Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.05.2010, Az. V B 80/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 6349

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Gegenstand

Zu den Anforderungen an eine Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung


Leitsatz

1. NV: Für die Aussetzung der Vollziehung genügt es, wenn die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht von vornherein als unbeachtlich angesehen werden können und sowohl für das eine wie für das andere Ergebnis gewichtige Gründe sprechen.

2. NV: Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist zur Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) eine Druckerei. Zu ihrer Fertigung zählen u.a. Rohlinge von Ersttagsblättern und Ganzsachen (Briefumschläge, [X.]karten und dergleichen mit aufgedruckten [X.]wertzeichen) nebst dazu gehörenden Briefmarken bzw. Druckvorlagen für Briefmarken. Nach dem Aufkleben bzw. dem Aufdruck der Briefmarken auf die Rohlinge der Ersttagsblätter und Ganzsachen liefert die Beschwerdeführerin diese Produkte vornehmlich an die Niederlassung … ([X.]), die sie ihrerseits an Briefmarkensammler weiterverkauft. Darüber hinaus bezieht die Beschwerdeführerin [X.] und -alben, die sie vor dem Weiterverkauf mit vollständigen Briefmarkensammlungen bestückt. Der Preis dieser Sammlungen und Mappen entspricht dabei dem Wert der von ihnen eingeschlossenen [X.]wertzeichen. Ferner betreffen die Drucksachen der Beschwerdeführerin sogenannte Klappkarten. Diese werden bei der Einführung neuer Briefmarken von der [X.] im Allgemeinen an Medienvertreter ausgegeben, um über den Anlass für die Ausgabe einer neuen Briefmarke, deren Gestaltung oder dafür verantwortliche Grafiker zu informieren. In diese Klappkarten sind dabei jeweils ein oder mehrere Exemplare der neu ausgegebenen Briefmarke eingeklebt.

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Im [X.] an eine bei der Beschwerdeführerin durchgeführte Außenprüfung änderte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre (1997 bis 2000) und besteuerte die Umsätze der Beschwerdeführerin aus der Lieferung von Ersttagsblättern, Ganzsachen, Klappkarten, [X.] und -alben nicht mehr mit dem ermäßigten Steuersatz aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG), sondern mit dem Regelsteuersatz. Über den Einspruch gegen die Bescheide hat das [X.] noch nicht entschieden.

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Das Finanzgericht ([X.]) lehnte, nach Ablehnung des entsprechenden Antrags durch das [X.], den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide ab. Zur Begründung führte das [X.] im Wesentlichen aus, es beständen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geänderten Umsatzsteuerbescheide. Die Umsätze der Beschwerdeführerin seien weder von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 49 Buchst. a der Anlage noch von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 49 Buchst. f der Anlage erfasst. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 49 Buchst. f der Anlage finde keine Grundlage im Gemeinschaftsrecht und sei deshalb richtlinienkonform eng auszulegen. Die in Nr. 49 Buchst. f der Anlage genannten Briefmarken, Ersttagsblätter, Ganzsachen und dergleichen setzten voraus, dass sie als [X.]wertzeichen zur Abgeltung von [X.]dienstleistungen gewidmet seien. Die Herausgabe neuer [X.]wertzeichen mit dem Aufdruck "[X.]" sei gemäß § 43 Abs. 1 des [X.]gesetzes ([X.]G) i.d.[X.] vom 22. Dezember 1997 ([X.], 3294) dem [X.] ([X.]) vorbehalten. Auch die Vervielfältigung und Verwendung der vom [X.] herausgegebenen [X.]wertzeichen zur Abgeltung von [X.]dienstleistungen bedürfe gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 [X.]G dessen Erlaubnis. Der Verkauf neu herausgegebener [X.]wertzeichen könne deshalb erstmals nur durch die [X.] oder andere Anbieter von [X.]dienstleistungen, die für die Erlaubnis zur Verwendung von herausgegebenen [X.]wertzeichen gegenüber dem [X.] gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 [X.]G Gebühren und Auslagen zu entrichten hätten, erfolgen. Durch die Lieferung der Auflagenproduktion von [X.]wertzeichen an die [X.] entständen noch keine amtlichen [X.]wertzeichen.

4

Außerdem habe die Beschwerdeführerin die Briefmarken, Ersttagsblätter und Ganzsachen auch nicht als Sammlungsstücke an die [X.] geliefert.

5

Für die Klappkarten gelte nichts anderes. Sie seien nicht als Bücher, Zeitungen oder andere Erzeugnisse des grafischen Gewerbes i.S. von Nr. 49 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG anzusehen, weil ihnen über die aufgedruckten oder aufgeklebten Briefmarken hinaus kein eigener Produktcharakter zukomme. Die [X.] habe sie nicht wegen ihres Informationsgehaltes bezogen. Außerdem hätten die Klappkarten, soweit sie auf instruktiven Informationen aufgebaut seien, überwiegend Werbecharakter. Das aber schließe die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus.

