Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2016, Az. 3 StR 483/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 14715

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:100316U3STR483.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
3 StR
483/15
vom
10. März 2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Mordes u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 10.
März 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Becker,

die [X.] am [X.]
Hubert,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Spaniol

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2015 wird [X.].

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hatte den Angeklagten durch Urteil vom 17.
Juni 2014
-
entsprechend der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage -
wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge sowie mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der [X.] dieses Urteil durch Beschluss vom 27.
November 2014 (3
StR 458/14, [X.], 331) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen. Das [X.] hatte nicht geprüft und erörtert, ob der Angeklagte strafbefreiend vom Versuch [X.] war, obwohl diese Prüfung auf Grundlage der getroffenen Fest-stellungen rechtlich geboten war.

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Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte -
vom [X.] nicht ver-tretene -
Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Beweiswürdigung des [X.]s sowie die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungs-anstalt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

1. Die Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, am Montag, den 2.
Dezember
2013, zwischen 5:00 und 6:00 Uhr morgens mittels einer von ihm auf diesen Zeitraum programmierten Zeitschaltuhr in seinem [X.]raum des Mehrfamilienhauses, das er als Mieter bewohnte, eine elektrische Camping-Herdplatte aufgeheizt zu haben, auf der er zuvor mit Brandbeschleuniger be-netzte Papiere abgelegt hatte. Der Angeklagte habe durch das auf diese Weise entzündete Feuer erreichen wollen, einen von ihm neben der Herdplatte abge-legten [X.], der mit 21 Litern eines [X.] gefüllt war, durch Erhitzen zur Explosion zu bringen. Dabei habe der [X.] angesichts einer von ihm als ungerechtfertigt empfundenen fristlosen Kündi-gung seines Mietverhältnisses aus Rachsucht die vollständige oder teilweise Zerstörung des Wohnhauses infolge der Explosion des Gasgemisches und damit den Tod der zur Tatzeit im Hause befindlichen 13 Hausbewohner [X.] billigend in Kauf genommen. Hierzu sei es nicht gekommen, da ein Haus-bewohner infolge des entstandenen Rauches auf das Brandgeschehen [X.] geworden sei und die Feuerwehr informiert habe. Diese habe die in dem [X.]raum des Angeklagten bereits in Brand geratenen Gegenstände zeitnah löschen und den [X.] aus den [X.]räumen entfernen 2
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können. Dessen Inhalt habe sich bereits
auf 85
°C und damit soweit aufgeheizt gehabt, dass eine Explosion des in dem [X.] enthaltenen Gas-gemisches unmittelbar bevorgestanden habe.

2. Das [X.] hat den Angeklagten aufgrund der neuen [X.] wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit im Tatzeitpunkt (§
20 StGB) freigesprochen. Es hat hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte entwickelte spätestens Ende November 2013 den Plan, sich mittels Entzündung von [X.] in seiner Wohnung
mit Kohlen-monoxyd umzubringen. Da er die Versorgung seiner Katze sicherstellen, zu-gleich aber nicht zu früh auf seinen Suizid aufmerksam machen wollte, um nicht gerettet zu werden und möglicherweise als Pflegefall zu enden, kam ihm der Gedanke, den Schalter in seinem Schlafzimmer zu nutzen, der die Strom-versorgung seines [X.]raumes regelte. Durch einen Brand mit [X.] in seinem [X.]raum sollte nach seinem (sicheren) Tod die [X.] sowie der Feuerwehr auf diesen Raum und danach auch auf seinen Tod sowie auf seine Katze gelenkt werden.

