Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 64/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 46

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Gegenstand

Vollzeiterwerbstätigkeit schließt Berücksichtigung als Kind im Familienleistungsausgleich nicht aus


Leitsatz

1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.

2. NV: Ändert sich die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbsstätigkeit nachgehen, mit der Folge, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen sind, dann genügt eine derartige Änderung der Rechtsauffassung allein nicht, um die rückwirkende Korrektur der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu rechtfertigen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog zunächst aufgrund einer entsprechend befristeten Festsetzung für Januar und Februar 2008 Kindergeld für seinen 1989 geborenen [X.] ([X.]), der im Februar 2008 seine Ausbildung zum Bankkaufmann beendete. Im Februar 2008 teilte der Kläger der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) mit, dass [X.] bis Mitte 2008 bei der Bank beschäftigt sein werde und ab dem neuen [X.]chuljahr, d.h. ab [X.]eptember 2008, die Berufsoberschule zur Erlangung des Abiturs besuchen werde. Daraufhin hob die Familienkasse die Bewilligung von Kindergeld für [X.] im Februar 2008 ab März 2008 auf. Zur Begründung führte sie aus, dass [X.] im Februar 2008 die Berufsausbildung beendet habe und danach kein Anspruch mehr auf Kindergeld bestehe.

2

Im Hinblick auf den beabsichtigten Ausbildungsbeginn im [X.]eptember 2008 und die in diesem Zusammenhang erfolgte Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Bank zum 31. August 2008 beantragte der Kläger im Juni 2008 die Bewilligung von Kindergeld für [X.] ab [X.]eptember 2008. Mit Bescheid vom 26. [X.]eptember 2008 hob die Familienkasse daraufhin die Bewilligung von Kindergeld ab Januar 2008 auf, da [X.] im gesamten Kalenderjahr 2008 als Kind zu berücksichtigen sei und seine voraussichtlichen Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Den hiergegen gerichteten Einspruch des [X.] wies sie zurück.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage des [X.], mit der er Kindergeld für [X.] für die Monate Januar und Februar 2008 sowie für [X.]eptember bis Dezember 2008 begehrte, statt. Es entschied, dass die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit, d.h. die Monate März bis einschließlich August 2008, als Kürzungsmonate zu behandeln und die in diesen Monaten erzielten Einkünfte und Bezüge daher nicht zu berücksichtigen seien. Die in den Berücksichtigungsmonaten Januar, Februar und [X.]eptember bis Dezember 2008 erzielten Einkünfte und Bezüge überschritten den anteiligen Jahresgrenzbetrag nicht.

4

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung (E[X.]tG) und nimmt auf das [X.]enatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09 ([X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982) Bezug.

5

[X.]ie beantragt, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Familienkasse ist hinsi[X.]htli[X.]h der Monate [X.]eptember bis Dezember 2008 begründet (unten 1.). Insoweit führt die Revision zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurü[X.]kverweisung der [X.]a[X.]he an das [X.], da dessen bisherige Feststellungen keine abs[X.]hließende Ents[X.]heidung darüber ermögli[X.]hen, ob dem Kläger für diese Monate ein Kindergeldanspru[X.]h zusteht (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung -[X.]O-). Hinsi[X.]htli[X.]h der Monate Januar und Februar 2008 ist die Revision der Familienkasse als unbegründet zurü[X.]kzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Denn die Familienkasse war zu einer (rü[X.]kwirkenden) Aufhebung der bestandskräftigen Festsetzung für diese Monate ni[X.]ht bere[X.]htigt (unten 2.).

8

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie [X.] in 2008, das 25. Lebensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hat, besteht na[X.]h § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG u.a. dann Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr ni[X.]ht übersteigen.

9

a) In Berufsausbildung i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG befindet si[X.]h, wer sein Berufsziel no[X.]h ni[X.]ht errei[X.]ht hat, si[X.]h aber ernsthaft und na[X.]hhaltig darauf vorbereitet (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. [X.]enatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.]/08, [X.], 1262). Na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG ist ein Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist ni[X.]ht nur dann der Fall, wenn das Kind no[X.]h keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern au[X.]h dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus s[X.]hul-, studien- oder betriebsorganisatoris[X.]hen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. [X.]enatsurteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982).

b) Dana[X.]h geht das [X.] zunä[X.]hst zutreffend davon aus, dass [X.] im gesamten Kalenderjahr 2008 die Voraussetzungen eines Berü[X.]ksi[X.]htigungstatbestands na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG erfüllt hat. In den Monaten Januar und Februar 2008 (Ausbildung zum Bankkaufmann) und in den Monaten [X.]eptember bis Dezember 2008 (Besu[X.]h der Berufsobers[X.]hule zur Erlangung des Abiturs) wurde er i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG für einen Beruf ausgebildet. In den Monaten März bis August 2008 war er als Kind na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG zu berü[X.]ksi[X.]htigen, denn er hatte si[X.]h (spätestens) im März 2008 bei der [X.][X.]hule für das kommende [X.][X.]huljahr, dem nä[X.]hstmögli[X.]hen Ausbildungsbeginn, beworben.