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Mit der vom [X.] gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zugelassenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geltend, eine richtlinienkonforme enge Auslegung einer Norm komme nur in Betracht, wenn sie bei weiter Auslegung gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben verstoße, diesen bei enger Auslegung aber entspreche. Auch die vom [X.] vertretene enge Auslegung, der zufolge Briefmarken u.ä. eine entsprechende Widmung voraussetze, führe nicht zur Richtlinienkonformität der Nr. 49 Buchst. f der Anlage. Die Auslegung durch das [X.] führe lediglich dazu, dass ihr, der Beschwerdeführerin, entgegen dem Wortlaut der Nr. 49 Buchst. f die Möglichkeit genommen werde, sich auf das ihr günstigere nationale Recht zu berufen.

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Der Begriff der "Briefmarke" finde sich auch in der Kombinierten Nomenklatur (KN), auf die Nr. 49 Buchst. f der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG verweise, und sei daher zollrechtlich auszulegen. Der auch für das Umsatzsteuerrecht maßgebende Begriff "Briefmarke" setze weder eine Widmung noch eine amtliche Ausgabe voraus, sondern verlange nur die potentielle Eignung der Briefmarke, die Zahlung des [X.] nachzuweisen. Da ihre Produkte diese Voraussetzung erfüllten, könnten sie auch Sammlungsstücke darstellen. Ob die [X.] sie für eigene Sammlungszwecke verwende, sei unerheblich. Entscheidend sei insoweit die Verkehrsauffassung und die Tatsache, dass die Lieferungen an die [X.] für Sammlermarken erfolgten und damit für den Sammlermarkt bestimmt seien. Bei den Ersttagsblättern, Ganzsachen und Briefmarkenalben handele es sich ohnehin um Sammlungsstücke.

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Hinsichtlich der Klappkarten komme es nicht darauf an, ob die [X.] diese ähnlich einem Buch, einer Zeitung oder einer ähnlichen Publikation wegen des Informationsgehalts des Textes bezogen habe. Den Klappkarten komme nach der Verkehrsauffassung Informationsgehalt zu, weil sie an Medienvertreter ausgegeben würden, um über den Anlass für die Herausgabe einer neuen Briefmarke, deren Gestaltung oder über den verantwortlichen Grafiker zu unterrichten.

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Es sei auch unzutreffend, dass die Klappkarten überwiegend Werbezwecken dienten. Das scheide schon deshalb aus, weil Briefmarken kein Produkt der [X.] seien, sondern ein Nachweis für eine Entgeltzahlung. Für Briefmarken bedürfe es auch keiner Werbung, weil die Inanspruchnahme typischer [X.]dienstleistungen zwingend die Verwendung von Briefmarken voraussetze.

Das [X.] beantragt sinngemäß, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 [X.]O statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.

1. Die Beschwerde ist zulässig, weil das [X.] die Beschwerde gegen seine Entscheidung im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ([X.]) gemäß § 128 Abs. 2 [X.]O zugelassen hat.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O soll das [X.] die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ist --wie im Streitfall durch Zahlung der [X.] der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der [X.] die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 [X.]O). Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 [X.]O). Ernstliche Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 8. März 2006 [X.], [X.], 1527, m.w.N.). Derartige Zweifel bestehen vorliegend.

Das [X.] hat seine Entscheidung zwar sehr eingehend begründet und gewichtige Argumente für seine Auffassung angeführt. Demgegenüber hat die Beschwerdeführerin aber Ausführungen gemacht, die nicht von vornherein als unbeachtlich angesehen werden können. Sie hat näher ausgeführt, warum ihrer Auffassung nach das Gemeinschaftsrecht keine enge Auslegung der Begünstigungsnorm gebiete und ihr eine unangemessen enge Auslegung die Berufung auf das für sie günstigere nationale Recht verwehre. Sie hat auch ausgeführt, weshalb ihre Produkte den Begriff der Briefmarke erfüllten und dargelegt, weshalb sich die Definition nicht auf das [X.] [X.] stützen könne. Schließlich hat sie auch zu den zollrechtlichen Aspekten der Streitfrage Stellung bezogen. Das [X.] hat sich in seinem Beschluss umfassend mit der Argumentation der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen können aber im vorliegenden Verfahren, das nur eine summarische Prüfung gebietet, nicht abschließend beurteilt werden. Es genügt, dass sowohl für das eine als auch für das andere Ergebnis gewichtige Gründe sprechen und somit den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide das Merkmal der Ernstlichkeit nicht bestritten werden kann. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist zur Aussetzung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 [X.]O nicht zu fordern ([X.] vom 3. Dezember 2001 [X.], [X.] 2002, 482; vom 5. November 1998 [X.]/98, [X.] 1999, 468; vom 12. Oktober 1988 [X.], [X.] 1989, 445; vom 24. Oktober 1967 [X.], [X.], 532, [X.] 1968, 229, m.w.N.).

Meta

V B 80/09

26.05.2010

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 26. Juni 2009, Az: 7 V 7314/08, Beschluss

§ 12 Abs 2 Nr 1 UStG 1999, § 69 Abs 2 FGO, § 69 Abs 3 FGO, § 43 Abs 1 PostG, § 43 Abs 2 PostG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.05.2010, Az. V B 80/09 (REWIS RS 2010, 6349)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6349

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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