Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 93/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 89

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Gegenstand

Vollzeiterwerbstätigkeit schließt Berücksichtigung als Kind im Familienleistungsausgleich nicht aus


Leitsatz

1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.

2. NV: Eine Anschlussrevision muss innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt werden.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und [X.]sklägerin (Klägerin) ist die Mutter eines volljährigen [X.] ([X.]), der im [X.] erfolgreich seine Ausbildung zum Hotelfachmann absolviert hatte und von März 2006 bis zum August des [X.]treitjahres 2009 vollschichtig in seinem erlernten Beruf arbeitete. Im Januar 2009 bewarb er sich bei einer beruflichen [X.]chule um einen Platz für eine weitere Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt in der Fachrichtung Hotel- und Gaststättengewerbe. [X.] erhielt im März eine Aufnahmezusage und begann die Ausbildung am 1. [X.]eptember 2009. Ab Ausbildungsbeginn erhielt er ein [X.] seines bisherigen Arbeitgebers.

2

Im August 2009 beantragte die Klägerin Kindergeld für die [X.] ab [X.]eptember 2009. Die Beklagte, Revisionsklägerin und [X.] (Familienkasse) lehnte die Festsetzung von Kindergeld für die [X.] ab Januar 2009 ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse ging davon aus, dass [X.] im gesamten Jahr 2009 kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sei und seine Einkünfte und Bezüge über dem Grenzbetrag lägen.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. [X.] könne in den Monaten seiner Vollzeitbeschäftigung nicht als Kind berücksichtigt werden, weshalb der Klägerin für die Monate Januar bis August 2009 kein Kindergeld zustehe. Für die [X.] der zweiten Ausbildung ab [X.]eptember 2009 sei Kindergeld jedoch festzusetzen, da die in diesem [X.]raum bezogenen Einkünfte den anteiligen Grenzbetrag unterschreiten würden.

4

Der [X.] ([X.]) hat auf Beschwerde der Familienkasse mit Beschluss vom 28. Dezember 2010 die Revision für beide Beteiligte in vollem Umfang zugelassen. Die Familienkasse hat Revision, die Klägerin [X.] eingelegt.

5

Die Familienkasse rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Nach der geänderten Rechtsprechung des [X.] sei ein Kind, das auf einen Ausbildungsplatz warte oder sich zwischen zwei [X.] befinde, auch dann zu berücksichtigen, wenn es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Daher seien die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der [X.] einzubeziehen. Feststellungen zur Höhe der [X.] habe das [X.] nicht getroffen.

6

Die Familienkasse beantragt, das Urteil des [X.] Mecklenburg- Vorpommern vom 27. Juli 2010  2 K 40/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die [X.]ache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

7

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Revision der Familienkasse zurückzuweisen und die Familienkasse zu verpflichten, abweichend von dem Bescheid vom 21. Oktober 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2010 ab dem 1. Januar 2009 Kindergeld für ihren [X.]ohn festzusetzen.

8

Bei Anwendung der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung ([X.]-Urteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09, [X.]E 230, 61, B[X.]tBl II 2010, 982) wäre das [X.] zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kindergeldanspruch bereits ab dem [X.]punkt der Bewerbung zur Ausbildung als staatlich geprüfter Betriebswirt bestanden hätte. Die [X.] seien niedriger als der Grenzbetrag. Also habe sie einen Kindergeldanspruch für das ganze Jahr.

9

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Familienkasse ist hinsi[X.]htli[X.]h der Monate [X.]eptember bis Dezember 2009 begründet, im Übrigen ist sie unzulässig. Die Ans[X.]hlussrevision der Klägerin ist unzulässig.

A. Zur Revision der Familienkasse

1. Hinsi[X.]htli[X.]h der Monate Januar bis August 2009 ist die Revision unzulässig und dur[X.]h Urteil zu verwerfen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgeri[X.]htsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 4, m.w.N.). Die Familienkasse hat die Aufhebung des [X.] insgesamt --also au[X.]h hinsi[X.]htli[X.]h des genannten [X.] beantragt. Für eine eins[X.]hränkende Auslegung des spra[X.]hli[X.]h eindeutig formulierten [X.] gibt das sonstige Revisionsvorbringen der Familienkasse keine genügenden Anhaltspunkte. Da das [X.] die Verpfli[X.]htungsklage für den genannten [X.]raum, also einen teilbaren [X.]treitgegenstand, bereits abgewiesen hatte, fehlt es insoweit an der notwendigen materiellen Bes[X.]hwer der Behörde (vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], Vor § 115 Rz 17).

2. Hinsi[X.]htli[X.]h der Monate [X.]eptember bis Dezember 2009 ist die Revision begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung der Vorents[X.]heidung und zur Zurü[X.]kverweisung der [X.]a[X.]he an das [X.] (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat den [X.] der Klägerin re[X.]htsfehlerhaft ni[X.]ht im gesamten [X.]treitjahr 2009 als Kind gemäß § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) berü[X.]ksi[X.]htigt und deshalb seine im [X.]raum Januar bis August erzielten Einkünfte bei der Prüfung der [X.] zu Unre[X.]ht ni[X.]ht einbezogen. Die tatsä[X.]hli[X.]hen Feststellungen des [X.] ermögli[X.]hen no[X.]h keine abs[X.]hließende Beurteilung, ob [X.] im [X.]treitjahr Einkünfte und Bezüge von mehr als 7.680 € hatte.

a) Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie [X.] im [X.]treitjahr 2009, das 25. Lebensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hat, besteht na[X.]h § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG u.a. dann Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr ni[X.]ht übersteigen. In Berufsausbildung i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG befindet si[X.]h, wer sein Berufsziel no[X.]h ni[X.]ht errei[X.]ht hat, si[X.]h aber ernsthaft und na[X.]hhaltig darauf vorbereitet (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. [X.]enatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.]/08, [X.], 1262). Na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG ist ein Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist ni[X.]ht nur dann der Fall, wenn das Kind no[X.]h keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern au[X.]h dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus s[X.]hul-, studien- oder betriebsorganisatoris[X.]hen Gründen erst zu einem späteren [X.]punkt antreten kann (z.B. [X.]enatsurteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982).

b) Dana[X.]h geht das [X.] zunä[X.]hst zutreffend davon aus, dass [X.] im gesamten [X.]treitjahr 2009 die Voraussetzungen eines Berü[X.]ksi[X.]htigungstatbestands na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG erfüllt hat. In den Monaten [X.]eptember bis Dezember 2009 ([X.][X.]hulausbildung an der berufli[X.]hen [X.][X.]hule der [X.]tadt X) wurde er i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a E[X.]tG für einen Beruf ausgebildet. In den Monaten Januar bis August 2009 war er als Kind na[X.]h § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG zu berü[X.]ksi[X.]htigen, denn er hatte si[X.]h na[X.]h den den [X.]enat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) im Januar um eine weitere Ausbildung zum staatli[X.]h geprüften Betriebswirt beworben, im März eine [X.] für das [X.][X.]huljahr 2009/2010 erhalten und diese Ausbildung entspre[X.]hend der [X.] zum 1. [X.]eptember 2009 tatsä[X.]hli[X.]h begonnen. Anhaltspunkte dafür, dass [X.] glei[X.]hwohl in der [X.] von Januar bis August 2009 ni[X.]ht ausbildungswillig gewesen ist, hat das [X.] ni[X.]ht festgestellt.

[X.]) Entgegen der Auffassung des [X.] wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] E[X.]tG jedo[X.]h ni[X.]ht dadur[X.]h ausges[X.]hlossen, dass [X.] in den dana[X.]h au[X.]h zu berü[X.]ksi[X.]htigenden Monaten Januar bis August 2009 einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hging. Insoweit verweist der [X.]enat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in [X.], 61, B[X.]tBl II 2010, 982. Dana[X.]h stand die Vollzeiterwerbstätigkeit des [X.] seiner Berü[X.]ksi[X.]htigung als Kind i.[X.]. des § 32 Abs. 4 E[X.]tG ni[X.]ht entgegen. Bei der Frage, ob der Grenzbetrag übers[X.]hritten ist, sind daher au[X.]h die Einkünfte und Bezüge aus den Monaten Januar bis August 2009 einzubeziehen. Ausrei[X.]hende Feststellungen zur Höhe dieser Einkünfte und Bezüge hat das [X.] --von seinem [X.]tandpunkt aus folgeri[X.]htig-- ni[X.]ht getroffen. Diese wird es im zweiten Re[X.]htsgang na[X.]hzuholen haben.

B. Zur Ans[X.]hlussrevision der Klägerin

1. Die Klägerin hat zwar ni[X.]ht selbst --binnen eines Monats na[X.]h Zustellung des Revisionszulassungsbes[X.]hlusses (vgl. § 116 Abs. 7 [X.]atz 2 [X.]O)-- Revision eingelegt. Ihr Antrag im [X.][X.]hriftsatz vom 11. Mai 2011, wona[X.]h die Familienkasse verpfli[X.]htet werden soll, Kindergeld für das gesamte [X.]treitjahr festzusetzen, lässt aber ihren auf Abänderung des [X.] zu ihren Gunsten geri[X.]hteten Willen erkennen und ist damit als Ans[X.]hlussrevision auszulegen (BFH-Urteile vom 21. August 1990 VIII R 25/86, [X.], 524, B[X.]tBl II 1991, 564; vom 22. April 2004 [X.], [X.], 525, B[X.]tBl II 2004, 684). Diese ist jedo[X.]h unzulässig, da sie ni[X.]ht innerhalb eines Monats na[X.]h Zustellung der Revisionsbegründungss[X.]hrift der Familienkasse eingelegt wurde (§ 155 [X.]O i.V.m. § 554 Abs. 2 [X.]atz 2 der Zivilprozessordnung; BFH-Urteile vom 20. [X.]eptember 1999 [X.]3/97, [X.], 266, B[X.]tBl II 2000, 208; vom 2. Juni 2005 [X.]/04, [X.], 141, B[X.]tBl II 2005, 828). Die Zustellung der Revisionsbegründungss[X.]hrift erfolgte am 11. Februar 2011; die Ans[X.]hlussrevision wurde erst im Mai 2011 eingelegt.

2. Da die Klägerin weder Revision no[X.]h eine zulässige Ans[X.]hlussrevision eingelegt hat, kann das [X.]-Urteil, soweit darin die Klage hinsi[X.]htli[X.]h Kindergeld für die Monate Januar bis August abgewiesen wurde, ni[X.]ht mehr zu ihren Gunsten aufgehoben werden. Wegen der mit dem vorliegenden Urteil eintretenden Re[X.]htskraft kann Kindergeld damit für diesen [X.]raum selbst dann ni[X.]ht mehr festgesetzt werden, wenn si[X.]h na[X.]h der Zurü[X.]kverweisung herausstellen sollte, dass der [X.] ni[X.]ht übers[X.]hritten ist.

Meta

III R 93/10

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 27. Juli 2010, Az: 2 K 40/10, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2009, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009, § 554 Abs 2 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 93/10 (REWIS RS 2011, 89)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 89

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