Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2018, Az. B 10 ÜG 4/16 R

10. Senat | REWIS RS 2018, 453

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Gegenstand

Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - sozialgerichtliches Verfahren - hinreichende Bestimmtheit des Klageantrags - Benennung der Bemessungstatsachen - Angabe einer Größenordnung der verlangten Entschädigung - Auslegung des Klagebegehrens - Höhe des eingezahlten Kostenvorschusses als Indiz - Vertretbarkeit einer gegenseitigen Kostenaufhebung trotz erheblichen Unterliegens


Leitsatz

Der Klageantrag einer Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn er die für die Bemessung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benennt und die Größenordnung der verlangten Entschädigung angibt.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1200 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Entschädigung immaterieller Nachteile wegen der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens auf Übernahme der Kosten einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme (Kur) in Höhe von rund 4887 Euro.

2

Der Kläger erhob am 6.10.2005 vor dem [X.] Klage [X.]). Das Verfahren vor dem [X.] endete am [X.] nach einer Reihe medizinischer Ermittlungen mit einem klagabweisenden Urteil. Am 1.10.2010 legte der Kläger Berufung ein, die das L[X.] am 19.1.2012 mit Beschluss zurückwies [X.] 284/10).

3

Ein Schreiben des [X.] vom 20.12.2011 im Berufungsverfahren wertete das L[X.] als [X.] und gab die Sache an den Entschädigungssenat des Gerichts (Entschädigungsgericht) ab. Nach einem Schriftwechsel über die zu erwartenden Gerichtskosten entrichtete der Kläger einen Kostenvorschuss nach einem Streitwert von 5000 Euro. Zur Begründung seiner Klage trug er nach Schilderung des [X.] ua vor, das Verfahren habe allein in der ersten Instanz mehr als fünf Jahre unerledigt gelegen und dazu noch mehr als ein Jahr in der zweiten Instanz. Zu der vom Entschädigungsgericht anberaumten mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen. Das Entschädigungsgericht hat als sinngemäßen Klageantrag angenommen, der Kläger verlange eine angemessene Entschädigung in Geld für die Überlänge des Verfahrens vor dem [X.], deren Höhe er in das Ermessen des Gerichts stelle. Es hat den Beklagten daraufhin verurteilt, an den Kläger wegen der überlangen Verfahrensdauer des vor dem [X.] geführten Verfahrens eine Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 1200 Euro zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe das Entschädigungsbegehren der Höhe nach nicht konkretisieren und insbesondere auch keinen Mindestbetrag benennen müssen. Soweit die Rechtsprechung der anderen [X.]gerichte für [X.]n nach § 198 [X.] zumindest die Angabe der Größenordnung der begehrten Entschädigung und der anspruchsbegründenden Tatsachen verlange, so sei dies unvertretenen Klägern in der Regel kaum möglich. Ein derartiges Substantiierungserfordernis widerspräche dem in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Grundsatz der [X.]. In der Sache seien 12 Monate der Inaktivität in der ersten Instanz zu verzeichnen, ohne dass dies durch eine besonders zügige Verfahrensführung in der Berufungsinstanz kompensiert worden sei, die ihrerseits sieben Monate der Inaktivität aufweise. Angesichts der wegen der erforderlichen medizinischen Ermittlungen leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeit und der leicht unterdurchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens seien die Monate der Inaktivität in der ersten Instanz mit dem gesetzlichen Regelsatz zu entschädigen (Urteil vom 26.10.2016).

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 92 [X.]G. Das Entschädigungsgericht hätte die [X.] als unzulässig abweisen müssen, weil es an einem ausreichend bestimmten Klageantrag fehle. Zumindest die Größenordnung der begehrten Entschädigungssumme und den hierzu erforderlichen Tatsachenvortrag hätte der Kläger angeben müssen, wie in Anlehnung an die zivilgerichtliche Rechtsprechung zum Schmerzensgeld in der Entschädigungsrechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des [X.] anerkannt sei. Der Grundsatz der [X.] sei auf Sozialleistungen begrenzt und auf den Entschädigungsanspruch nicht übertragbar.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2016 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 [X.]). Der Kläger hat gegen den [X.]n nach § 198 Abs 1 S 1 [X.] Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens vor dem [X.] [X.]) in der vom [X.] angenommenen Höhe von 1200 Euro.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des [X.]s vom 26.10.2016, soweit es dem Kläger diese Forderung zugesprochen hat.

Die [X.] des [X.] ist zulässig (1) und zumindest im vom [X.] angenommenen Umfang begründet (2).

