Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2014, Az. VIII ZR 19/13

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6626

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VIII ZR 19/13

Verkündet am:

2. April 2014

Ring,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 256 Abs. 1
Zur Zulässigkeit einer auf Ersatz künftigen Schadens gerichteten Feststellungsklage, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt, jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalls als "sehr, sehr ge-ring" anzusehen ist.

[X.], Urteil vom 2. April 2014 -
VIII ZR 19/13 -
LG [X.]

AG Charlottenburg

-
2
-

Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2014
durch [X.] als Vorsitzenden, die Richte-rin [X.] sowie [X.], [X.] und Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der [X.] wird das Urteil der [X.] des [X.] vom 21. Dezember 2012 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 16. März 2012 wird mit der Maßgabe zu-rückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen
wird.
Die Kläger haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren ein-schließlich der Kosten der Streithilfe zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Kläger
wohnten mit ihren Eltern von 1998 bis 2008 in einer von der [X.] gemieteten Wohnung in [X.]. Der Fußboden der Wohnung bestand bei Mietbeginn aus asbesthaltigen Vinylplatten (sog. [X.]).
Nachdem sich der nach Nutzungsbeginn
von den Eltern der Kläger über den [X.] verlegte Teppich Mitte des Jahres 2005 im vorderen Teil des Flurs gelockert hatte, entfernte der Vater der Kläger in diesem Bereich den 1
2
-
3
-

Teppich und bemerkte, dass die unter dem Teppich befindlichen [X.] teilweise gebrochen waren
und offene
Bruchkanten [X.]. Der Vater der Kläger informierte die Beklagte Ende Juli 2005 über diesen Umstand, worauf die Beklagte der Streithelferin zu 1 am 5. August 2005 den Auftrag erteilte, die beschädigten [X.]
auszutauschen. Dies geschah am Vormittag des 15.
August 2005 durch den Streithelfer zu 2, einen Mitarbeiter der Streithelferin zu
1. Zu dieser Zeit
waren die Kläger in der Schule. Als sie am Nachmittag in die Wohnung zurückkehrten, hatte der Streithelfer zu 2 die Wohnung bereits verlassen. Mitte September 2005 verlegte der Vater der Kläger über den ausge-tauschten [X.] einen neuen Teppich. Die Eltern der Kläger wurden erst im Juni 2006 durch einen
an alle Mieter gerichteten Serienbrief darüber infor-miert, dass die [X.] asbesthaltiges Material enthielten.

Die Kläger behaupten, der Streithelfer zu 2 habe die Arbeiten am [X.] 2005 unter Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften
unsachgemäß
durchge-führt. Insbesondere sei die Baustelle
ungereinigt verlassen worden. Der vor-handene Staub
sei erst von der Mutter der Kläger am Nachmittag
des [X.] 2005
zusammengekehrt worden,
als die Kläger bereits wieder in der [X.] anwesend gewesen seien.
Es müsse damit gerechnet werden, dass die Kläger
im
Zeitraum Juli 2005 bis September 2005, insbesondere durch die [X.] im Juli/August 2005,
[X.]n aufgenommen hätten, die in der Folge schwere Gesundheitsschäden (Tumore) verursachen könnten.
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Feststellung
in Anspruch, dass [X.] verpflichtet ist, den Klägern alle materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen
aus der Gesundheitsgefährdung, die durch den Asbestkontakt in den Mieträumen in der Wohnung bereits entstanden sind und/oder als Spätfolgen noch entstehen
werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen So-zialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
3
4
-
4
-

Das Amtsgericht hat die Feststellungsklage als zulässig angesehen, [X.] mangels Begründetheit abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das
[X.] das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und der Feststellungsklage stattgegeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung
(LG [X.], [X.], 715)
im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Feststellungsklage sei zulässig. Insbesondere sei das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, da mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass ein künftiger Schaden entstehen werde; Gewissheit über den Schadenseintritt müsse nicht bestehen. Ein Feststellungsinteresse bestehe nur dann nicht, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine gewisse, hinrei-chende Wahrscheinlichkeit für den künftigen Eintritt eines Schadens ausge-schlossen werden könne. Ein Schadenseintritt dürfe also weder ausgeschlos-sen noch unwahrscheinlich sein. Das Feststellungsinteresse bestehe darüber hinaus zum Zwecke der Hemmung der Verjährung von Ansprüchen.
Die Feststellungsklage sei auch begründet. Sollte ein Schaden entste-hen, stünde den Klägern ein Anspruch
gegen die Beklagte aus § 535 Abs. 1, 5
6
7
8
9
-
5
-

