Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.07.2010, Az. 4 Ni 50/07 (EU)

4. Senat | REWIS RS 2010, 4466

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Antrag auf Streitwertherabsetzung" - zur Streitwertbegünstigung bei Glaubhaftmachung der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage infolge der Verletzungsstreitigkeiten - Bestand der Antragstellerin ist in Gefahr - Wahrung des verfassungsmäßigen Rechts auf Zugang zu den Gerichten


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent …

hier: Antrag auf Streitwertherabsetzung

hat der 4. Senat ([X.]) des [X.] am 23. Juli 2010

durch [X.], [X.] und Dipl.-Phys. Dr. Müller

beschlossen:

Die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten bemisst sich nach einem Streitwert von 1.000.000,00 €.

Gründe

I.

1

1. Die Klägerin und [X.]ntragstellerin hat Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent erhoben und den Streitwert in der Klageschrift mit 1 Mio. € angegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009 wurde der Streitwert unmittelbar nach der [X.]ntragstellung auf 10 Mio. € festgesetzt. Zuvor war bekundet worden, der Streitwert eines parallelen Verletzungsverfahrens belaufe sich auf diesen Wert. Im [X.] an die mündliche Verhandlung wurde das klageabweisende Urteil verkündet. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

2

Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2010 kündigte die [X.]ntragstellerin einen [X.]ntrag auf Streitwertbegünstigung an, der mit Schreiben vom 18. März 2010 dann auch gestellt wurde.

3

2. Der [X.]ntragstellerin war mit Urteil des [X.] vom 31. Juli 2007 ([X.]. 4b [X.]/06) auf der Grundlage des Streitpatents untersagt worden, bestimmte [X.] weiter zu vertreiben, Rechnung zu legen und den vorhandenen Bestand von [X.] im angegebenen Verkaufswert von „etwa 6.500.000,00 €“ zu vernichten. Die Berufung der [X.]ntragstellerin gegen dieses Urteil wurde vom [X.] mit Urteil vom 22. Dezember 2008 ([X.]. [X.]) zurückgewiesen.

4

[X.]m 26. Oktober 2009 erwirkte die [X.]ntragsgegnerin ebenfalls auf der Grundlage des Streitpatents eine einstweilige Verfügung des [X.] ([X.]. 4b [X.]/09) gegen die [X.]ntragstellerin betreffend eine abgeänderte [X.]usführungsform, wonach auch für diese [X.]usführungsform [X.] untersagt sowie die Herausgabe der vorhandenen [X.] bis zur Entscheidung über den [X.] angeordnet wurden.

5

Diese Verfügung hielt das [X.] mit Urteil vom 18. Dezember 2009 mit der Maßgabe aufrecht, dass die Vollziehung und die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600.000,00 € abhängig gemacht wurden. Diese Sicherheitsleistung hat die [X.]ntragsgegnerin am 18. Januar 2010 erbracht.

6

3. Die [X.]ntragstellerin ist der [X.]uffassung, der [X.]ntrag auf Streitwertbegünstigung sei zulässig, weil erstmals nach der [X.]ntragstellung ein Streitwert festgesetzt worden sei und dies auch in einer anderen Höhe als von ihr in der Klage angegeben, weshalb auch eine nachträgliche Heraufsetzung vorliege.

7

Der [X.]ntrag sei auch begründet, weil die Belastung aus dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde. Hierzu legt sie wirtschaftliche Berechnungen sowie eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vor und macht geltend, sie könne derzeit praktisch keine [X.] mehr vertreiben.

8

Die [X.]ntragsgegnerin behauptet, der [X.]ntrag sei schon unzulässig, weil er nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt worden sei, jedenfalls aber sei er unbegründet, weil nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, dass es erst nach der hiesigen Entscheidung zu einer erheblichen Gefährdung der wirtschaftlichen Lage der [X.]ntragstellerin gekommen sei.

II.

9

1. Der [X.]ntrag ist zulässig, § 144 [X.]bs. 2 Satz 3 [X.] i. V. m. § 2 [X.]bs. 2 Satz 5 [X.] Der zunächst seitens der Klägerin in der Klageschrift angegebene Streitwert wurde nämlich erst nach dem Beginn der Verhandlung zur Hauptsache, also nach der [X.]ntragstellung, vom Gericht festgesetzt ([X.], [X.], 10. [X.]ufl., § 144 Rdnr. 9; [X.]/[X.], [X.], 8. [X.]ufl., § 144 Rdnr. 11).