1. Die [X.] ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 [X.]; s hierzu [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - [X.], 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]5 mwN) und auch sonst zulässig. Dem Vorbringen des [X.] lässt sich ein hinreichend bestimmter Klageantrag iS von § 92 Abs 1 [X.] [X.] entnehmen. Entgegen der Ansicht der Revision genügt die Klage daher den Anforderungen des § 92 Abs 1 [X.].

Nach § 92 Abs 1 S 1 [X.] muss die Klage den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen; nach [X.] der Vorschrift soll dafür jede Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Dieser Antrag und die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen bestimmen das Klagebegehren und damit den prozessualen Streitgegenstand (vgl [X.]surteil vom [X.] - [X.] EG 2/13 R - Juris Rd[X.] mwN). Davon hängen sowohl der Umfang der Rechtshängigkeit gemäß § 94 S 1 [X.] ab, als auch nach § 141 Abs 1 [X.] die spätere Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung (vgl Schütz in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 1. Aufl 2017, § 141 Rd[X.]5 mwN).

In streitwertabhängigen Prozessen wie [X.]n nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) richtet sich gemäß § 52 Abs 1 GKG zudem die Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten unter Einschluss der gegnerischen Aufwendungen nach dem Klageantrag. Spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung muss daher hinreichend klar bestimmt sein, welches Ziel die Klage mit welcher tatsächlichen Begründung verfolgt (vgl [X.] vom [X.] - B 6 KA 77/03 R - [X.] 4-1500 § 92 [X.] Rd[X.]5, 20). Aus diesem Bestimmtheitsgrundsatz folgt jedoch nicht, dass bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage der geforderte Geldbetrag stets genau beziffert werden muss. Das B[X.] hat für [X.] schon vor Inkrafttreten des [X.] im Einklang mit der Rechtslage im zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren genügen lassen, dass neben dem anspruchsbegründenden Sachverhalt zumindest die ungefähre Höhe des verlangten Geldbetrags angegeben wird ([X.] vom 30.4.1986 - 2 RU 15/85 - [X.], 87, 90 = [X.] 1200 § 53 [X.]; ebenso [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 92 [X.] Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 92 Rd[X.]8 mwN), so dass ausreichend Anhaltspunkte für ein hinreichend bestimmtes Klagebegehren erkennbar werden.

Für Klagen auf Geldentschädigung nach dem [X.] wegen erlittener immaterieller Nachteile muss dies erst recht ausreichen gemessen daran, dass das Gesetz hierfür im Regelfall einen [X.] vorsieht (§ 198 Abs 2 [X.] [X.]) und der Tatrichter über die Höhe der Entschädigung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls entscheidet (§ 198 Abs 2 S 4 [X.]; [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - [X.], 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]7 f mwN; hierzu auch [X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 [X.] Rd[X.]44). [X.] der Kläger einen vom Regelsatz abweichenden Entschädigungsbetrag oder den Regelbetrag nur als Mindestbetrag geltend machen, kann er sich darauf beschränken, einen unbezifferten Klageantrag zu stellen.Um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, muss der Kläger einer [X.] dann lediglich die für die Bemessung der Höhe des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung (etwa einen Mindestbetrag) angeben. Der [X.] stimmt in dieser Frage mit der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des [X.] wegen überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren überein ([X.] Urteil vom 2.12.2015 - [X.] - Juris Rd[X.]9; BVerwG Urteil vom [X.] - Juris Rd[X.]5; [X.] Urteil vom 23.1.2014 - [X.]/13 - [X.]Z 200, 20 Rd[X.]6).

Der [X.] sieht sich auch mit Blick auf die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht veranlasst, das [X.] gemäß §§ 1, 2 Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des [X.] einzuleiten (vgl [X.]surteil vom 7.9.2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]2; [X.]surteil vom 15.12.2015 - [X.] ÜG 1/15 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]6). Die Übereinstimmung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in [X.] vor den Sozialgerichten zusätzlich der Grundsatz der Meistbegünstigung gilt (s hierzu [X.]sbeschluss vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 8/14 B - [X.] 4-1720 § 198 [X.] RdNr 6 ff). Entgegen der Revision ist der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) in den einzelnen Verfahrensordnungen mit Rücksicht auf die verschiedenartige Regelungsmaterie der Ausgangsverfahren unterschiedlich ausgestaltet. Für [X.] wegen unangemessener Dauer sozialgerichtlicher Verfahren ergibt sich dies aus dem unmissverständlichen Normbefehl zur Anwendung des [X.] (§ 202 S 2 [X.]).

