Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.01.2012, Az. I R 30/10

1. Senat | REWIS RS 2012, 10261

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil I R 25/10 vom 11.01.2012 - Kapitalertragsteuer bei beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der französischen "societe par actions simplifiee" (S.A.S.) - Unionsrechtsmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit - Erstattungsverfahren - Zuständigkeit - Verfahrensrechtliche Umsetzung unionsrechtlicher Anforderungen im nationalen Steuerrecht)


Leitsatz

1. NV: Eine französische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "societe par actions simplifiee" (S.A.S.) war bis zum 15. Dezember 2004 nicht als "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" i.S. von Art. 2 Buchst. a i.V.m. Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435/EWG anzusehen. Dividendenzahlungen an eine solche Gesellschaft durch ihre deutsche Tochtergesellschaft erfüllten damit weder unmittelbar noch analog die Voraussetzungen des § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. Anlage 2 Nr. 1 zu § 43b EStG 2002 (Anschluss an EuGH-Urteil vom 1. Oktober 2009 C-247/08, Slg. 2009, I-9225) .

2. NV: Die Körperschaftsteuer für Kapitalerträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 dem Steuerabzug unterliegen, ist bei einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Bezieherin der Einkünfte nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch den Steuerabzug abgegolten. Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, werden infolgedessen wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden. Darin liegt ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 EG (Anschluss an EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 C-284/09 "Kommission ./. Deutschland", DStR 2011, 2038, sowie an Senatsurteil vom 22. April 2009 I R 53/07, BFHE 224, 556) .

3. NV: Die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer kann, wenn die Voraussetzungen des § 50d Abs. 1 EStG 2002 nicht erfüllt sind, die Einbehaltung und Abführung aber gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt, auf eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 gestützt werden. Zuständig für die Entscheidung über ein solches Erstattungsbegehren ist das FA, nicht das BZSt (Bestätigung und Fortführung der ständigen Senatsrechtsprechung) .

Tatbestand

1

I. Es geht im Streitfall um die Konsequenzen im [X.] an die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, jetzt des Gerichtshofs der [X.], --[X.]-- vom 1. Oktober 2009 [X.]/08, "[X.]" ([X.]. 2009, [X.]) sowie vom 20. Oktober 2011 [X.]/09 "[X.]" ([X.] Steuerrecht --DStR-- 2011, 2038).

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine in [X.] ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" ([X.]). Sie ist alleinige Anteilseignerin einer inländischen GmbH, der [X.], die im Juli 2001, dem streitgegenständlichen Zeitraum, Gewinne an die Klägerin ausgeschüttet hatte.

3

Durch Bescheid vom 8. März 2001 war der Klägerin vom Beklagten und [X.], dem seinerzeitigen [X.] ([X.]) und heutigen [X.] (BZSt), nach Maßgabe von § 50d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung des [X.] vom 23. Oktober 2000, [X.], 1433) --EStG 1997 n.F.-- antragsgemäß bescheinigt worden, dass die [X.] als Schuldnerin der Kapitalerträge berechtigt sei, den Steuerabzug für die Kapitalerträge der Klägerin [X.] des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997 n.F. nach dem Abkommen zwischen der [X.] und der [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 ([X.] 1961, 398) in der Fassung des [X.] vom 20. Dezember 2001 ([X.] 2002, 2370) --DBA-[X.]-- in ermäßigter Höhe von 5 v.H. des Bruttoertrags vorzunehmen. Die [X.] hatte daraufhin Kapitalertragsteuer in Höhe von 5 v.H. der an die Klägerin geleisteten Dividendenzahlungen angemeldet und an das zuständige Finanzamt abgeführt.

4

Am 24. Juli 2002 beantragte die Klägerin beim [X.] die Erstattung auch dieser Kapitalertragsteuer. Das [X.] lehnte den Antrag ab. Die Klägerin sei keine Muttergesellschaft [X.] von § 43b Abs. 2 EStG 1997 n.[X.]. Art. 2 der Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/[X.], [X.], 6) [X.] 90/435/[X.]--; die Rechtsform der [X.] sei in der Liste der Gesellschaften, welche unter Art. 2 Buchst. a jener Richtlinie fallen, und damit auch in der Anlage 2 zu § 43b EStG 1997 n.F. nicht aufgeführt; die Liste sei abschließend. Eine Vollerstattung der Kapitalertragsteuer komme deswegen nicht in Betracht.

