Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 66/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 83

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Gegenstand

Berücksichtigungsfähigkeit eines Kindes trotz ausgeübter Vollzeiterwerbstätigkeit


Leitsatz

1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.

2. NV: Ändert sich die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, mit der Folge, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen sind, dann genügt eine derartige Änderung der Rechtsauffassung allein nicht, um die rückwirkende Korrektur der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu rechtfertigen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog für seinen 1989 geborenen [X.] ([X.]) zunächst Kindergeld. [X.] beendete am 13. Juni 2008 seine Ausbildung zum Industrieanlagenmechaniker und wurde im [X.] mit einem auf den 31. Dezember 2008 befristeten Arbeitsvertrag von der ausbildenden Firma eingestellt. Bei dieser Beschäftigung handelte es sich um eine Vollzeiterwerbstätigkeit. [X.]eit August 2008 besuchte [X.] eine Fachoberschule, für die er sich bereits am 23. Juni 2008 angemeldet hatte. [X.]ein Arbeitsverhältnis wurde im Juli 2008 vorzeitig zum 17. August 2008 auf Wunsch des [X.] beendet, um ihm den Besuch der [X.]chule zu ermöglichen.

2

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 15. Juli 2008 ab Januar 2008 auf, da die zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge des [X.] voraussichtlich den maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschreiten würden. Für den [X.]raum Januar bis Juni 2008 forderte sie das bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 924 € zurück. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

3

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Änderung des [X.] dahin, dass die Kindergeldfestsetzung nur für den Monat Juli 2008 aufgehoben wird.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, [X.] habe sich in der [X.] vom 1. Januar 2008 bis zum 13. Juni 2008 und seit dem 11. August 2008 in Berufsausbildung befunden und seine Einkünfte und Bezüge hätten in dieser [X.] den anteiligen Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 und 7 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung (E[X.]tG) nicht überschritten. [X.] habe zwar auch in dem [X.]raum, in dem er die Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeübt habe (14. Juni bis 17. August 2008) nach dem Wortlaut des Gesetzes die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a (ab 11. August 2008) und Buchst. b (vom 14. Juni bis 10. August 2008) E[X.]tG erfüllt. Dies führe aber nicht dazu, dass die dieser [X.] zuzurechnenden Einkünfte und Bezüge in die Grenzbetragsberechnung einzubeziehen seien. Denn der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG in Höhe von 7.680 € wäre dann unstreitig überschritten. In diesem Fall sei § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Tatbestände des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c E[X.]tG in den [X.]en der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht erfüllt seien und somit die Einkünfte und Bezüge in diesem [X.]raum nicht in die Grenzbetragsberechnung einzubeziehen seien.

5

Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. [X.]. § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG und nimmt Bezug auf das [X.]enatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/10 ([X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982).

6

[X.]ie beantragt sinngemäß, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger hat sich zum Verfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Familienkasse ist hinsi[X.]htli[X.]h der Monate August bis November 2008 begründet (unten 1.). Insoweit führt die Revision zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage, da die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für diese Monate zu Re[X.]ht aufgehoben hat (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 1 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Hinsi[X.]htli[X.]h der Monate Januar bis Juni 2008 ist die Revision der Familienkasse als unbegründet zurü[X.]kzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Denn die Familienkasse war zu einer (rü[X.]kwirkenden) Aufhebung der bestandskräftigen Festsetzung für diese Monate ni[X.]ht bere[X.]htigt (unten 2.).

9

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie [X.] in 2008, das 25. Lebensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hat, besteht na[X.]h § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG u.a. dann Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG), si[X.]h in einer Übergangszeit von hö[X.]hstens vier Monaten zwis[X.]hen zwei [X.] befindet (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b E[X.]tG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr ni[X.]ht übersteigen.

a) In Berufsausbildung i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG befindet si[X.]h, wer sein Berufsziel no[X.]h ni[X.]ht errei[X.]ht hat, si[X.]h aber ernsthaft und na[X.]hhaltig darauf vorbereitet (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. [X.]enatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.]/08, [X.], 1262). Na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG ist ein Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist ni[X.]ht nur dann der Fall, wenn das Kind no[X.]h keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern au[X.]h dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus s[X.]hul-, studien- oder betriebsorganisatoris[X.]hen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. [X.]enatsurteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982).

b) Zutreffend geht das [X.] zunä[X.]hst davon aus, dass [X.] im gesamten Kalenderjahr 2008 die Voraussetzungen eines Berü[X.]ksi[X.]htigungstatbestands na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG erfüllt hat. In den Monaten Januar bis Juni 2008 (Ausbildung zum Industrieanlagenme[X.]haniker) und in den Monaten ab August 2008 (Besu[X.]h der Fa[X.]hobers[X.]hule) wurde er i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG für einen Beruf ausgebildet. Im Monat Juli 2008 befand er si[X.]h i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b E[X.]tG in einer Übergangszeit von hö[X.]hstens vier Monaten zwis[X.]hen zwei [X.] und war im Übrigen als Kind na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG zu berü[X.]ksi[X.]htigen, denn er hatte si[X.]h na[X.]h den den [X.]enat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) bereits im Juni 2008 bei der Fa[X.]hobers[X.]hule für das nä[X.]hste [X.][X.]huljahr angemeldet.