Drei Tage vor dem Brand, am Freitag, den 29.
November 2013, steckte der Angeklagte in die Steckdose seines [X.]raumes eine durch Eindrücken von kleinen Reitern programmierte Zeitschaltuhr sowie in diese ein Verlänge-rungskabel, in dessen Steckdose er den Stecker der elektrischen Herdplatte einführte. Anschließend vergewisserte er sich davon, dass die Herdplatte heiß wurde und schob diese unter einen Stapel von Prospekten, Zeitschriften
und Kartonage. Einen konkreten Zeitpunkt für die Entfachung des Feuers hatte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt.
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In der Nacht
des 2.
Dezember 2013, vor 6:30 Uhr, stellte der Angeklagte -
nach dem Genuss erheblicher Mengen von Alkohol
und Cannabis -
den Schalter in seinem Schlafzimmer auf "Ein", sodass die Steckdose in seinem [X.]raum mit Strom versorgt wurde. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass es nunmehr durch die Aufheizung der Herdplatte und Entzündung des über dieser befindlichen Papiers im [X.]raum zu einem Brand kommen könn-te, und er billigte dies. Er rechnete dabei mit einem Ausbrennen seines [X.]-raumes sowie mit Brandschäden dort und im [X.]flur sowie mit einem [X.] aus dem [X.]raum ins Treppenhaus und die Flure des Wohnhauses.
Davon, dass der Angeklagte den Gastank zur Explosion bringen wollte und handelte, um sich an den übrigen Hausbewohnern zu rächen, konnte sich das [X.] nicht überzeugen. Den Gastank habe er in seinem unübersichtli-chen [X.]raum nicht gesehen und auch nicht an ihn gedacht. Ferner sei die dem Angeklagten zur Last gelegte Verwendung eines Brandbeschleunigers nicht belegbar.

Wie die Zeitschaltuhr im [X.] programmiert war und mit welcher zeitli-chen Verzögerung nach Beginn der Stromzufuhr zu der Steckdose im [X.]-raum die Erhitzung der Herdplatte begann, konnte die [X.] nicht [X.]. Sie vermochte daher nicht festzustellen, zu welchem genauen Zeitpunkt der Angeklagte in der Tatnacht den Schalter in seinem Schlafzimmer
umlegte und damit die Steckdose in seinem [X.]raum mit Strom versorgte
und aus diesem Grund
nicht ausschließen, dass der Angeklagte den Strom gegen 0:00
Uhr des 2.
Dezember 2013 eingeschaltet hatte, als die bei ihm
vorhande-ne Blutalkoholkonzentration -
vom Blutentnahmezeitpunkt zurückgerechnet -
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betragen hatte. Vor diesem Hintergrund blieb zur Überzeugung des [X.]s ungeklärt, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beim Be-7
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tätigen des Schalters voll erhalten, erheblich eingeschränkt oder aufgehoben war.

II.

Die aufgrund der Sachbeschwerde der Staatsanwaltschaft vorzuneh-mende umfassende Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen zum Vor-teil des Angeklagten wirkenden durchgreifenden Rechtsfehler erbracht.

1.
Die Beweiswürdigung des [X.]s ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insofern gilt:

a)
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§
261 [X.]). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie mög-lich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher [X.] ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überspannte Anfor-derungen gestellt werden. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzuneh-men, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar nahe-liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 27. Oktober 2015
-
3 [X.], juris Rn. 16 mwN,
und vom 6. Dezember 2007 -
3 [X.], [X.], 146, 147).

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b)
Daran gemessen unterliegt die Beweiswürdigung des [X.]s keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich insbesondere nicht in rechtsfehlerhafter Weise als lückenhaft oder widersprüchlich.

aa)
Das [X.] ist auf der Grundlage eines fundierten und wider-spruchsfreien Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen davon [X.], dass infolge der
beim Angeklagten in der Tatnacht vorhandenen Mischintoxikation aus Cannabis und Alkohol nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei einer Betätigung des Schalters gegen 0:00 Uhr des [X.] seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe seine Blutalkoholkonzentration 3,4 betragen. Seine am Folgetag um 13:13 Uhr entnommene Blutprobe habe auch einen recht hohen Wert von [X.]. Wann der Angeklagte den Stromschalter betätigt hatte, konnte das [X.] nicht sicher feststellen; es konnte auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte den Schalter um Mitternacht betätigte und das Feuer infolge der Programmierung der zwischengeschalteten Zeitschaltuhr erst (mehrere [X.]) später entstand. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts
zu erinnern.