5

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos ([X.], Urteil vom 28. Januar 2010  2 K 4328/03, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 809), nachdem der [X.] durch Urteil in [X.]. 2009, [X.] auf Vorabentscheidungsersuchen ebenfalls des [X.] (Beschluss vom 23. Mai 2008  2 K 3527/02, [X.], 1391) in einem --zwischenzeitlich durch Klageabweisung rechtskräftig abgeschlossenen ([X.], Urteil vom 28. Januar 2010  2 K 3527/02, [X.], 971)-- Parallelverfahren wie folgt entschieden hatte:

6

"1. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs dahin auszulegen, dass eine [X.] Gesellschaft in der Rechtsform einer 'société par actions simplifiée' nicht als 'Gesellschaft eines Mitgliedstaats' im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann, bevor diese durch die Richtlinie 2003/123 geändert wurde.

7

Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 ist 'Gesellschaft eines Mitgliedstaats' jede Gesellschaft, die eine der im Anhang der Richtlinie aufgeführten Formen aufweist. Die Technik, die im Anhang in den meisten Fällen und insbesondere in Buchst. f dieses Anhangs für die Gesellschaften [X.]n Rechts verwendet wird und die darin besteht, die Bezeichnungen der von der Richtlinie erfassten Rechtsformen aufzuzählen, ohne dass es eine Klausel gibt, die es ermöglicht, die Richtlinie auf andere nach dem Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften anzuwenden, wobei in Bezug auf das [X.] Recht eine Ausnahme für staatliche Betriebe und Unternehmen besteht, bedeutet, dass die fraglichen Bezeichnungen abschließend aufgezählt werden.

8

Außerdem zielt die Richtlinie 90/435 nicht darauf ab, ein gemeinsames Steuersystem für alle Gesellschaften der Mitgliedstaaten oder für alle Arten von Beteiligungen einzuführen. Bei nicht unter diese Richtlinie fallenden Beteiligungen ist es Sache der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden soll, und dazu einseitig oder durch Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung einzuführen.

9

2. Es gibt nichts, was die Gültigkeit von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs und mit Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie im Hinblick auf die Grundsätze der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs beeinträchtigen könnte.

Zwar obliegt die in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Verpflichtung zur [X.] von jedem Steuerabzug an der Quelle den Mitgliedstaaten nur in Bezug auf die Gewinnausschüttungen an Gesellschaften, die als Gesellschaften im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden können, doch gestattet diese Richtlinie einem Mitgliedstaat nicht, an Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten, die nicht in ihren Anwendungsbereich fallen, ausgeschüttete Gewinne ungünstiger zu behandeln als die an vergleichbare inländische Gesellschaften ausgeschütteten Gewinne.

Folglich ist eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 90/435 --wie sie sich aus ihrem Art. 2 Buchst. a und aus Buchst. f ihres Anhangs ergibt--, mit der andere Gesellschaften, die nach nationalem Recht gegründet werden können, von vornherein ausgeschlossen werden, nicht geeignet, die Niederlassungsfreiheit oder den freien Kapitalverkehr einzuschränken."

Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das [X.] aufzuheben und das BZSt unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 27. Januar 2003 zu verpflichten, einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer für Juli 2001 in Höhe von … € nebst Prozesszinsen [X.] von § 236 der Abgabenordnung ([X.]) ab dem 12. August 2003 zu erstatten.

Das BZSt beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Die von der [X.] im streitgegenständlichen Zeitraum an die Klägerin ausgeschütteten Gewinne unterlagen als inländische Kapitalerträge gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 [X.]r. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 [X.]r. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F., § 31 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung des Steuersenkungsgesetzes ([X.] 1999 n.F.) der Kapitalertragsteuer. Als Schuldnerin der Kapitalerträge hatte die [X.] gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG 1997 n.F. den Steuerabzug für Rechnung der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin (§ 2 [X.]r. 1, § 8 Abs. 1 [X.] 1999 n.[X.]. § 49 Abs. 1 [X.]r. 5 Buchst. a EStG 1997 n.F.) --und zugleich der Schuldnerin der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F.)-- vorzunehmen.

Für Ausschüttungen an die Klägerin als [X.] Muttergesellschaft gelten die Sonderregeln des § 43b EStG 1997 n.F., mit dem Art. 5 der Richtlinie 90/435/[X.] in nationales Recht umgesetzt worden ist. Danach wird die Kapitalertragsteuer gemäß § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F. auf Antrag für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 [X.]r. 1 EStG 1997 n.F., die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft i.S. des § 1 Abs. 1 [X.]r. 1 [X.] 1999 n.F. zufließen, nicht erhoben. Für die hiernach mögliche [X.]ichterhebung von Kapitalertragsteuer sieht § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG 1997 n.F. (i.V.m. § 5 Abs. 1 [X.]r. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes) ein Freistellungsverfahren --ursprünglich-- beim [X.] und --nunmehr-- beim BZSt vor, welches die Berechtigung zum Unterlassen des [X.] auf Antrag zu bescheinigen hat. Fehlt es an einer derartigen Freistellungsbescheinigung --sei es für den Gesamtbetrag der ausgeschütteten Kapitalerträge, sei es, wie im Streitfall, auch für einen [X.] und wurde der Steuerabzug deswegen in Einklang mit der Regelungslage (vgl. § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F.) ungeachtet des § 43b EStG 1997 n.F. in entsprechendem Umfang vorgenommen, bleibt der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge auf Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer unberührt; er ist gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. durch Antrag geltend zu machen. Zuständig für die Entscheidung über diesen Antrag war ebenfalls das [X.] bzw. ist ebenfalls das BZSt.

