Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.01.2012, Az. VI ZB 11/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 10117

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB
11/11

vom

17.
Januar 2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 233 Fc, Fd
Die Erledigung der fristgebundenen Sachen muss am Abend eines jeden Arbeitsta-ges anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft werden.
[X.], Beschluss vom 17. Januar 2012 -
VI [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
17.
Januar 2012
durch den Vorsitzenden [X.], die Richterin
Diederichsen,
die Richter
Pauge
und
Stöhr
und
die
Richterin von [X.]
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der
1. Zivilkammer des [X.] vom 10.
Januar 2011 wird auf Kosten des [X.] verworfen.
[X.]: bis 2.500

Gründe:
I.
Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz aufgrund eines [X.] vom 17.
Januar 2008.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.
August 2010 abgewie-sen und festgestellt, dass die Widerklage und die Drittwiderklage gegen die frühere Klägerin zu
2 erledigt sind. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 17.
August 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 10.
September 2010, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Kläger Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung
ging innerhalb der [X.] nicht ein. Durch eine dem Klägervertreter am 25.
Oktober 2010 zugestellte Verfügung des Gerichts wurde er darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden 1
2
-
3
-

sei
und die Kammer beabsichtige, die Berufung kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 4.
Novem-ber 2010 eingeräumt. Mit einem bei Gericht am 4.
November 2010 eingegan-genen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten
hat der Kläger gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine Berufungsbegründung ging bei Gericht am 5.
November 2010 ein.
Der Klägervertreter hat vorgetragen, er habe sich vom 26.
September bis 9.
Oktober 2010 in stationärer Heilbehandlung
und
vom 11.
Oktober 2010 bis 31.
Oktober 2010 in
einer
stationären
Rehabilitationsbehandlung befunden. Da absehbar gewesen sei, dass die Berufungsbegründungsfrist während der Dauer seiner krankheitsbedingten Abwesenheit von der Kanzlei ablaufen werde, habe er einen Antrag auf Verlängerung der Frist, vordatiert auf den 15.
Oktober 2010, in unterschriebener Weise vorbereitet und
an den Anfang der Handakte der Kläger legen lassen. Ferner habe er seine in der Kanzlei angestellte Ehefrau angewiesen, am 15.
Oktober 2010 den vorbereiteten Fristverlängerungsantrag dem [X.] vorab per Telefax, zugleich ergänzend per Post zuzuleiten. Er habe weiter veranlasst, die Frist zur Absendung des vorbereiteten Schriftsatzes sowohl im manuell geführten Terminkalender als auch in der täglich überprüften computergestützten Wiedervorlageliste zu vermerken. Die Notierung der dop-pelt vermerkten Frist habe er unmittelbar vor Beginn seines stationären [X.] kontrolliert. Die Sendung des vorbereiteten Fristverlänge-rungsgesuchs sei aufgrund eines Versehens der Kanzleiangestellten unterblie-ben, obwohl sie die Handakte am Vormittag des vorgesehenen [X.] herausgesucht habe. Erst aufgrund der Hinweisverfügung des [X.]s sei der Kanzleiangestellten der Fristablauf bekannt geworden
und
er selbst am
3.
November 2010 unterrichtet worden.
3
-
4
-

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den [X.] zurückgewiesen und die Berufung des [X.] als unzu-lässig verworfen. Die Fristversäumung beruhe auf einem Organisationsver-schulden, weil der Klägervertreter nicht vorgetragen habe, dass am Abend des jeweiligen Arbeitstags in der Kanzlei eine Kontrolle erfolge, dass
das fristwah-rende Schriftstück übermittelt worden sei.

