anwaltshonorar. Der Beklagte beteiligte sich an einer [X.]. Er erhielt von der [X.] (fortan: [X.]) am 22. Januar 2014 ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und zur Rücksendung eines ausgefüllten Fragebogens und einer Vollmacht einlud. Dem Schreiben beigefügt war unter anderem eine auf die Klägerin lautende Rechtsanwaltsvollmacht. Die Klägerin hatte der [X.] Blankoformulare für eine Vielzahl von potentiellen, von der [X.] zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt.

2

Der Beklagte unterzeichnete die außergerichtliche Vollmacht und sandte sie zusammen mit den anderen von ihm vervollständigten Unterlagen an die [X.] zurück. Diese übermittelte die Unterlagen der Klägerin, die ohne Kontaktaufnahme mit dem Beklagten mittels eines Serienbriefes dessen Ansprüche gegenüber der [X.] geltend machte.

3

Nachdem die außergerichtliche Inanspruchnahme erfolglos geblieben war, forderte die Klägerin den Beklagten auf, eine weitere Vollmacht auf sie auszustellen, die auch die Prozessvertretung vorsah. Dies lehnte der Beklagte ab, woraufhin die Klägerin diesem ihr außergerichtliches Tätigwerden mit einer 1,3 Geschäftsgebühr in Rechnung stellte. Der Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 27. Mai 2014 und vom 30. Juni 2014 zurück, wobei er im erstgenannten Schreiben zugleich erklärte, vorsorglich mit sofortiger Wirkung die über die [X.] erteilten Vollmachten zu widerrufen.

4

Die auf Zahlung des [X.] nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision ist unbegründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Zwischen den Parteien sei ein [X.] dadurch zustande gekommen, dass der Beklagte mit der Rücksendung der unterzeichneten Vollmacht der Klägerin ein Angebot auf [X.] abgegeben habe, das diese durch Aufnahme der Anwaltstätigkeit angenommen habe. Der Beklagte habe diesen Vertrag jedoch wirksam nach §§ 312b, 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 [X.] in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (fortan: aF) widerrufen, weil es sich um ein widerrufliches Fernabsatzgeschäft handle und die Klägerin nicht dargelegt habe, dass kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bestehe.

II.

7

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

8

1. Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung angenommen, zwischen den Parteien sei durch das im Übersenden des ausgefüllten Vollmachtsformulars per Telefax liegende Angebot und die konkludent nach § 151 Satz 1 [X.] durch Aufnahme der anwaltlichen Tätigkeit erklärte Annahme ein [X.] zustande gekommen. Ob dies rechtlicher Nachprüfung standhält, kann dahinstehen. Ein entsprechender Vertragsschluss kann unterstellt werden. Dem geltend gemachten Zahlungsbegehren steht jedenfalls der vom Beklagten erklärte Widerruf nach §§ 312b, 312d Abs. 1 Satz 1, § 355 [X.] aF entgegen.

9

2. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen eines vom Beklagten ausgeübten Widerrufsrechts mit Recht bejaht hat. Dabei ist nur im Streit, ob der zwischen dem Beklagten als Verbraucher und der Klägerin als Unternehmerin (vgl. [X.], NJW 2015, 1289) geschlossene [X.] ein sogenannter Fernabsatzvertrag ist.

a) Im Streitfall sind nach Art. 229 § 32 Abs. 1 EG[X.] die auf die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz - Fernabsatzrichtlinie (ABl. Nr. L 144 S. 19; im Folgenden: [X.]) zurückgehenden Regelungen zum Fernabsatzrecht die §§ 312b bis 312e und § 355 [X.] aF anzuwenden. Nach § 312 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF sind Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen dann Fernabsatzverträge, wenn sie zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Diese Voraussetzungen können auch bei einem [X.] erfüllt sein (vgl. [X.]/[X.], Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl., [X.] Rn. 99; Rinkler in [X.]/[X.]/[X.]/Rinkler/[X.], Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 1 Rn. 43; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] u.a., [X.], 8. Aufl., § 312c Rn. 25; [X.] NJW 2014, 817).