2. Vor diesem Regelungshintergrund war das [X.] --und ist jetzt das BZSt-- nicht verpflichtet, der Klägerin --als Grundlage für die begehrte weitergehende [X.] einen Freistellungsbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 [X.] zu erteilen.

a) Eine Erstattung der Kapitalertragsteuer unmittelbar nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. scheidet aus. Denn das setzt nach Satz 1 der Vorschrift (u.a.) voraus, dass die betreffenden Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, nach § 43b EStG 1997 n.F. oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden können. Beides ist vorliegend --über die aus [X.] bereits im [X.] gewährte [X.] hinaus-- jedoch nicht der Fall. § 43b EStG 1997 n.F. ist insoweit nicht einschlägig, weil eine Kapitalgesellschaft [X.]n Rechts in der Rechtsform der [X.] im streitgegenständlichen Zeitraum nicht unter den entsprechenden Katalog begünstigter Kapitalgesellschaften fiel und weil --wie sich abschließend aus dem [X.]-Urteil in [X.]. 2009, [X.] ergibt-- in diesem Umstand kein Verstoß gegen Unionsrecht zu sehen ist. Aus eben diesem Grunde verbietet sich mangels Regelungslücke zugleich, § 43b EStG 1997 n.F. und den dazu ergangenen, abschließenden Katalog begünstigter Kapitalgesellschaften analog auf die hier in Rede stehende Gesellschaftsform anzuwenden. Und gleichermaßen scheidet eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift dahingehend aus, die [X.] mit anderen --begünstigten-- Rechtsformen [X.]. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es umgekehrt gleichheitsgerecht ist, sie mit anderen nichtbegünstigten Gesellschaften [X.] und ihr nicht eine Begünstigung zu gewähren, die ihr aufgrund richtlinienkonformer Anwendung nicht zusteht.

b) Die Klägerin beruft sich denn letztlich auch nicht mehr auf die [X.] von § 43b EStG 1997 n.F. Sie wendet sich vielmehr dagegen, dass Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, in [X.] anders als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in [X.] ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen werden, weil die einbehaltene Kapitalertragsteuer bei ihr weder angerechnet (vgl. § 36 Abs. 2 [X.]r. 2 EStG 1997 n.F.) noch vergütet (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1997 n.F.) wird, sondern nach § 32 Abs. 1 [X.]r. 2 [X.] 1999 n.F. abgeltenden Charakter hat und sonach bei ihr in [X.] definitiv wird. Der Senat verweist dazu im Einzelnen und zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 22. April 2009 [X.] ([X.], 556, m.w.[X.].).

aa) Dieser Vorwurf ist nach Lage der Dinge begründet; der [X.] hat in seinem Urteil in [X.], 2038 auf einen entsprechenden [X.] durch Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 des Vertrages zur Gründung der [X.] i.d.[X.] C 325, 1-- (jetzt Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] i.d.[X.], Amtsblatt der [X.] 2007 C 306/01) erkannt. [X.] darf danach Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, wirtschaftlich keiner höheren Belastung unterwerfen als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in [X.] ausgeschüttet werden. In [X.] wurden vergleichbare Dividenden im streitgegenständlichen Zeitraum aber --unbeschadet des auch hier praktizierten Abzugs von [X.] nach § 8b Abs. 1 [X.] 1999 n.F. und infolge der beschriebenen Anrechnung bzw. Vergütung der Kapitalertragsteuer vollen Umfangs von der Körperschaftsteuer befreit.

Diese Steuerfreistellung ist nunmehr auch ausländischen Kapitalgesellschaften als Dividendenempfängern einzuräumen. Dass das (bislang) unterblieben ist, ist [X.] als Quellenstaat anzulasten. Der [X.] kann zwar prinzipiell gerechtfertigt werden, indem [X.] sich mit dem Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers bilateral darauf verständigt, dass jener Staat die [X.] Quellensteuer in voller Höhe anrechnet oder erstattet (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 2038; s. auch Senatsurteil in [X.], 556, m.w.[X.]). Das aber ist im Hinblick auf [X.] nicht geschehen; Art. 20 Abs. 2 Buchst. a Doppelbuchst. bb DBA-[X.] sieht insofern lediglich eine Steueranrechnung begrenzt auf den Betrag der auf die Dividenden entfallenden [X.]n Steuer vor.