bb)
Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, das [X.] habe in den [X.] die früheren Angaben des Angeklagten im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens nicht mitgeteilt, sodass nicht überprüfbar ist, ob seine Annahme zutreffe,
er habe sich konstant eingelassen, kann dies dem [X.] nicht zum Erfolg verhelfen. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, die Beweisaufnahme und den Gang des Verfahrens zu dokumentieren, sondern müssen lediglich die wesentlichen Umstände darstellen, die der Über-zeugungsbildung des Tatgerichts zugrunde liegen (§
267 Abs. 1 Satz 2, §
261 [X.]; vgl. [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl.,
§
267 Rn. 11 ff.). Die Bean-standung, der Angeklagte habe sich früher nicht oder anders eingelassen als 12
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zuletzt, wird durch die -
im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen -
Ur-teilsgründe nicht belegt. Dies gilt auch für den Einwand der Revision, der [X.] habe seine Einlassung an den Ermittlungsstand angepasst. Eine Verfah-rensrüge hat die Beschwerdeführerin nicht erhoben.

cc)
Entgegen der Ansicht der Revision lassen die Urteilsgründe auch nicht besorgen, das [X.] habe im Rahmen seiner ausführlichen Be-weiswürdigung keine Gesamtschau aller Beweisanzeichen vorgenommen. Das [X.] hat vielmehr die erhobenen Beweise umfassend gewürdigt und dabei auch die Einlassung des Angeklagten kritisch überprüft. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar.

dd)
Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung des [X.]s mit der beim Angeklagten gegebenen Motivlage. Hierzu verhält sich das ange-fochtene Urteil ausführlich. Das [X.] kommt aufgrund möglicher Schlüs-se zu plausiblen Ergebnissen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Die Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des [X.]n nach den Grundsätzen der fahrlässigen actio libera in causa ist im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar begegnet die Begründung des Landge-richts hierfür, es seien keine sicheren Feststellungen zum Tatzeitpunkt und zur (auf diesen bezogenen) Steuerungsfähigkeit des Angeklagten möglich, recht-lichen Bedenken. Denn für die actio libera in causa kommt es (allein) darauf an, ob der Angeklagte -
wofür die Feststellungen sprechen könnten -
zum Zeitpunkt der Planung und Vorbereitung
des Brandes, der die Brandlegung in der [X.] in allen Einzelheiten entsprach, schuldfähig und strafrechtlich verantwort-lich war. Jedoch geht das [X.] zutreffend davon aus, dass nach Lage der Dinge allenfalls eine fahrlässige actio libera in causa in Betracht gekommen 15
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wäre. Der [X.] kann indes auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sicher ausschließen, dass die Voraussetzungen einer fahrlässigen Brand-stiftung gemäß §
306d StGB vorgelegen haben, insbesondere etwa eine teil-weise Zerstörung des Mehrfamilienhauses im Sinne von §
306 Abs. 1 StGB gegeben war.

3.
Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-ziehungsanstalt gemäß §
64 StGB durch die -
auch insoweit sachverständig beratene -
Schwurgerichtskammer begegnet
keinen durchgreifenden rechtli-chen Bedenken. Sie hält sich vielmehr im Rahmen der allein vom Tatgericht vorzunehmenden Beurteilung der festgestellten Umstände. Soweit die Revision eine hiervon abweichende eigene Bewertung ins Feld führt, vermag dies einen
revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfehler nicht aufzuzeigen.

[X.][X.]Schäfer

[X.]

Spaniol
18

Meta

3 StR 483/15

10.03.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2016, Az. 3 StR 483/15 (REWIS RS 2016, 14715)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14715

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