aa) Anwaltsverträge sind Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung im Sinne von § 312b Abs. 1 Satz 1 [X.] aF und können als solche den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein. Der gegenteiligen Auffassung, wonach die Anwendung des [X.] bei [X.], bei denen eine persönliche Dienstleistung im Vordergrund stehe, allgemein nicht gerechtfertigt sei (vgl. [X.], NJW-RR 2016, 184, 185; [X.], Urteil vom 18. Mai 2017 - 35 C 434/16, juris; [X.] Offenbach, Urteil vom 9. Oktober 2013 - 380 C 45/13, juris, mit [X.]. [X.], NJW 2014, 817 und [X.], [X.] Fach 23, 977; [X.], [X.]. 2017, 92; [X.], 13. Oktober 2017 - 31 C 244/16, juris; [X.], [X.], 396 mit [X.]. [X.]), kann nicht gefolgt werden.

(1) Der Begriff der Dienstleistung im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 [X.] aF ist mit Blick auf den vom Fernabsatzrecht verfolgten Zweck und die unionsrechtliche Herkunft des Begriffs der Dienstleistungen weit auszulegen ([X.], Urteil vom 7. Juli 2016 - [X.], NJW 2017, 1024 Rn. 37 ff). Im [X.] geht es um Dienstverträge, die keine Arbeitsverträge sind, um Werk- und Werklieferungsverträge und [X.]. Gemeinsames Merkmal ist, dass eine entgeltliche, tätigkeitsbezogene Leistung an den Verbraucher erbracht wird, insbesondere gewerblicher, kaufmännischer, handwerklicher oder freiberuflicher Art ([X.], aaO Rn. 40 mwN). Hierzu können folglich auch Anwaltsverträge rechnen, die regelmäßig als Dienstleistungsverträge (vgl. [X.], Urteil vom 15. Juli 2004 - [X.], NJW 2004, 2817) oder - je nach dem Inhalt der übernommenen Leistung - auch als Werkvertrag (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juni 1996 - [X.], NJW 1996, 2929, 2930) einzuordnen sind.

(2) Für die Anwendbarkeit des § 312b Abs. 1 [X.] aF auf Anwaltsverträge sprechen auch Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz. Fernabsatzverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und der Verbraucher die vom Unternehmer angebotene Ware in der Regel nicht vor Vertragsschluss in Augenschein nehmen oder sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung verschaffen kann (vgl. Erwägungsgrund 14 der [X.]). Um der daraus erwachsenden Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers zu begegnen, wird ihm ein Widerrufsrecht eingeräumt ([X.], Urteil vom 12. November 2015 - [X.], [X.], 962 Rn. 30 mwN). Das Argument der Revision, der Verbraucher könne die Qualität der erbetenen Dienstleistung bei einem [X.] vorab nicht besser beurteilen, wenn er den Anwalt in seiner Kanzlei aufsuche, kann die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 312b Abs. 1 [X.] aF nicht in Zweifel ziehen. Zum einen kann sich der Verbraucher bei einer Vertragsanbahnung ohne persönlichen Kontakt keinen gleich umfassenden Eindruck vom Dienstleister und den zu erwartenden Dienstleistungen verschaffen. Zum anderen hat der Gesetzgeber in § 312b Abs. 3 [X.] aF - entsprechend Art. 3 der [X.] - einzelne, bestimmte Dienstleistungsverträge vom Anwendungsbereich des [X.] ausgenommen. Hierzu rechnet der [X.] nicht. Diese Ausnahmen wären nicht erforderlich gewesen, wenn § 312b Abs. 1 [X.] aF nicht auch solche Verträge erfasste, bei denen die Qualität der Waren oder der Dienstleistung auch bei persönlichem Kontakt nicht hinreichend sicher vorab beurteilt werden kann.

(3) Schließlich würde eine allgemeine Unanwendbarkeit des [X.] auf Anwaltsverträge der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die Existenz und Zulässigkeit sogenannter "Anwalts- oder [X.]" (vgl. [X.], Urteil vom 26. September 2002 - [X.], [X.]Z 152, 153; vom 30. September 2004 - [X.], NJW 2005, 1268), von "[X.]" (vgl. [X.], Urteil vom 30. September 2004 - [X.], [X.], 706) oder die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen über das [X.] (vgl. [X.] NJW 2008, 1298) belegen, dass sich auch Rechtsanwälte für abzuschließende Beratungsverträge moderner Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln bedienen. Der Schutz der Verbraucher gebietet es, die Normen des [X.] insbesondere in diesen Fällen auch auf Anwaltsverträge zu erstrecken.