bb) Für die Verfahrenskonstellation des Streitfalls hilft dieser materiell-rechtliche Befund der Klägerin indessen nicht weiter. Denn deren Begehren stützt sich nicht auf § 43b Abs. 1 EStG 1997 n.F. und somit auch nicht auf das tatbestandlich vorgegebene Verfahren nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. im engeren Sinne. Es stützt sich vielmehr --davon losgelöst-- darauf, dass der Steuerabzug als solcher abweichend von einer vergleichbaren Inlandskonstellation bei der ausländischen Muttergesellschaft definitiv wird und deswegen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Es ist deswegen auf anderer Rechtsgrundlage außerhalb dieses Verfahrens --in entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F. und gerichtet auf Erlass eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 [X.]-- durchzusetzen. Die Entscheidungszuständigkeit darüber obliegt dem örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt (vgl. § 20 Abs. 3 und 4 [X.]), nicht aber dem BZSt, dessen Sachzuständigkeit im Finanzverwaltungsgesetz abschließend --und auf der Basis der finanzverfassungsrechtlichen Verwaltungszuordnung (vgl. Art. 108 des Grundgesetzes --GG--)-- bestimmt wird. Letzteres entspricht ständiger Spruchpraxis des Senats (vgl. z.B. --ebenfalls bezogen auf das Erstattungsverfahren analog § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 und zu einer mit dem Streitfall vergleichbaren Ausgangslage-- Urteil in [X.], 556, m.w.[X.].; s. zur Abgrenzung demgegenüber Senatsurteil vom 20. Dezember 2006 [X.], [X.] 216, 259, [X.], 616, dort unter [X.], speziell unter bbb der Entscheidungsgründe) und trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Zuständigkeit des BZSt im Sinne einer funktionalen Aufgabenteilung auf die positiv-rechtlich angeordneten Anwendungsfälle beschränkt. Freistellungen und Erstattungen von Kapitalertragsteuer, welche darüber hinausgehen und welche sich auf eine andere Rechtsgrundlage stützen, sind institutionell hingegen allein vom zuständigen Finanzamt zu verantworten. Sie lassen sich [X.] einer Art "Annexkompetenz" noch einer zuständigkeitsbegründenden Analogie auf das BZSt übertragen. Das gebietet der insbesondere bei Zuständigkeitsregelungen maßgebliche allgemeine Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. z.B. [X.] in [X.]/[X.]/Stober, Verwaltungsrecht Band 3, 5. Aufl., § 84 Rz 11 ff.), und das gilt auch dann, wenn eine anderweitige Zuständigkeitsregelung im Einzelfall, namentlich bei Fonds- und Streubesitzbeteiligungen --und damit nicht im [X.], durchaus sachdienlich sein mag.

cc) Ihrerseits unionsrechtliche Einwände gegen diese Verfahrenszuständigkeit wären unbegründet; die verfahrensrechtliche Umsetzung unionsrechtlicher Anforderungen an das nationale Steuerrecht obliegt mangels einer einschlägigen Unionsregelung autonom den einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 30. Juni 2011 [X.]/09, [X.] u.a., BFH/[X.]V 2011, 1467, dort Rz 55, m.w.[X.].). Es darf dem Steuerpflichtigen nur nicht unmöglich gemacht werden, seinen unionsrechtlich begründeten Anspruch durchzusetzen. Das aber ist jedenfalls infolge der voneinander abweichenden Zuständigkeitsregelungen nicht der Fall.

Meta

I R 30/10

11.01.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 28. Januar 2010, Az: 2 K 4328/03, Urteil

§ 20 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 36 Abs 2 Nr 2 EStG 2002, § 36 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 43 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 43 Abs 1 S 3 EStG 2002, § 43b Abs 1 EStG 2002, § 43b Abs 2 S 3 EStG 2002, § 44 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 44 Abs 1 S 3 EStG 2002, § 49 Abs 1 Nr 5 Buchst a EStG 2002, § 50d Abs 1 EStG 2002, § 2 Nr 1 KStG 2002, § 8b KStG 2002, § 31 Abs 1 KStG 2002, § 32 Abs 1 Nr 2 KStG 2002, § 5 Abs 1 Nr 2 FVG, § 20 Abs 3 AO, § 20 Abs 4 AO, § 155 Abs 1 S 3 AO, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 108 GG, Art 56 Abs 1 EG, Art 2 Buchst a EWGRL 435/90, Art 5 EWGRL 435/90, Art 20 Abs 2 Buchst a DBuchst bb DBA FRA, § 43b Anl 2 EStG 2002, Anh 1 Buchst f EWGRL 435/90, § 43b Anl 2 Nr 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.01.2012, Az. I R 30/10 (REWIS RS 2012, 10261)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10261

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