[X.]) Entgegen der Auffassung des [X.] werden die Tatbestände des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b und [X.] E[X.]tG jedo[X.]h ni[X.]ht dadur[X.]h ausges[X.]hlossen, dass [X.] in den dana[X.]h au[X.]h zu berü[X.]ksi[X.]htigenden Monaten Juni, Juli und August 2008 zeitweise --bzw. dur[X.]hgängig im [X.] einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hging. Insoweit verweist der [X.]enat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982. Dana[X.]h stand die Vollzeiterwerbstätigkeit des [X.] seiner Berü[X.]ksi[X.]htigung als Kind i.[X.]. des § 32 Abs. 4 E[X.]tG ni[X.]ht entgegen. Bei der Frage, ob der Grenzbetrag übers[X.]hritten ist, sind daher au[X.]h die Einkünfte und Bezüge aus den Monaten Juni bis August 2008 in vollem Umfang einzubeziehen. Na[X.]h den den [X.]enat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) übers[X.]hritten die Einkünfte und Bezüge des [X.] im Kalenderjahr 2008 den maßgebli[X.]hen Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG, so dass dem Kläger au[X.]h für die Monate Januar bis Juni sowie ab August 2008 kein Anspru[X.]h auf Kindergeld zustand.

2. Im Ergebnis zu Re[X.]ht hat das [X.] allerdings den Bes[X.]heid der Familienkasse vom 15. Juli 2008 und die hierzu ergangene Einspru[X.]hsents[X.]heidung vom 4. November 2008 aufgehoben, soweit die Familienkasse damit die für Januar bis Juni 2008 bereits bestandskräftige Festsetzung von Kindergeld aufgehoben hat. Denn die verfahrensre[X.]htli[X.]hen Voraussetzungen für eine rü[X.]kwirkende Aufhebung lagen ni[X.]ht vor (vgl. [X.]enatsurteil vom 21. Oktober 2010 [X.]/09, [X.] 2011, 250).

a) Insbesondere kam eine rü[X.]kwirkende Aufhebung der Festsetzung na[X.]h § 70 Abs. 4 E[X.]tG ni[X.]ht in Betra[X.]ht. Denn im [X.]treitfall haben si[X.]h na[X.]h den Feststellungen des [X.] hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge keine tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen gegenüber den Annahmen in der Prognose ergeben. Vielmehr hat si[X.]h im [X.] allein die Re[X.]htsauffassung der Verwaltung zur Berü[X.]ksi[X.]htigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) oder in einer Übergangszeit zwis[X.]hen zwei [X.] (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b E[X.]tG) einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hgehen, mit der Folge geändert, dass die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung einzubeziehen sind. Eine derartige Änderung der Re[X.]htsauffassung genügt allein aber ni[X.]ht, um eine rü[X.]kwirkende Korrektur der Festsetzung gemäß § 70 Abs. 4 E[X.]tG zu re[X.]htfertigen. Von den streitbefangenen Monaten konnte die Familienkasse unter Zugrundelegung ihrer geänderten Re[X.]htsauffassung gemäß § 70 Abs. 3 E[X.]tG daher nur die Festsetzung von Kindergeld ab dem Monat August 2008 aufheben. Zur weiteren Begründung wird auf das Urteil in [X.] 2011, 250 Bezug genommen.

b) [X.] weist der [X.]enat darauf hin, dass der Anwendungsberei[X.]h des § 70 Abs. 4 E[X.]tG dann wieder eröffnet ist, wenn ni[X.]ht allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge geänderter Re[X.]htsauffassung zur na[X.]hträgli[X.]hen Feststellung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung führt, sondern si[X.]h zusätzli[X.]h tatsä[X.]hli[X.]he Änderungen hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge ergeben --z.B. dur[X.]h eine bei Erlass der Prognoseents[X.]heidung ni[X.]ht absehbare Nebenerwerbstätigkeit des Kindes, die parallel zu einer avisierten Ausbildung an einer [X.][X.]hule oder Ho[X.]hs[X.]hule aufgenommen wird-- und diese tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen bereits für si[X.]h genommen die na[X.]hträgli[X.]he Feststellung der Übers[X.]hreitung des (anteiligen) Grenzbetrages ermögli[X.]ht hätten. Das Vorliegen eines sol[X.]hen [X.]a[X.]hverhalts hat das [X.] indes ni[X.]ht festgestellt.

Meta

III R 66/10

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 30. Juli 2009, Az: 14 K 4563/08 Kg, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 66/10 (REWIS RS 2011, 83)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 83

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