Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.03.2011, Az. IX R 72/04

9. Senat | REWIS RS 2011, 8797

STEUERRECHT STEUERN

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Gegenstand

Verlustrücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998


Leitsatz

Im Rahmen des Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht anzuwenden (entgegen R 115 Abs. 6 EStR 1999).

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 508.453 DM, die Klägerin Verluste aus stiller Beteiligung an einer GmbH in Höhe von ./. 17.500 DM sowie aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ./. 226.302 DM. Die Einkommensteuer 1998 wurde bestandskräftig auf 81.910 DM festgesetzt.

2

Im Veranlagungszeitraum 1999 erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 160.033 DM sowie Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 2.383.902 DM, die Klägerin Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ./. 85.901 DM.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) setzte die Einkommensteuer 1999 mit 0 DM fest. Ferner erließ das [X.] einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998, in dem es den 1999 entstandenen Verlust anteilig in Höhe von 110.425 DM in das Streitjahr zurücktrug und die Einkommensteuer auf 33.360 DM festsetzte. Dabei ermittelte es die Höhe des im Streitjahr zu berücksichtigenden Verlustes unter entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 3 und § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des [X.] 1999/2000/2002 ([X.]/2002).

4

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) vertrat die Auffassung, die Grundsätze der Mindestbesteuerung könnten für das Streitjahr noch keine Geltung beanspruchen. Aus dem Wortlaut des § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des [X.]/2002 und nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung setze die Vorschrift erkennbar die vorherige Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG i.d.F. des [X.]/ 2002 voraus. Diese Norm sei aber erst am 1. Januar 1999 in [X.] getreten und nach eindeutigem Wortlaut des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.]/2002 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine Sonderregelung enthalte § 52 EStG i.d.F. des [X.]/2002 nicht. Dieses Ergebnis entspreche auch der in den Gesetzesmaterialen zu § 52 Abs. 25 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.]/2002 festgehaltenen Absicht, bis zum Schluss des Veranlagungszeitraums 1998 entstandene und noch nicht ausgeglichene und zurückgetragene Verluste aus "verwaltungstechnischen Gründen" wie bisher unbegrenzt zum Abzug zuzulassen (vgl. BTDrucks 14/443, 33). Dem würde es widersprechen, nunmehr im Rahmen des § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des [X.]/2002 die Einkünfte des [X.] 1998 bereits nach der komplizierten Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG i.d.F. des [X.]/2002 zu ermitteln. Im Gegensatz hierzu verdeutliche die Neuregelung des Verlustausgleichs und des [X.] ab dem Veranlagungszeitraum 2004 in § 52 Abs. 25 Sätze 3 und 4 EStG, dass der Gesetzgeber eine gewollte Rückwirkung für das Rücktragsjahr im Einzelfall auch ausdrücklich anordne.

5

Das Urteil des [X.] wurde dem [X.] am 13. Oktober 2004 zugestellt. Hiergegen legte das [X.] mit einem an das [X.] adressierten Schriftsatz vom 27. Oktober 2004, eingegangenen beim [X.] am 29. Oktober 2004, Revision ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 26. November 2004. Das [X.] übersandte die Revisionsschrift mit Schriftsatz vom 18. November 2004, eingegangen beim [X.] ([X.]) am 3. Dezember 2004. Auf entsprechenden Hinweis beantragte das [X.] --fristgerecht-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Durch Zwischenurteil vom 17. Januar 2007 [X.] hat der [X.] entschieden, dass die Revision gegen das Urteil des [X.] vom 22. September 2004 rechtzeitig eingelegt wurde und mithin zulässig ist.

6

In der Sache begründet das [X.] seine Revision damit, dass es sich bei den in das Streitjahr 1998 zurückzutragenden Verlusten um solche handele, die nach Inkrafttreten des [X.] 1999/2000/2002 entstanden seien. Für diese gelte gemäß § 52 Abs. 1 i.d.F. des [X.]/2002 die Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. dieses Gesetzes. Dies bedeute, dass bereits für den Veranlagungszeitraum 1998 eine fiktive Rechnung nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des [X.]/2002 anzustellen sei (vgl. [X.] der [X.] --EStR-- 1999).

7

Das [X.] beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils als unbegründet abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie verweisen im Wesentlichen auf die ihrer Auffassung nach zutreffende Entscheidung des [X.].

9

Der [X.] hat das Revisionsverfahren durch Beschluss vom 19. Februar 2007 [X.] bis zum Ergehen einer Entscheidung des [X.] ([X.]) in dem [X.] 2 [X.] ausgesetzt. Nach Abschluss dieses Verfahrens (s. [X.]-Beschluss vom 12. Oktober 2010  2 [X.], [X.]/NV 2010, 2387) hat der Senat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 18. Januar 2011 [X.] wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen; das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei einem nach § 10d EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 zu beurteilenden [X.] eines 1999 erzielten Verlustes in das Streitjahr § 2 Abs. 3 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 nicht anzuwenden ist.

1. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.[X.] 1999/2000/ 2002 sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 2 Mio. DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen. Dieser Grundsatz wird durch Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Vorschrift dahin eingeschränkt, dass die negativen Einkünfte zunächst von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen sind, die "nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG verbleiben". Soweit in diesem Veranlagungszeitraum "durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 3" oder einen Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, mindern die nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.[X.] 1999/2000/ 2002 verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100.000 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100.000 DM übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten.

