Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 67/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 70

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Gegenstand

Vollzeiterwerbstätigkeit schließt Berücksichtigung als Kind im Familienleistungsausgleich nicht aus


Leitsatz

1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.

2. NV: Ändert sich die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, mit der Folge, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen sind, dann genügt eine derartige Änderung der Rechtsauffassung allein nicht, um die rückwirkende Korrektur der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu rechtfertigen.

3. NV: Eine Ausgestaltung des Grenzbetrages (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) als Monatsbetrag ist im Hinblick auf den dadurch bedingten Verwaltungsmehraufwand und die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht geboten.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) zunä[X.]hst fortlaufend Kindergeld für seine 1984 geborene [X.]o[X.]hter ([X.]). [X.] beendete ihr Studium der Re[X.]htswissens[X.]haften im April 2008 mit dem 1. Staatsexamen. Im Rahmen der Erklärung zu den voraussi[X.]htli[X.]hen Einkünften und Bezügen der [X.] im Jahr 2008 gab der Kläger u.a. an, dass [X.] na[X.]h Abs[X.]hluss des Studiums zwar die Aufnahme in den juristis[X.]hen Vorbereitungsdienst beantragt habe, sie im Hinbli[X.]k auf die Wartezeit von einigen Monaten jedo[X.]h ab Juni 2008 eine vorübergehende Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Voraussi[X.]htli[X.]h werde der Grenzbetrag aus diesem Grunde übers[X.]hritten. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bes[X.]heid vom 23. Juli 2008 ab Januar 2008 unter Hinweis auf § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) auf und forderte das bereits für die Monate bis August 2008 gezahlte Kindergeld von dem Kläger zurü[X.]k. Den Einspru[X.]h des [X.] wies sie als unbegründet zurü[X.]k.

2

Im Dezember 2008 begann [X.] das Referendariat. Während des Studiums erzielte sie aus einer Nebentätigkeit gewerbli[X.]he Einkünfte in Höhe von 1.050 €. Aus der in den Monaten Juni bis November 2008 ausgeübten Erwerbstätigkeit erzielte sie unter Berü[X.]ksi[X.]htigung von Werbungskosten Einkünfte in Höhe von mindestens 17.000 €, bei [X.] zur Sozialversi[X.]herung von rund 2.000 €. Für den Monat Dezember 2008 erhielt sie eine Vorauszahlung auf ihre Referendarbezüge in Höhe von netto 780 €.

3

Das Finanzgeri[X.]ht ([X.]) gab der Klage, mit der der Kläger Kindergeld für die Monate Januar bis eins[X.]hließli[X.]h Mai sowie für Dezember 2008 begehrte, mit dem in Ents[X.]heidungen der Finanzgeri[X.]hte 2011, 545 veröffentli[X.]hten Urteil statt.

4

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] und Satz 2 EStG und nimmt auf das Senatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09 ([X.], 61, [X.], 982) Bezug.

5

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision zurü[X.]kzuweisen.

7

Das Kindergeld habe die Funktion, die besondere wirts[X.]haftli[X.]he Belastung, die Eltern dur[X.]h ihre Unterhaltsverpfli[X.]htung gegenüber Kindern entstehe, zumindest teilweise auszuglei[X.]hen. Das [X.] widerspre[X.]he daher dem im Unterhaltsre[X.]ht geltenden Grundsatz der monatli[X.]hen Leistungsverpfli[X.]htung und könne ni[X.]ht mit einem behaupteten Verwaltungsmehraufwand bei monatli[X.]her Prüfung der Einkünfte und Bezüge gere[X.]htfertigt werden. Zudem komme es zu unzumutbaren Härten, wenn der Grenzbetrag erst dur[X.]h den Zufluss von Einkünften oder Bezügen am Ende des Kalenderjahres übers[X.]hritten werde und das Kindergeld zurü[X.]kgefordert werde, obwohl es seiner Funktion entspre[X.]hend verwendet worden sei. Dur[X.]h das [X.] könnten die Grundre[X.]hte aus Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes verletzt sein.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision der Familienkasse ist nur hinsi[X.]htli[X.]h des Monats Dezember 2008 begründet (unten 1.). Insoweit führt die Revision zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Hinsi[X.]htli[X.]h der Monate Januar bis Mai 2008 ist die Revision der Familienkasse als unbegründet zurü[X.]kzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Denn die Familienkasse war zu einer (rü[X.]kwirkenden) Aufhebung der bestandskräftigen Festsetzung für diese Monate ni[X.]ht bere[X.]htigt (unten 2.).

9

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie [X.] in 2008, das 25. Lebensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hat, besteht na[X.]h § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG u.a. dann Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.]) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr ni[X.]ht übersteigen.

a) In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG befindet si[X.]h, wer sein Berufsziel no[X.]h ni[X.]ht errei[X.]ht hat, si[X.]h aber ernsthaft und na[X.]hhaltig darauf vorbereitet (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. Senatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.]/08, [X.], 1262). Na[X.]h § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] ist ein Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes ni[X.]ht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist ni[X.]ht nur dann der Fall, wenn das Kind no[X.]h keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern au[X.]h dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus s[X.]hul-, studien- oder betriebsorganisatoris[X.]hen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil in [X.], 61, [X.], 982).

b) Dana[X.]h geht das [X.] zunä[X.]hst zutreffend davon aus, dass [X.] im gesamten Kalenderjahr 2008 die Voraussetzungen eines Berü[X.]ksi[X.]htigungstatbestands na[X.]h § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt hat. In den Monaten Januar bis April 2008 (Studium) und im Dezember 2008 (Referendariat) wurde sie i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG für einen Beruf ausgebildet. In den Monaten Mai bis November 2008 war sie als Kind na[X.]h § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] zu berü[X.]ksi[X.]htigen, denn na[X.]h den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hatte sie na[X.]h Abs[X.]hluss des Studiums die Aufnahme in den juristis[X.]hen Vorbereitungsdienst beantragt, die erst zum 1. Dezember 2008 erfolgte.