bb) Der Vertrag ist unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ausgehend von den Feststellungen und Wertungen des Berufungsgerichts den [X.] - was möglich ist - durch schlüssiges Verhalten angenommen hat (vgl. [X.]/[X.], [X.], 73. Aufl., § 312b Rn. 8). Schon im Gesetzgebungsverfahren ist ausdrücklich darauf verwiesen worden, dass auch der Vertragsschluss nach § 151 [X.] als Fernabsatzgeschäft anzusehen sein soll (vgl. BT-Drucks. 14/2658, [X.]). Entscheidend ist, dass es ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien zum Vertragsschluss gekommen ist (Rinkler in [X.]/[X.]/[X.]/Rinkler/[X.], aaO § 1 Rn. 43). Auch die Einschaltung eines Boten, hier der [X.], steht der Annahme eines Fernabsatzvertrags nicht entgegen (vgl. [X.], Urteil vom 21. Oktober 2004 - [X.], [X.]Z 160, 393, 398 f), zumal auch zwischen dem Beklagten und der [X.] kein persönlicher Kontakt bestand, der die für [X.] typischen Defizite hätte ausgleichen können.

cc) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt sei. Dies geht zu ihren Lasten, weil sie die Darlegungs- und Beweislast trifft.

(1) Wird ein Vertrag - wie hier - ohne persönlichen Kontakt unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312b Abs. 2 [X.] aF geschlossen, wird widerleglich vermutet, dass der [X.] geschlossen wurde. Dies wird durch die Formulierung "es sei denn" in § 312b Abs. 1 Satz 1 [X.] aF zum Ausdruck gebracht. Es obliegt daher dem Unternehmer, in derartigen Fällen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt ist (MünchKomm-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 312b Rn. 68; [X.]/[X.], [X.], Neubearbeitung 2012, § 312b Rn. 54; Erman/[X.], [X.], 15. Aufl., § 312c Rn. 9; [X.]/[X.], aaO Rn. 97).

(2) Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der [X.] nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

(a) Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorliegt, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen (BT-Drucks. 14/2658, 30; [X.], Urteil vom 7. Juli 2016 - [X.], NJW 2017, 1024 Rn. 51 mwN). Ausreichend ist die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Ware (BT-Drucks. 14/2658, 85). Demgegenüber genügt es nicht, dass der Unternehmer auf seiner Homepage lediglich Informationen (etwa über seine Waren bzw. seine Dienstleistungen und seine Kontaktdaten) zur Verfügung stellt (vgl. Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2011/83/[X.] des [X.] und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der [X.] und der Richtlinie 1999/44/EG des [X.] und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des [X.] und des Rates; BT-Drucks. 17/12637, [X.]). Ebenso wenig könnte bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bejaht werden, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines [X.]s im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und [X.] vorhält, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich sind ([X.]/[X.], aaO Rn. 49; [X.]/[X.], [X.], 77. Aufl., § 312e Rn. 6; [X.], NJW 2014, 817, 819 f; [X.], aaO Rn. 43).

(b) Ob und gegebenenfalls welche weiteren (Mindest-)Anforderungen an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind, kann im Streitfall dahinstehen. Insofern kommt entgegen der Auffassung der Revision auch eine Vorlage an den [X.] nach Art. 267 A[X.]V nicht in Betracht. Denn im Streitfall ist es möglich, dass sich die Klägerin der [X.] bewusst bedient hat, um eine Vielzahl von Mandaten in [X.] ohne persönlichen Kontakt zu den potentiellen Mandanten und unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen. Ein solcher Strukturvertrieb oder ein diesem zumindest vergleichbares Vertriebssystem erfüllt die Voraussetzungen für ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem. Die Voraussetzungen des § 312b [X.] aF sind auch erfüllt, wenn der Unternehmer ein fremdes Organisations- und Dienstleistungserbringungssystem nutzt (vgl. BT-Drucks. 17/12637, [X.]; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 21).

