9. Senat | REWIS RS 2013, 6645
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
(Kein verfassungsrechtlich gebotener Rücktrag eines 2000 erzielten Verlusts in den Veranlagungszeitraum 1998)
§ 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wirkt nicht in verfassungsrechtlich erheblicher Weise zurück, wenn danach Verluste aus dem Jahr 2000 lediglich in das Jahr 1999 zurückgetragen werden können.
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Wegfall des zweijährigen Verlustrücktrags gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz verstößt.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (1998) als Rechtsanwalt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Er erwarb in diesem Jahr und im Jahr 1999 zwei Vermietungsobjekte, übernahm die Sanierungsverpflichtung und finanzierte diese Projekte mit Fremd- und Eigenmitteln. Daraus erklärte er in den Jahren 1998 bis 2000 erhebliche Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) im Wesentlichen anerkannte. Im [X.] an eine Außenprüfung setzte das [X.] die Einkommensteuer für das Streitjahr im (geänderten) Einkommensteuerbescheid vom 4. August 2003 auf 198.711 DM fest.
[X.] setzte das [X.] im (geänderten) Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 4. August 2003 die Einkommensteuer auf 0 DM fest und stellte den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2000 fest. Die u.a. hiergegen (Einspruch ferner gegen die Steuerfestsetzung 1999) gerichteten Einsprüche, mit denen der Kläger neben weiteren nicht mehr bedeutsamen Begehren den Verlustrücktrag von 2000 in das Streitjahr beantragte, blieben erfolglos. [X.] ergingen am 29. September 2003.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) zog in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1251 veröffentlichten Urteil den nicht ausgleichsfähigen Verlust des Jahres 2000 (142.378 DM) in Höhe von 137.840 DM vom Gesamtbetrag Einkünfte des Jahres 1999 ab, setzte die Einkommensteuer 1999 auf 0 DM fest und stellte den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2000 in Höhe von 4.538 DM fest. Einen Verlustrücktrag von 2000 in das [X.] lehnte das [X.] mangels gesetzlicher Grundlage ab. Eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung liege in der Regelung des [X.] ([X.]) 1999/2000/ 2002 vom 24. März 1999 ([X.], 402) nicht. Der auf ein Jahr gekürzte Verlustrücktrag wirke bezogen auf den Streitfall nicht zurück; jedenfalls sei das Vertrauen des [X.] auf den Fortbestand des zweijährigen Verlustrücktrags weder allgemein noch im konkreten Einzelfall schützenswert.
Hiergegen richtet sich die Revision des [X.], die er auf die Verletzung des § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des [X.] 1999/2000/2002 stützt. Die Regelung führe zu einer echten Rückwirkung. Die Einkommensteuer 1998 stünde unter dem Vorbehalt des zweijährigen Verlustrücktrags. Der Kläger habe damit eine Rechtsposition erworben, diese Steuer durch einen Verlustrücktrag wieder zu mindern. Die Möglichkeit ist im Veranlagungszeitraum des [X.] (hier das Streitjahr) selbst angelegt; es werde lediglich technisch an die Verlustentstehungsjahre angeknüpft. Selbst wenn man von einer unechten Rückwirkung ausgehe, seien die im Streitjahr durchgeführten Dispositionen des [X.] im Rahmen einer Abwägung besonders schutzwürdig, während das Gesetz maßgeblich aus Gründen der Haushaltssicherung geändert worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1998, zuletzt geändert durch Bescheid vom 4. August 2003, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2003 unter Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Maßgabe zu ändern, dass die verbleibenden negativen Einkünfte des Jahres 2000 in das [X.] zurückgetragen werden.
Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen. Zutreffend hat das [X.] einen Verlustrücktrag gemäß § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG in das [X.] abgelehnt.
1. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, bis zu einem Betrag von 2 Mio. Deutsche Mark vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). Ist diese Regelung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erstmals für Verluste anzuwenden, die ab dem Veranlagungszeitraum 1999 entstanden sind, so ist ein [X.] von in den [X.] ab 1999 erzielten Verlusten nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG zu beurteilen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 9. März 2011 IX R 72/04, [X.], 147, [X.], 751, unter 3.).
Das bedeutet im Streitfall: Der [X.] entstandene Verlust ist lediglich --wie geschehen-- in das [X.] zurückzutragen, nicht aber in das Streitjahr rücktragbar.