Gemessen an diesen Grundsätzen verfehlt zwar der vom [X.] angenommene Antrag, der die Entschädigungssumme ohne Angabe einer Größenordnung vollständig in das Ermessen des Gerichts stellt, diese Voraussetzungen an einen hinreichend bestimmten Klageantrag für eine [X.] nach §§ 198 ff [X.]. Indes lässt sich ein solcher Antrag dem gesamten Vorbringen des [X.] im [X.] sinngemäß noch durch Auslegung entnehmen.

Das Gericht entscheidet nach § 123 [X.] über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung seiner Anträge gebunden zu sein. Das Gewollte, also das mit der Klage verfolgte Prozessziel, ist im Wege der Auslegung festzustellen (vgl [X.] vom 8.12.2010 - B 6 [X.]/09 R - Juris Rd[X.]7 f; [X.] vom 22.3.1988 - 8/5a [X.] - [X.], 93, 94 = [X.] 2200 § 205 [X.]). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist der wirkliche [X.]e zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen, insbesondere der Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten (vgl [X.] vom 22.3.1988 - 8/5a [X.] - aaO). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa [X.] vom 24.4.2008 - [X.]/9a S[X.]/06 R - [X.] 4-3250 § 69 [X.] Rd[X.]6). Eine solche Auslegung dient damit zugleich der Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl dazu [X.] Plenum Beschluss vom 30.4.2003 - 1 [X.] 1/02 -; [X.]E 107, 395, 401 ff = [X.] 4-1100 Art 103 [X.], Rd[X.] ff). Diese Auslegung hat das Revisionsgericht vorzunehmen, ohne an die von den [X.] vorgenommene Auslegung oder die dafür herangezogenen Feststellungen gebunden zu sein ([X.] vom [X.] - [X.] SB 2/16 R - [X.] 4-1500 § 92 [X.] Rd[X.]2 mwN).

Wie die Auslegung im Fall des [X.] ergibt, war sein Klageziel auf eine Geldentschädigung in Höhe von 5000 Euro gerichtet. Seine schriftlichen Äußerungen im [X.] genügen im Gesamtzusammenhang noch den Anforderungen an eine entsprechend genaue Angabe der Entschädigungssumme auf Grundlage der zu ihrer Bemessung erforderlichen Tatsachen. Die erforderliche Größenordnung der Entschädigungssumme lässt sich bereits der Klagebegründung vom [X.] entnehmen, in der der Kläger die Verfahrensdauer sowohl der ersten Instanz mit mehr als fünf Jahren als auch die der zweiten Instanz mit nochmals mehr als einem Jahr beanstandet hatte. In seinen Schreiben vom 6.11.2013 und [X.] hatte er angesichts weiterer von ihm als überlang angesehener Verfahren (vgl Aussetzungsbeschluss des [X.]s vom [X.]) sein Begehren schließlich dahin präzisiert, dass sein Entschädigungsantrag sich nur auf das erst- und zweitinstanzliche Verfahren, zuletzt unter [X.] 284/10, beziehe, mithin auf die gesamte Verfahrensdauer von insgesamt 74 Kalendermonaten (vgl hierzu [X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 11/13 R - [X.], 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]4). Gleichzeitig lassen die aktenkundigen Umstände des vom Kläger gezahlten Kostenvorschusses für eine Entschädigungssumme in Höhe von 5000 Euro erkennen, dass er eine darüber hinausgehende Entschädigungssumme im Blick hatte, es ihm aber wegen seiner angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse um eine Begrenzung des Kostenrisikos ging. Gemessen an der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, an der der Kläger sein Begehren von Anfang an ausdrücklich ebenfalls ausgerichtet sehen wollte, und der danach in Rechnung zu stellenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit (vgl ua [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - B[X.]E 117, 21 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]3 ff) und der nur ausnahmsweise gegebenen Möglichkeit einer Abweichung vom [X.] ([X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 11/13 R - [X.], 102 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]7 ff) stellte sich der Kläger demzufolge nach den erkennbaren Gesamtumständen zuletzt einen Entschädigungsanspruch ungefähr in Höhe von 5000 Euro vor. Dass dieser Betrag dem von der Vorinstanz angenommenen Regelstreitwert bei Fehlen genügender Anhaltspunkte im Sach- und Streitstand (§ 52 Abs 2 GKG) entspricht, ist für die Auslegung des Klagebegehrens durch das Revisionsgericht ohne Bedeutung. Auch das [X.] ist im Übrigen in seinem Urteil davon ausgegangen, der Kläger verlange mehr als die zugesprochene Entschädigung in Höhe von 1200 Euro, weshalb es die [X.] teilweise als unbegründet abgewiesen hat.