Die Klägerin hat weder Tatsachen dargelegt noch unter Beweis gestellt, die eine solche Möglichkeit ausschließen. Vielmehr sprechen verschiedene Umstände für eine solche Möglichkeit. Die Klägerin überließ der [X.] eine Vielzahl von Blankoformularen. Die zum Vertragsschluss führende Abwicklung unter Einbeziehung der [X.] erfolgte für eine Vielzahl von Kapitalanlegerfällen. Für das Vorliegen eines organisierten Vertriebssystems spricht hier auch die Art der Kontaktaufnahme durch die [X.], sowie der Umstand, dass es sich bei dem von der Klägerin angestrebten [X.] um ein von der Klägerin mit standardisierten Schreiben abgewickeltes, überregionales Massengeschäft handelte, das auf Fernkommunikation ohne persönliche Kontaktaufnahme ausgerichtet war (zu diesem Gesichtspunkt bereits [X.], Urteil vom 9. Oktober 2013 - 380 C 45/13, juris). Da die Klägerin zu ihren Beziehungen und Vereinbarungen mit der [X.] nicht näher vorgetragen hat, ist sie ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Für das Fehlen eines für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystems ist sie beweisfällig geblieben.

(c) Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob das Vorhalten einer Kanzlei, die der Mandant aufsuchen kann, das Vorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems in Frage zu stellen vermag. Ob und wie eine Kanzlei neben einer möglichen Bewältigung von Fernabsatzgeschäften auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von [X.] nutzt, ist zur Beurteilung des konkreten Vertrages unerheblich; nicht erforderlich ist, dass der Unternehmer sein gesamtes Geschäft über Fernkommunikationsmittel abwickelt (vgl. BT-Drucks. 14/2658, [X.]; [X.]/[X.], aaO, § 312b Rn. 47; Schmidt-Räntsch in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 312b Rn. 24; [X.], NJW 2014, 817, 819). Auch spätere persönliche Kontaktaufnahmen nach Vertragsschluss, selbst wenn diese von Anfang an geplant und gewünscht waren, könnten die mit einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag verbundenen Gefahren nicht beseitigen; eine hiervon abweichende Betrachtungsweise liefe dem Schutzzweck des [X.] zuwider ([X.], Urteil vom 7. Juli 2016, aaO, Rn. 53).

b) Der Beklagte konnte daher den [X.] nach § 355 [X.] aF widerrufen. Er hat dies entweder - wie das Berufungsgericht meint - mit Schreiben vom 30. Juni 2014 oder durch seine Erklärung vom 27. Mai 2014 getan, in der er hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, sich von einer etwaigen vertraglichen Beziehung mit der Klägerin lösen zu wollen. Gemäß Art. 229 § 32 Abs. 2 Nr. 3 EG[X.] erlosch das Widerrufsrecht bei Verträgen, die - wie hier - vor dem 13. Juni 2014 geschlossen wurden und bei denen der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht nach § 312d [X.] aF belehrt wurde, erst mit Ablauf des 27. Juni 2015.

c) Die von der Revision aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Bestimmtheitsgebot abgeleiteten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 312b Abs. 1 [X.] aF bestehen nicht. Eine Vorlage an das [X.] ist nicht veranlasst. Insbesondere unter Berücksichtigung des [X.] lässt sich eine hinreichend zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der §§ 312b ff [X.] aF gewinnen (vgl. auch [X.] NJW-RR 2009, 1141: Nichtberücksichtigen eines Widerrufsrechts nach §§ 312b, 355 [X.] kann verfassungswidrig sein). Dass der Unternehmer nur unter den Voraussetzungen des § 312e Abs. 2 [X.] aF Wertersatz für vor dem Widerruf erbrachte Leistungen erhält, ist aus Gründen des Verbraucherschutzes sachlich gerechtfertigt und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Kayser     

      

Lohmann     

      

Pape   

      

Schoppmeyer     

      

Meyberg     

      

Meta

IX ZR 204/16

23.11.2017

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Flensburg, 22. Juli 2016, Az: 7 S 53/15

§ 312b Abs 1 BGB vom 17.01.2011, § 312d Abs 1 S 1 BGB vom 04.07.2013, § 355 BGB vom 29.07.2009

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2017, Az. IX ZR 204/16 (REWIS RS 2017, 1836)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 260-262 WM2018,395 REWIS RS 2017, 1836

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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