2. Diese Norm verletzt nicht die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes. Sie wirkt nicht zurück.
a) Vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bedarf es besonderer Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Eine Rechtsnorm wirkt in dieser Weise zurück, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. So liegt eine (grundsätzlich unzulässige) echte Rückwirkung in der Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten, während eine unechte Rückwirkung nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. eingehend dazu die Beschlüsse des [X.] vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, [X.] 97, 67, und vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, [X.] 127, 1).
b) Der entscheidende Sachverhalt, der "ins Werk gesetzt" wird, d.h. das maßgebende Verhalten des Steuerpflichtigen, an den der Gesetzgeber die Rechtsfolgen knüpft, ist beim Verlustabzug die Verlustentstehung.
aa) Im [X.] verwirklicht der Steuerpflichtige den Steuertatbestand, an den das Gesetz die Rechtsfolge des [X.] knüpft. Das [X.] ist der Ausgangspunkt für das Normverständnis des § 10d EStG; von dort aus sind die Voraussetzungen des [X.] in § 10d Abs. 1 und Abs. 2 EStG konzipiert (vgl. dazu [X.] in [X.], EStG, § 10d Rz B 5). Es geht beim Verlustrücktrag in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG um "negative Einkünfte" des Entstehungsjahres, "die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte im Entstehungsjahr nicht ausgeglichen werden". Die überperiodische Abziehbarkeit negativer Ergebnisse ist mithin an die Verwirklichung eines Steuertatbestandes i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gebunden. Allein die Verwirklichung dieses Tatbestandes entscheidet auch über die zeitliche Zuordnung der Voraussetzungen des [X.], über die dadurch ausgelösten Rechtsfolgen (also die Berücksichtigung in den [X.]) und bildet so den Anknüpfungspunkt für die zeitliche Geltungsanordnung von Gesetzesänderungen ([X.] in [X.], § 10d Rz [X.]). Denn mit der tatbestandlichen Bestimmung und Abgrenzung der verschiedenen Einkunftsarten und Einkünfte trifft der Gesetzgeber die zentralen Ausgangsentscheidungen für die einkommensteuerrechtliche Belastung (so BVerfG-Beschluss in [X.] 127, 1, Rz 68).
bb) Zwar wird im [X.]sjahr über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlusts entschieden; die negativen Einkünfte, "die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden", bilden eine Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung für die Ermittlung des [X.] (BFH-Urteil in [X.], 147, [X.], 751, unter 3.). Dies ist aber lediglich die verfahrensmäßige Ausprägung und Folge des im Entstehungsjahr verwirklichten Steuertatbestandes.
cc) Daraus folgt: Wenn der Gesetzgeber mit dem [X.] vom 24. März 1999 den Verlustrücktrag auf ein (das der Verlustentstehung unmittelbar vorangegangene) Jahr beschränkt, bedeutet dies für den [X.] verwirklichten Steuertatbestand keine Rückwirkung. Der Gesetzgeber änderte im Jahre 1999 mit dem neu strukturierten Verlustabzug die Rechtsfolge eines erst der Zukunft zugehörigen Verhaltens, des Verwirklichens eines Steuertatbestandes [X.].
c) Wenn demgegenüber die Revision auf den Veranlagungszeitraum des [X.] abstellt und von der Steuerfestsetzung des Jahres 1998 unter Vorbehalt einer durch Verlustrücktrag geminderten Steuer spricht, verwechselt sie Ursache und Wirkung. Das zu Verlusten führende und Vertrauen in die Rechtslage reklamierende Verhalten ist allein das Verwirklichen des Steuertatbestandes: Wenn der Steuerpflichtige sich im Jahre 2000 steuerrechtlich bedeutsam betätigt und sein Verhalten am Markt zu Verlusten führt, weiß er, dass er diesen Verlust nur in das unmittelbar vorangegangene Jahr zurücktragen kann, im Übrigen aber vortragen muss.
Der positive Gesamtbetrag der Einkünfte in den [X.]jahren bildet lediglich das [X.]potential (vgl. dazu [X.] in [X.], § 10d Rz A 39) für erst im Entstehungsjahr erzielte und verwirklichte negative Einkünfte. Mithin erlangt der Steuerpflichtige im potentiellen Abzugsjahr mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte als mögliche Kompensation für einen Verlustabzug keine verfassungsrechtlich schützenswerte Rechtsposition. Das [X.]potential besteht nicht per se, sondern allein in Abhängigkeit von in anderen [X.] erzielten negativen Einkünften. Deswegen wirkt das Gesetz nicht zurück, wenn es für einen nach seiner Verkündung beginnenden Veranlagungszeitraum den Verlustrücktrag in ein vor seiner Verkündung abgelaufenes Jahr nicht mehr gewährt.
3. Nach diesen Maßstäben hat das [X.] zutreffend bereits eine Rückwirkung des [X.] 1999/2000/2002 abgelehnt. Der [X.] muss deshalb nicht darauf eingehen, ob das Vertrauen des [X.] im Streitjahr allgemein und im hier gegebenen Einzelfall schutzwürdig war.
Meta
16.04.2013
Urteil
vorgehend FG Düsseldorf, 14. Februar 2012, Az: 13 K 5851/03 E,F, Urteil
Art 20 Abs 3 GG, § 10d Abs 1 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 52 Abs 1 EStG 1999 vom 22.12.1999
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.04.2013, Az. IX R 20/12 (REWIS RS 2013, 6645)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 6645
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Verlustrücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998
Verlustrücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998
(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 9.3.2011 IX R 72/04 - Verlustrücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in …
(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 09.03.2011 IX R 72/04 - Verlustrücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in …
Verlustrücktrag: Auswirkungen auf den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr
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