II.
Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4, §
238 Abs.
2 Satz
1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde
ist nicht zulässig, weil die Vorausset-zungen des §
574 Abs.
2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde
gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müs-sen, nicht erfüllt sind.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
erfordert die Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt den
Kläger weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit
dem Rechtsstaatsprinzip) noch dessen rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den [X.]-en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in [X.], aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwe-ren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5.
November 2002 -
VI
ZB 40/02, [X.], 437; vom
12.
April 2011 -
VI
ZB 6/10,
NJW 2011, 2051 Rn.
5 mwN).
4
5
6
-
5
-

2.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
entspricht die ange-fochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das [X.] hat auch die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in [X.] auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.
a) Soweit die Rechtsbeschwerde
geltend macht, der [X.] sei
auf die [X.] an die Ehefrau des Prozessbevollmächtig-ten des [X.]
gestützt, trifft zwar zu, dass es nach der ständigen Rechtspre-chung des [X.] für den Ausschluss des einer [X.] zuzurech-nenden Verschuldens ihres Anwalts (§
85 Abs.
2, §
233 ZPO)
an der [X.] bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwie-sen hat, eine konkrete [X.] erteilt, die bei Befolgung die Fristwah-rung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15.
April 2008 -
VI
ZB 29/07, juris Rn.
7; vom 13.
April 2010 -
VI
ZB 65/08, [X.], 2287 Rn.
5; vom 20.
September 2011 -
VI
ZB 23/11, [X.], 1544 Rn.
8 mwN). Im Streitfall hat das Berufungsgericht aber den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] zurückgewiesen, weil die Fristversäumung auf ein Organisationsverschul-den des Prozessbevollmächtigten des [X.] zurückzuführen sei, welches sich hier ausgewirkt habe. Aus dem Vortrag des Klägervertreters ergebe sich [X.] nicht, dass eine Kanzleianweisung bestehe, aufgrund welcher nach Bear-beitung einer Sache eine weitere Kontrolle, z.B. am Abend des jeweiligen [X.] durch Überprüfung des Fristenkalenders,
dahin erfolgen müsse, ob das jeweilige Schriftstück tatsächlich fristwahrend übermittelt worden sei.
Dies sei hier besonders
wichtig
gewesen, weil die erteilte Anweisung an seine Ehe-frau erst nach drei Wochen ausgeführt werden sollte und deshalb der Gefahr Vorschub geleistet worden sei, dass die Befolgung der Anweisung vergessen 7
8
-
6
-

werde
(vgl. [X.], Beschluss vom 13.
September 2006 -
XII
ZB 103/06,
MDR 2007, 98, 99).
b) Die vom Berufungsgericht gestellten Anforderungen an die Sorgfalts-pflicht eines Prozessbevollmächtigten stehen in Einklang mit der [X.] Rechtsprechung. Danach gehört es zu den Aufgaben des [X.], dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz [X.] erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel-
oder Rechtsmittelbe-gründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätz-lich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende
Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabding-bar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also ge-fertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförde-rung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anord-nung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erle-digung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden [X.] an-hand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.
Mai 2006 -
VI
ZB 77/05, [X.], 1563
Rn.
5; vom 12.
April 2011 -
VI
ZB 6/10, aaO, Rn.
7; [X.], Beschluss vom 16.
Februar 2010 -
VIII
ZB 76/09, [X.], 1378 Rn.
7, jeweils mwN). Hätte aufgrund einer Organisationsanweisung im Anwaltsbüro des [X.] des [X.] am Abend eines jeden [X.] eine solche [X.] anhand des Fristenkalenders stattgefunden, wäre festgestellt worden, 9
-
7
-

dass das Fristverlängerungsgesuch nicht abgesendet worden ist. Mithin ist die unterbliebene Kontrolle, die das Organisationsverschulden begründet,
für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist -
unabhängig von der erteilten [X.]
-
ursächlich geworden. Das Berufungsgericht hat somit zu Recht
ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des [X.] angenommen, welches der [X.]
gemäß §
85 Abs.
2 ZPO zugerechnet wird, und
den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] gegen die Versäumung der [X.] zurückgewiesen sowie
dessen Berufung als unzuläs-sig verworfen.
Galke
Diederichsen
Pauge

Stöhr
von [X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.08.2010 -
3 C 1196/08 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.01.2011 -
1 [X.]/10 -

Meta

VI ZB 11/11

17.01.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.01.2012, Az. VI ZB 11/11 (REWIS RS 2012, 10117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10117

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