§
280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 278 BGB zu. Der Streithelfer zu 2 habe vorge-schriebene Sicherheitsvorschriften beim Austausch der [X.] missachtet. Durch die vom Streithelfer zu 2 unterlassene Staubbindung beim Entfernen der [X.] sei die konkrete Gefahr begründet worden, dass ungebundene As-bestfasern in die Luft gelangten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich [X.]n während der sechswöchigen Postsanierungsphase in der Lunge oder im Rippenfell der Kläger hätten festsetzen können, zumal die Klä-ger mit einem neu angeschafften Hund auf dem Boden getollt hätten.
Auch müsse berücksichtigt werden, dass die gebrochenen [X.] zwischen dem Entfernen
des Teppichs durch den Vater der Kläger Ende Juli 2005 bis zu de-ren Austausch am 15. August 2005 zehn Tage offen gelegen hätten.
Zwar habe der Sachverständige im Einzelnen erläutert, dass das Risiko
des Auftretens einer tödlichen Tumorerkrankung für die Kläger "sehr gering"
sei. Folglich sei die Verwirklichung des Risikos, also eine asbestverursachte
Erkrankung
aufgrund der Exposition der Kläger,
eher unwahrscheinlich. [X.] sei das Risiko durch den Sachverständigen auch nicht ausgeschlossen worden; die sachverständigen Ergänzungen zu dem schriftlichen Gutachten hätten ergeben, dass aufgrund der Exposition der Kläger die Möglichkeit einer Erkrankung das allgemeine Lebensrisiko übersteige.
Nicht maßgeblich könne sein, ob die Kläger bei einer viele Jahre später auftretenden Tumorerkrankung eine Kausalität zwischen der [X.] und der Erkrankung würden nachweisen können.
Soweit die Beklagte geltend mache, es sei nicht nachweisbar, ob eine zu einer späteren Erkrankung führende [X.] aus dem ab Juli 2005 begin-nenden
Zeitraum, als der Vater der Kläger den alten Teppich im Flur entfernt habe,
oder aus dem Zeitraum der Arbeiten am 15. August 2005 oder danach stamme, sei dies unerheblich. Bereits ab Juli 2005 habe
die Beklagte für eine 10
11
12
-
6
-

Gefahrverwirklichung einzustehen, weil sie die Eltern der Kläger nicht auf die Verwendung asbesthaltiger [X.] und die damit in Zusammenhang ste-henden Gefahren hingewiesen habe.

II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist
die
Feststellungskla-ge bereits unzulässig. Die Kläger haben unter den vom Berufungsgericht fest-gestellten Umständen nicht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung.
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der [X.] im Zusammenhang mit dem von ihr in Auftrag gegebenen Austausch der
asbesthaltigen Vinylplatten eine über § 278 BGB zurechenbare Pflichtverletzung ihrer Streithelfer zu 1 und 2 zur Last fällt, da der Streithelfer zu
2 während der Arbeiten in der Wohnung vorgeschriebene
Sicherheitsmaß-nahmen unbeachtet gelassen hat.
Auch ist die rechtliche Würdigung der [X.], die Beklagte habe eine vertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dadurch verletzt, dass sie die Eltern der Kläger nach der im Juli 2005 erfolgten Anzeige,
es lägen [X.] mit offenen Bruchkanten frei, nicht
umgehend über die von den Platten möglicherweise ausgehenden Gefahren
informierte, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dies stellt auch die Revision nicht in Frage.
2. [X.] beeinflusst ist hingegen die Annahme des [X.], die Kläger hätten ein schützenswertes rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung.
13
14
15
16
-
7
-

