Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.04.2024, Az. 6 AV 1/24

6. Senat | REWIS RS 2024, 2074

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Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

I

1

Der Kläger, der am 14. April 2022 bei der Einreise in die [X.] am [X.] polizeilich kontrolliert worden war, begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm Auskunft u. a. über die Kategorie der von der [X.] zu seiner Person erhobenen Daten und deren Verarbeitung zu erteilen.

2

Die [X.]direktion [X.] gab dem Kläger auf sein Ersuchen hin am 27. Mai 2022 Auskunft zu ihrer Zuständigkeit und zum Umfang der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs auf dem [X.] sowie zu den Rechtsgrundlagen der Datenerhebung und Datenspeicherung. Im Übrigen lehnte sie die Auskunftserteilung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2023 hat das [X.]präsidium dem Antrag auf Akteneinsicht teilweise stattgegeben und dem Kläger eingeschränkt Auskunft zu den bei der [X.] gespeicherten Daten gegeben.

3

Bereits im Juli 2022 hatte der Kläger Klage beim [X.] erhoben mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, die für die Durchführung der Personenkontrolle maßgeblichen Gründe zu benennen und Auskunft u. a. über die Verarbeitung der den Kläger betreffenden Daten zu erteilen. Nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung den auf Auskunftserteilung gerichteten Teil der Klage abgetrennt, sich mit Beschluss vom 7. November 2023 insoweit für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, das Auskunftsverlangen sei losgelöst von dem Geschehen am 14. April 2022 zu beurteilen, das Gegenstand des noch beim [X.] anhängigen Rechtsstreits sei. Die datenschutzrechtliche Auskunftserteilung als allgemeines Begehren und zentral wahrzunehmende Aufgabe falle mit Blick auf § 57 Abs. 1 und § 58 Abs. 1 des [X.]gesetzes ([X.]) i. V. m. der Verordnung über die Zuständigkeit der [X.]behörden ([X.]) kraft Natur der Sache in die Kompetenz des [X.]präsidiums als Oberbehörde. Nach § 52 Nr. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 5, Nr. 5 VwGO sei deshalb das [X.] örtlich zuständig, weil das [X.]präsidium seinen Sitz in [X.] habe.

4

Das [X.] hat sich nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 13. Februar 2024 für örtlich unzuständig erklärt und das [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen. Denn die Verweisung sei willkürlich und äußere keine Bindungswirkung. Der Kläger habe seinen Antrag an die [X.]direktion [X.] gerichtet, die kein Dienstsitz des [X.]präsidiums, sondern eine selbständige (Unter-)Behörde der [X.] sei. Die [X.]direktion habe den Antrag auch beschieden; das [X.]präsidium sei - im Übrigen erst nach Klageerhebung - nur als Widerspruchsbehörde tätig geworden. Der geltend gemachte datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch richte sich gemäß § 57 Abs. 1 BDSG gegen den datenschutzrechtlich Verantwortlichen; das sei die [X.]direktion [X.]. Bei der Auskunftserteilung handele es sich auch nicht um eine durch das [X.]präsidium zentral wahrzunehmende Aufgabe nach § 1 Abs. 3 [X.].

5

Der Kläger verteidigt die Erwägungen des Verwaltungsgerichts [X.].

6

Das [X.]präsidium hat auf Anfrage ausgeführt, gemäß der Grundsatzverfügung vom 25. März 2008 würden alle Auskunftsersuchen nach § 57 BDSG (§ 19 BDSG alt) vom Bereich der behördlichen Datenschutzbeauftragten des [X.]präsidiums in [X.] bearbeitet. Lediglich Auskunftsersuchen gemäß Art. 15 [X.] würden dezentral von der Stelle geprüft, bei der personenbezogene Daten vorlägen.

II

7

1. Das [X.] ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem [X.] und dem [X.] gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO zuständig. Nach dieser Vorschrift wird, wenn verschiedene Verwaltungsgerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht von dem nächsthöheren Gericht bestimmt. Das ist im vorliegenden Fall eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen den Verwaltungsgerichten [X.] und [X.] das beiden beteiligten Gerichten übergeordnete [X.].