2. Die [X.] war in der vom [X.] zugesprochenen Höhe begründet, was der [X.] in der Sache zu Recht nicht bestreitet. Der Kläger hat nach § 198 Abs 1 S 1 [X.] Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1200 Euro wegen immaterieller Nachteile durch die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens vor dem [X.].

Nach § 198 Abs 1 S 1 [X.] wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Einer Verzögerungsrüge bedurfte es insoweit nach § 198 Abs 3 [X.] iVm Art 23 S 4 [X.] ausnahmsweise nicht.

Das Ausgangsverfahren vor dem [X.] hat nach den Feststellungen des [X.]s mindestens 12 Monate zu lange gedauert. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 [X.] nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten, des Ausgangsgerichts und Dritter (vgl hierzu ausführlich [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]8 ff mwN). Das [X.] hat insoweit in Ausfüllung seines weiten tatrichterlichen [X.] ([X.]surteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 11/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]5 mwN) in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine leicht überdurchschnittliche Schwierigkeit und eine leicht unterdurchschnittliche Bedeutung des Verfahrens angenommen. Auch angesichts der regelmäßig anzunehmenden 12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit je Instanz (vgl [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]5 ff mwN) durfte es aufgrund seiner nicht zu beanstandenden Beurteilung der Prozessleitung einerseits des [X.] als Ausgangsgericht und andererseits des prozessualen Handelns des [X.] im dort geführten Verfahren von einer entschädigungspflichtigen Untätigkeit des [X.] von zumindest 12 Monaten ausgehen, die nicht durch eine besonders zügige Verfahrensweise der Berufungsinstanz kompensiert worden ist. Für den als Folge dieser Verzögerung nach § 198 Abs 2 S 1 [X.] vermuteten immateriellen Nachteil hat das [X.] dem Kläger zu Recht eine Entschädigung in der [X.] des § 198 Abs 2 [X.] [X.] von 1200 Euro für das Jahr der Verzögerung zugesprochen. Nach den von ihm festgestellten Umständen des Einzelfalls war nicht ausnahmsweise eine ausreichende Wiedergutmachung in anderer Weise möglich und erschien eine Entschädigung in Höhe des [X.] nicht unbillig (§ 198 Abs 2 S 2 und 4 [X.]; vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.] 4-1720 § 198 [X.], Rd[X.]4 ff mwN). Schließlich hat das [X.] dem Kläger auch zutreffend Prozesszinsen für seinen Entschädigungsanspruch zugestanden (vgl [X.]surteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] Rd[X.]4 mwN).

Der [X.] hat nicht zu entscheiden, ob dem Kläger sogar eine noch höhere Entschädigung zugestanden hätte, weil das [X.] weitere Zeiten der Inaktivität im erst- und zweitinstanzlichen Ausgangsverfahren zu berücksichtigen gehabt hätte. Revision hat allein der [X.] eingelegt.

3. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 [X.] iVm § 154 Abs 2 VwGO und dem Umstand, dass der [X.] mit seinem Rechtsmittel vollständig unterlegen ist. Der [X.] sieht von einer grundsätzlich zulässigen ([X.]surteil vom 10.9.1987 - 10 [X.] - B[X.]E 62, 131 = [X.] 4100 § 141b [X.]0 Juris, Rd[X.]9 mwN) Änderung der Kostenentscheidung des [X.]s ab. Die gegenseitige Kostenaufhebung erscheint trotz des nicht unerheblichen Unterliegens des [X.] als noch vertretbare Entscheidung nach § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 [X.] iVm § 155 Abs 1 S 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 [X.] iVm § 63 Abs 2 S 1, § 47 Abs 1 S 1 GKG. Der Streitwert ergibt sich aus der Entschädigungssumme, die das L[X.] dem Kläger zugesprochen hat und gegen die sich die Revision des [X.]n richtet.

Meta

B 10 ÜG 4/16 R

13.12.2018

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Gießen, 13. September 2010, Az: S 6 KN 146/05, Urteil

§ 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 1 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 3 GVG, § 92 Abs 1 S 1 SGG, § 92 Abs 1 S 3 SGG, § 123 SGG, § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG, § 52 Abs 1 GKG 2004, § 52 Abs 2 GKG 2004, § 155 Abs 1 S 1 VwGO, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 13.12.2018, Az. B 10 ÜG 4/16 R (REWIS RS 2018, 453)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 453

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X K 6/14

III ZR 37/13

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