Es kann dabei offen bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die
Zulässigkeit der Feststellungsklage setze
eine hinreichende Wahr-scheinlichkeit dafür voraus, dass die
Pflichtverletzung
der [X.]
in Zukunft zu einem Gesundheitsschaden bei den Klägern führen werde.
Selbst wenn man für die Zulässigkeit der Feststellungsklage die bloße Möglichkeit eines durch die Pflichtverletzungen verursachten Schadenseintritts genügen lassen wollte (vgl. [X.], Urteile vom 16. Januar 2001-
VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431 unter II 2; vom 20. Januar 2001 -
VI [X.], NJW 2001, 3414 unter II 3; Beschluss vom 9. Januar 2007 -
VI [X.], NJW-RR 2007, 601 Rn. 5), ist die Zulässigkeit der Klage im Streitfall zu verneinen. Denn bei verständiger Würdigung besteht aus der Sicht der Kläger auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des
diesen Feststellun-gen zugrundeliegenden Sachverständigengutachtens
kein Grund, mit einem Schaden "wenigstens zu rechnen"
(vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 2007

VI [X.], aaO mwN).
a) Das Berufungsgericht hat, gestützt auf die gutachterlichen Äußerun-gen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, ausgeführt, dass die [X.] des Risikos, an einem durch die Pflichtverletzung der [X.] verur-sachten Tumor zu erkranken, "eher unwahrscheinlich"
sei. Dennoch sei
die Feststellungsklage (zulässig und) begründet, weil der Sachverständige ein auf-grund der [X.] bestehendes Risiko, das geringfügig über dem allgemeinen Lebensrisiko liege,
nicht ausgeschlossen habe.
b) Dem kann, wie die Revision zu Recht rügt, nicht gefolgt werden. Der Sachverständige, Professor für Arbeits-
und Sozialmedizin,
hat ausgeführt, dass das Risiko der Kläger, in Zukunft an einem Tumor zu erkranken, der auf die der [X.] zurechenbaren Pflichtverletzungen zurückzuführen ist, zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, jedoch aufgrund der anzu-17
18
19
20
-
8
-

nehmenden Exposition der Kläger mit [X.]n, die im [X.] liege, als "sehr, sehr gering"
anzusehen sei; mit einer Tumorerkrankung sei "nicht zu rechnen".
Bei dieser Sachlage müssen die Kläger bei verständiger Würdigung nicht mit der Möglichkeit des zukünftigen Eintritts eines
durch die Pflichtverletzung der [X.] verursachten Schadens rechnen.
c) Soweit sich das Berufungsgericht zur Stützung seiner Auffassung auf das Urteil des [X.] vom 28. April 2011
(8 [X.] 769/09,

NZA-RR 2012, 290) beruft, ist der dort entschiedene Sachverhalt mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht vergleichbar. In dem vom [X.] entschiedenen Fall
war zwischen den Parteien unstreitig, dass der dort auf Feststellung der Schadensersatzpflicht klagende Geschädigte über ca. 100 Stunden während der Arbeitsverrichtung asbesthaltige Raumluft eingeatmet hat und dies zu Ablagerungen von [X.]n im Lungengewebe geführt hat; das Gebäude, in dem der Geschädigte Sanierungsarbeiten durchgeführt hatte, [X.] geschlossen und die Arbeiten vom Gewerbeaufsichtsamt wegen Asbestbe-lastung eingestellt.

21
22
-
9
-

III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren tatsächlichen Feststellun-gen zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Zurückweisung der Berufung der Kläger mit der Maßgabe, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
[X.] [X.] [X.]

[X.] Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG [X.]-Charlottenburg, Entscheidung vom 16.03.2012 -
219 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 21.12.2012 -
65 S 200/12 -

23

Meta

VIII ZR 19/13

02.04.2014

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.04.2014, Az. VIII ZR 19/13 (REWIS RS 2014, 6626)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6626

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZR 19/13 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummiete: Zulässigkeit einer Feststellungsklage des Mieters auf Ersatz künftigen Schadens wegen des Risikos einer tödlichen …


8 AZR 769/09 (Bundesarbeitsgericht)

Schadensersatz - Asbestbelastung


8 AZR 471/12 (Bundesarbeitsgericht)

Schadensersatz - Asbestbelastung - vorsätzliche Schädigung


11 S 197/93 (Landgericht Dortmund)


B 2 U 21/08 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Feststellungsklage - fehlendes Feststellungsinteresse des Sonderrechtsnachfolgers - kein Anspruch des Versicherten auf …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VIII ZR 19/13

8 AZR 769/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.