8

2. Für die Entscheidung über den von dem Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten Auskunftsanspruch ist das [X.] jedenfalls durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts [X.] vom 7. November 2023 zuständig geworden.

9

Gemäß § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bindend. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts [X.] ist gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar. Die in § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn die gegebene eigene örtliche Zuständigkeit verkannt worden ist (BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2020 - 6 AV 3.20 - NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 14).

Die gesetzliche Bindungswirkung eines gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses kann allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - [X.]E 29, 45 <48 f.> und vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - [X.]E 58, 1 <45> und Kammerbeschluss vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn der gerichtliche Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 1994 - 9 AV 1.94 - [X.] 300 § 17a [X.], vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10 m. w. N. und vom 9. Juni 2020 - 6 AV 3.20 - NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 15). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erscheint der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts [X.] vom 7. November 2023 zwar nicht prozessrechtskonform (2.1), aber ein derartig extremer Rechtsverstoß, der angesichts der hohen Hürden für die Annahme richterlicher Willkür nur ausnahmsweise in Betracht kommt, ist dem Gericht nicht vorzuwerfen (2.2).

2.1 Die gerichtliche Zuständigkeit für den im Wege der Verpflichtungsklage geltend zu machenden Auskunftsanspruch bestimmt sich nach § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO. Demzufolge gilt nach Satz 2 der Vorschrift auch für die gegen eine [X.]behörde gerichtete Verpflichtungsklage auf datenschutzrechtliche Auskunftserteilung nach § 57 BDSG die Regelung des Satzes 1, wonach bei [X.] gegen den Verwaltungsakt einer [X.]behörde das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk die [X.]behörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat.

Aus § 57 Abs. 2 [X.] lässt sich nur entnehmen, dass die [X.]direktion [X.] dem als Oberbehörde fungierenden [X.]präsidium in [X.] untergeordnet ist, das gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeit der [X.]behörden - [X.] - vom 22. Februar 2008 ([X.], zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020, [X.] I S. 1328) die Rechts- und Fachaufsicht wahrnimmt (Ruthig, in: Schenke/​Graulich/​Ruthig, Sicherheitsrecht des [X.], 2. Aufl. 2019, § 57 [X.] Rn. 10; [X.], in: [X.], Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, [X.] Rn. 68). Weder das [X.]gesetz noch die genannte Verordnung über die Zuständigkeit der [X.]behörden enthalten spezifische Regelungen, welcher Behörde die Aufgabe der Bearbeitung und Entscheidung von Auskunftsersuchen nach § 57 BDSG zugewiesen ist.

Mangels spezieller Zuständigkeitsvorschriften verbleibt es bei der in § 57 Abs. 1 BDSG getroffenen Kompetenzregelung, die mit der Nennung des materiellrechtlich Verpflichteten einhergeht. Demzufolge hat der Verantwortliche über die Auskunftserteilung zu entscheiden. Das ist nach § 46 Nr. 7 BDSG die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Diese Regelung setzt Art. 3 Nr. 8 Halbs. 1 der hier sachlich anwendbaren Richtlinie ([X.]) 2016/680 des [X.] und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977[X.] des Rates ([X.] L 119 S. 89) um. Für deren in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie genannten sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit misst sich die Datenschutzgrundverordnung gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. d) [X.] keine Geltung bei.

Der Kläger hat sich mit seinem Auskunftsantrag an die [X.]direktion [X.] als [X.]behörde und damit an einen potentiell Verantwortlichen [X.] § 57 Abs. 1 BDSG gewandt. Damit war das [X.] aufgrund des [X.] örtlich zuständig.

2.2 Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts [X.] in seinem Beschluss vom 7. November 2023 erweisen sich jedoch keinesfalls als willkürlich, sondern de lege ferenda durchaus als bedenkenswert. Damit verbleibt es bei der in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordneten Bindungswirkung der Verweisung an das [X.].

Meta

6 AV 1/24

08.04.2024

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AV

vorgehend VG Potsdam, 13. Februar 2024, Az: 9 K 2818/23, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.04.2024, Az. 6 AV 1/24 (REWIS RS 2024, 2074)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2074

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