2. Die in § 10d Abs. 1 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 in Bezug genommene Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 ist nach § 52 Abs. 1 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine abweichende, den Veranlagungszeitraum 1998 erfassende Anwendungsregelung ist auch § 52 Abs. 25 Satz 1 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 nicht zu entnehmen; dieser erfasst lediglich den auf den am Schluss des Veranlagungszeitraums 1998 festgestellten verbleibenden Verlustabzug, d.h. vor 1999 erzielte Verluste. § 2 Abs. 3 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 ist auch nicht --erst recht nicht "[X.] deshalb im Rahmen der Berücksichtigung von (zurückgetragenen) Verlusten im Streitjahr 1998 anzuwenden, weil die ab 1999 geltende Neufassung des § 10d Abs. 1 Sätze 2 ff. EStG durch das [X.] hierauf Bezug nimmt. Nach der dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Systematik regelt ausschließlich § 52 EStG den zeitlichen Anwendungsbereich von Gesetzesänderungen.

Die Anwendung von [X.]regelungen auf frühere Veranlagungszeiträume hat der Gesetzgeber bisher stets ausdrücklich geregelt. So bestimmt etwa § 52 Abs. 25 Satz 3 EStG i.d.[X.] zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 ([X.], 2840) ausdrücklich, dass auf den Verlustrücktrag aus dem Veranlagungszeitraum 2004 in den Veranlagungszeitraum 2003 § 10d Abs. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist. Auch früher wurde die zeitliche Rückanknüpfung einer Neuregelung des [X.] gesetzlich ausdrücklich in § 52 EStG angeordnet (vgl. z.B. § 52 Abs. 18a EStG i.d.F. des [X.] vom 22. Dezember 1981, [X.], 235, zur Erweiterung des [X.] auf zwei Veranlagungszeiträume; § 52 Abs. 13d EStG i.d.F. des Standortsicherungsgesetzes vom 13. September 1993, [X.], 774, zum Wahlrecht zwischen Verlustrück- und -vortrag). Dies zeigt, dass der Gesetzgeber die Rückanknüpfung einer Änderung des [X.] nicht bereits durch § 10d Abs. 1 EStG als gewährleistet ansieht. Aus dem Umstand, dass eine vergleichbare Regelung in § 52 Abs. 25 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 fehlt, schließt der Senat, dass die Änderungen in § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG i.d.[X.] 1999/ 2000/2002 noch nicht für den [X.] von Verlusten   in den Veranlagungszeitraum 1998, sondern nur für den [X.] von Verlusten   in den Veranlagungszeitraum 1999   gelten sollten (ebenso [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 10d EStG Rz [X.]; [X.], Steuer und Bilanzen 1999, 355, 356; zu abweichenden Lösungsansätzen s. zusammenfassend [X.], [X.] nach dem [X.], 120 ff., m.w.N.). Nicht zu folgen ist der in diesem Zusammenhang von der Finanzverwaltung in [X.] Abs. 6 EStR 1999 vertretenen Auffassung, wonach für Zwecke des [X.]s der 1999 nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte bei der Veranlagung für 1998 die Regelungen des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002 zugrunde zu legen seien (sog. "Schattenveranlagung"). Dies folgt schon daraus, dass die dort genannten Betragsgrößen im Veranlagungszeitraum 1998 nicht, wie dies § 10d Abs. 4 EStG i.d.[X.] 1999/ 2000/2002 für die Veranlagungszeiträume ab 1999 vorsieht, förmlich festgestellt sind (so auch [X.]/[X.], § 10d EStG Rz [X.]; [X.]/[X.], [X.] 1999, 487, 497; ohne Begründung a.[X.]/[X.], EStG, 19. Aufl. 2000, § 10d Rz 11).

3. Dieser rechtliche Befund führt im Ergebnis dazu, dass ein [X.] von im Veranlagungszeitraum 1999 erzielten Verlusten in den Veranlagungszeitraum 1998 ausschließlich nach § 10d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 5 EStG i.d.[X.] 1999/2000/ 2002 zu beurteilen ist. Dies entspricht auch dem in der ständigen Rechtsprechung des [X.] entwickelten Grundsatz, dass über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlustes nicht im Entstehungsjahr, sondern in dem Jahr entschieden wird, in dem sich der Verlustrücktrag steuerrechtlich auswirkt. Die "negativen Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden" (s. § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.[X.] 1999/2000/2002), bilden insoweit nur eine Ausgangsgröße (Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung) für die Ermittlung des im Streitjahr wirksam werdenden [X.] (vgl. [X.]-Urteil vom 27. Januar 2010 [X.], [X.]E 228, 301, BStBl II 2010, 1009).

Auf die Frage, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.[X.] 1999/ 2000/2002 verfassungswidrig ist (so [X.]-Beschluss vom 6. September 2006 [X.], [X.]E 214, 430, [X.], 167) oder ob die Regelung auf der Basis ihrer "rechensystematischen Grundstruktur" dann doch irgendeiner --nachgerade beliebigen-- Auslegung zugänglich sein könnte (so wohl BVerfG-Beschluss in [X.]/NV 2010, 2387), kommt es danach nicht mehr an.

4. Die Sache ist spruchreif. Die Höhe der im Streitfall maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen sind nicht streitig. Unter Berücksichtigung des von den Klägern beantragten [X.] in Höhe von 243.062 DM ergibt sich im Streitjahr ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 0 DM. Das [X.] hat daher die Einkommensteuer zutreffend auf 0 DM festgesetzt.

Meta

IX R 72/04

09.03.2011

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 22. September 2004, Az: 2 K 1686/01, Urteil

§ 2 Abs 3 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 10d Abs 1 S 2 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 52 Abs 1 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 52 Abs 25 EStG 1997 vom 24.03.1999, R 115 Abs 6 EStR 1999, § 10d Abs 1 S 3 EStG 1997 vom 24.03.1999

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.03.2011, Az. IX R 72/04 (REWIS RS 2011, 8797)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8797

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