[X.]) Entgegen der Auffassung des [X.] wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG jedo[X.]h ni[X.]ht dadur[X.]h ausges[X.]hlossen, dass [X.] in den dana[X.]h au[X.]h zu berü[X.]ksi[X.]htigenden Monaten März bis August 2008 einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hging. Insoweit verweist der [X.]enat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982. Dana[X.]h stand die Vollzeiterwerbstätigkeit des [X.] seiner Berü[X.]ksi[X.]htigung als Kind i.[X.]. des § 32 Abs. 4 E[X.]tG ni[X.]ht entgegen. Bei der Frage, ob der Grenzbetrag übers[X.]hritten ist, sind daher au[X.]h die Einkünfte und Bezüge aus den Monaten März bis August 2008 einzubeziehen. Das [X.] hat --aus seiner [X.]i[X.]ht zu Re[X.]ht-- bislang ledigli[X.]h geprüft, ob die Einkünfte und Bezüge der Monate Januar, Februar und [X.]eptember bis Dezember 2008 den anteiligen Grenzbetrag übers[X.]hritten haben. Es wird nunmehr au[X.]h die in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte festzustellen und sodann abs[X.]hließend zu prüfen haben, ob der Jahresgrenzbetrag von 7.680 € übers[X.]hritten ist. Hiervon hängt ab, ob dem Kläger in den streitbefangenen Monaten [X.]eptember bis Dezember 2008 tatsä[X.]hli[X.]h ein Anspru[X.]h auf Kindergeld für [X.] zusteht.

2. Im Ergebnis zu Re[X.]ht hat das [X.] den Bes[X.]heid der Familienkasse vom 26. [X.]eptember 2008 und die hierzu ergangene Einspru[X.]hsents[X.]heidung vom 1. Dezember 2008 aufgehoben, soweit die Familienkasse damit die für Januar und Februar 2008 bereits bestandskräftige Festsetzung von Kindergeld aufgehoben hat. Denn

die verfahrensre[X.]htli[X.]hen Voraussetzungen für eine Aufhebung lagen ni[X.]ht vor (vgl. [X.]enatsurteil vom 21. Oktober 2010 [X.]/09, [X.] 2011, 250).

a) Insbesondere kam eine Korrektur der Festsetzung na[X.]h § 70 Abs. 4 E[X.]tG ni[X.]ht in Betra[X.]ht. Denn im [X.]treitfall haben si[X.]h na[X.]h den Feststellungen des [X.] hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge keine tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen gegenüber den Annahmen in der Prognose ergeben. Vielmehr hat si[X.]h im [X.] allein die Re[X.]htsauffassung der Verwaltung zur Berü[X.]ksi[X.]htigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hgehen, mit der Folge geändert, dass die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung einzubeziehen sind. Eine derartige Änderung der Re[X.]htsauffassung genügt allein aber ni[X.]ht, um eine Korrektur der Festsetzung gemäß § 70 Abs. 4 E[X.]tG zu re[X.]htfertigen. Au[X.]h andere Änderungsvors[X.]hriften greifen ni[X.]ht ein. Zur weiteren Begründung wird auf das Urteil in [X.] 2011, 250 Bezug genommen.

b) [X.] weist der [X.]enat darauf hin, dass der Anwendungsberei[X.]h des § 70 Abs. 4 E[X.]tG dann wieder eröffnet ist, wenn ni[X.]ht allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge geänderter Re[X.]htsauffassung zur na[X.]hträgli[X.]hen Feststellung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung führt, sondern si[X.]h zusätzli[X.]h tatsä[X.]hli[X.]he Änderungen hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge ergeben --z.B. dur[X.]h eine bei Erlass der Prognoseents[X.]heidung ni[X.]ht absehbare Nebenerwerbstätigkeit des Kindes, die parallel zu einer avisierten Ausbildung an einer [X.][X.]hule oder Ho[X.]hs[X.]hule aufgenommen wird-- und diese tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen bereits für si[X.]h genommen die na[X.]hträgli[X.]he Feststellung der Übers[X.]hreitung des (anteiligen) Grenzbetrages ermögli[X.]ht hätten. Das Vorliegen eines sol[X.]hen [X.]a[X.]hverhalts hat das [X.] indes ni[X.]ht festgestellt.

Meta

III R 64/10

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Nürnberg, 27. Juli 2009, Az: 6 K 2008/2008, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2009, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009, § 70 Abs 4 EStG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 64/10 (REWIS RS 2011, 46)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 46

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