[X.]) Entgegen der Auffassung des [X.] wird der [X.]atbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] ni[X.]ht dadur[X.]h ausges[X.]hlossen, dass [X.] in den dana[X.]h au[X.]h zu berü[X.]ksi[X.]htigenden Monaten Juni bis November 2008 einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hging. Insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in [X.], 61, [X.], 982. Dana[X.]h stand die Vollzeiterwerbstätigkeit der [X.] ihrer Berü[X.]ksi[X.]htigung als Kind i.S. des § 32 Abs. 4 EStG ni[X.]ht entgegen. Bei der Frage, ob der Jahresgrenzbetrag übers[X.]hritten ist, sind daher au[X.]h ihre Einkünfte und Bezüge aus den Monaten Juni bis November 2008 einzubeziehen. Die vom [X.] für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 [X.]O) festgestellten Einkünfte und Bezüge der [X.] übers[X.]hritten im maßgebli[X.]hen gesamten Kalenderjahr den Jahresgrenzbetrag von 7.680 €. Dem Kläger stand daher für das [X.] kein Anspru[X.]h auf Kindergeld zu.

d) Die vom Kläger gegen die Ausgestaltung des [X.] als Jahresbetrag geri[X.]hteten Einwände greifen ni[X.]ht dur[X.]h. Eine Ausgestaltung des [X.] als Monatsbetrag ist im Hinbli[X.]k auf den dadur[X.]h bedingten Verwaltungsmehraufwand und die [X.]ypisierungs- und Paus[X.]halierungsbefugnis des Gesetzgebers verfassungsre[X.]htli[X.]h ni[X.]ht geboten (vgl. au[X.]h Bes[X.]hluss des Bundesverfassungsgeri[X.]hts vom 27. Juli 2010  2 [X.], Hö[X.]hstri[X.]hterli[X.]he Finanzre[X.]htspre[X.]hung 2010, 1109).

2. Im Ergebnis zu Re[X.]ht hat das [X.] den Bes[X.]heid der Familienkasse vom 23. Juli 2008 und die hierzu ergangene Einspru[X.]hsents[X.]heidung vom 12. März 2009 aufgehoben, soweit die Familienkasse damit die für Januar bis Mai 2008 bereits bestandskräftige Festsetzung von Kindergeld aufgehoben hat. Denn die verfahrensre[X.]htli[X.]hen Voraussetzungen für eine rü[X.]kwirkende Aufhebung lagen ni[X.]ht vor.

a) Insbesondere kam eine Korrektur der Festsetzung na[X.]h § 70 Abs. 4 EStG ni[X.]ht in Betra[X.]ht. Denn im Streitfall haben si[X.]h na[X.]h den Feststellungen des [X.] hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge keine tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen gegenüber den Annahmen in der Prognose ergeben. Vielmehr hat si[X.]h im [X.] allein die Re[X.]htsauffassung der Verwaltung zur Berü[X.]ksi[X.]htigungsfähigkeit von Kindern, die während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.]) einer Vollzeiterwerbstätigkeit na[X.]hgehen, mit der Folge geändert, dass die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung einzubeziehen sind. Eine derartige Änderung der Re[X.]htsauffassung genügt allein aber ni[X.]ht, um eine rü[X.]kwirkende Korrektur der Festsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG zu re[X.]htfertigen. Von den streitbefangenen Monaten konnte die Familienkasse unter Zugrundelegung ihrer geänderten Re[X.]htsauffassung gemäß § 70 Abs. 3 EStG daher nur die Festsetzung von Kindergeld für den Monat Dezember 2008 aufheben. Zur weiteren Begründung wird auf das Urteil vom 21. Oktober 2010 [X.]/09 ([X.], 250) Bezug genommen.

b) [X.] weist der Senat darauf hin, dass der Anwendungsberei[X.]h des § 70 Abs. 4 EStG dann wieder eröffnet ist, wenn ni[X.]ht allein die Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit in Folge geänderter Re[X.]htsauffassung zur na[X.]hträgli[X.]hen Feststellung der Grenzbetragsübers[X.]hreitung führt, sondern si[X.]h zusätzli[X.]h tatsä[X.]hli[X.]he Änderungen hinsi[X.]htli[X.]h des Betrages der Einkünfte und Bezüge ergeben --z.B. dur[X.]h eine bei Erlass der Prognoseents[X.]heidung ni[X.]ht absehbare Nebenerwerbstätigkeit des Kindes, die parallel zu einer avisierten Ausbildung an einer S[X.]hule oder Ho[X.]hs[X.]hule aufgenommen wird-- und diese tatsä[X.]hli[X.]hen Änderungen bereits für si[X.]h genommen die na[X.]hträgli[X.]he Feststellung der Übers[X.]hreitung des (anteiligen) [X.] ermögli[X.]ht hätten. Das Vorliegen eines sol[X.]hen Sa[X.]hverhalts hat das [X.] indes ni[X.]ht festgestellt.

Meta

III R 67/10

22.12.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 11. September 2009, Az: 3 K 1331/09 Kg, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, § 70 Abs 4 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.12.2011, Az. III R 67/10 (REWIS RS 2011, 70)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 70

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2 BvR 2122/09

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