2. Der [X.]ntrag ist auch begründet.

a) Die [X.]ntragstellerin hat in einer der Vorschrift des § 294 ZPO genügenden Form glaubhaft gemacht, dass sich infolge der Verletzungsstreitigkeiten zwischen den Parteien ihre wirtschaftliche Lage nach der hiesigen Entscheidung einschneidend verschlechtert hat, nachdem sie praktisch keine [X.] mehr herstellen und vertreiben kann und sich auch die [X.]ussicht auf ein anderes, zunächst geplantes Geschäft zerschlagen hat.

b) Die wirtschaftliche Lage der [X.]ntragstellerin stellt sich danach so dar, dass sie im Kalenderjahr 2008 einen Umsatz in Höhe von 6.220.556,85 € und im [X.], bis zur Vollstreckung des Urteils des [X.] vom 22. Dezember 2008 ([X.]. [X.]) am 15. Januar 2009, einen solchen in Höhe von 718.358,22 €. erzielte. Gleichzeitig ergeben sich zum 31. Dezember 2009 ein Bilanzverlust in Höhe von 3.101.547,94 €, ein nicht gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 640.407,94 € und Verbindlichkeiten in einer Höhe von 5.055.656,53 €, denen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von 3.086.593,04 € gegenüberstehen. Für das [X.] weist die [X.]ntragstellerin einen Jahresfehlbetrag in Höhe von 821.610,30 € und für das [X.] einen Überschuss in Höhe von 82.245,67 € aus.

Mit der geänderten [X.]usführungsform, deren Vertrieb durch die [X.]ntragstellerin am 4. Juni 2009 begann, erzielte sie zwischen Juni und November 2009 einen Umsatz in Höhe von 655.656,75 €, davon allein im Oktober 212.591,40 €, bevor ihr mit einstweiliger [X.]nordnung des [X.] vom 26. Oktober 2009 ([X.]. 4b [X.]/09) auf der Grundlage des Streitpatents auch insoweit die [X.] untersagt wurden. [X.]ls das [X.] mit Urteil vom 18. Dezember 2009 diese Maßnahme dahingehend bestätigte, dass die Vollziehung und die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600.000,00 € abhängig gemacht wurde, erzielte die [X.]ntragstellerin mit Herstellung, [X.]nbieten und Vertrieb der geänderten [X.]usführungsform zwischen dem 18. Dezember 2009 und dem 18. Januar 2010, als die Sicherheit geleistet wurde, im ersten Quartal 2010 noch einen Umsatz von etwa 1.221.000,00 € bei Kosten in Höhe von 1.322.000,00 €.

c) Daraus ergibt sich, dass die entscheidende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der [X.]ntragstellerin erst nach der hier in Frage stehenden Festsetzung des Streitwerts in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009 eingetreten ist und gleichzeitig die Belastung mit Verfahrenskosten in Höhe von etwa 460.000,00 € den Bestand der [X.]ntragstellerin erheblich gefährden würde. Hinzu kommt, dass diese Gefährdung der wirtschaftlichen Lage der [X.]ntragstellerin ganz offensichtlich mit den Verfahren betreffend eine tatsächliche oder mögliche Verletzung des Streitpatents zusammenhängt.

Daher ist der [X.]ntragstellerin derzeit die Streitwertbegünstigung zu gewähren, um ihren Weiterbestand nicht über Gebühr zu gefährden und auch um ihr verfassungsmäßiges Recht auf Zugang zu den Gerichten zu wahren. Durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, auf gesonderten [X.]ntrag gegebenenfalls nach einem herabgesetzten Streitwert eine gerichtliche Entscheidung über den Bestand eines Patents zu erlangen, soll nämlich gewährleistet werden, nicht wegen eines auf Grund einer bezifferten Schadensersatzklage festzusetzenden Streitwerts und der deshalb drohenden Kosten von der Nichtigkeitsklage [X.]bstand nehmen zu müssen, die als Reaktion auf die [X.] für geboten erachtet wird (vgl. [X.], [X.], 1100 – [X.]).

Die [X.]ussichten der Rechtsverfolgung seitens der [X.]ntragstellerin spielen hierbei keine Rolle. [X.]usgeschlossen wäre eine Streitwertbegünstigung nur, wenn sich das Verhalten der [X.]ntragstellerin als rechtsmissbräuchlich darstellen würde. Dafür ist nichts ersichtlich oder vorgetragen (allg. M., vgl. nur [X.], a. a. [X.], § 144 Rdnr. 7 m. w. N.).

[X.] ist auch, dass die Nichtigkeitsklage in der ersten Instanz abgewiesen wurde, denn das schließt eine andere Entscheidung im Berufungsverfahren, sei es aufgrund einer anderen rechtlichen Bewertung oder aufgrund anderen [X.], nicht aus. Daher kann es für die Beurteilung einer Streitwertbegünstigung im [X.] auch nicht auf das Ergebnis dieser Instanz ankommen (a. [X.] wohl [X.], [X.], 219 für das Verletzungsverfahren).

d) Nachdem die [X.]ntragstellerin selbst in ihrer Klageschrift einen Streitwert in Höhe von 1 Million Euro vorgeschlagen hatte, war derjenige Teil des Streitwerts, nach dessen Höhe sich ihre Erstattungspflicht bemisst, auf diesen Betrag festzusetzen. Schließlich bedürfen auch die Interessen der [X.]ntragsgegnerin einer Berücksichtigung und es hat auch ein gewisses Kostenwagnis bei der [X.]ntragstellerin zu verbleiben (vgl. [X.], a. a. [X.], § 144 Rdnr. 6 m. w. N.).

Meta

4 Ni 50/07 (EU)

23.07.2010

Bundespatentgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

§ 294 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.07.2010, Az. 4 Ni 50/07 (EU) (REWIS RS 2010, 4466)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4466

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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