Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2022, Az. X B 80/21

10. Senat | REWIS RS 2022, 4030

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Gegenstand

Anforderungen an einen Beschluss zur Übertragung eines Rechtsstreits auf ein Senatsmitglied als Einzelrichter


Leitsatz

1. NV: Die zwischen dem BVerwG und dem BFH unterschiedlich beantwortete Frage, ob die Beteiligten vor Ergehen eines Beschlusses, mit dem der Rechtsstreit einem Senatsmitglied als Einzelrichter übertragen wird, angehört werden müssen, ist nicht entscheidungserheblich, wenn ein in der unterbliebenen Anhörung etwa liegender Verfahrensmangel in der nächsten mündlichen Verhandlung durch rügelose Einlassung geheilt worden ist.

2. NV: Der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan muss eindeutige Regelungen darüber enthalten, welches Senatsmitglied im jeweiligen Fall zum Einzelrichter zu bestellen ist.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 31.05.20211 - 1 K 318/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Die in der Beschwerdebegründung genannten Zulassungsgründe sind ganz überwiegend schon nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) genügenden Weise dargelegt. Im Übrigen sind die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe jedenfalls tatsächlich nicht gegeben, sodass die Beschwerde insgesamt ohne Erfolg bleibt.

3

1. Näher einzugehen ist allein auf die [X.], die der Kläger im Zusammenhang mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erhebt.

4

a) Der Kläger hatte bereits in der Klageschrift formularmäßig ausgeführt, einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter werde ausdrücklich widersprochen. Mit Beschluss vom [X.] übertrug der beim Finanzgericht ([X.]) seinerzeit zuständige Senat den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 [X.]O "auf den Einzelrichter". Welches [X.] der Einzelrichter sein sollte, geht aus dem Beschluss nicht hervor.

5

Die Beteiligten wurden vor Erlass des Beschlusses nicht zu der beabsichtigten Übertragung angehört. Der Berichterstatter hatte verfügt, nur den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) anzuhören, allerdings lediglich zur Möglichkeit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79a Abs. 3, 4 [X.]O), nicht jedoch zur Übertragung auf den Einzelrichter nach § 6 [X.]O. Eine Anhörung des [X.] hatte er --unter Hinweis auf dessen vorsorglichen Widerspruch in der [X.] hingegen ausdrücklich ausgeschlossen.

6

In der mündlichen Verhandlung am 31.05.2021 rügte der Kläger die ordnungsmäßige Besetzung des Gerichts und nahm hierfür auf einen von ihm überreichten Schriftsatz Bezug.

7

b) Im vorliegenden Verfahren rügt der Kläger in diesem Zusammenhang in erster Linie, das [X.] hätte ihn vor der Übertragung auf den Einzelrichter hierzu anhören müssen.

8

aa) Ob eine solche Anhörung erforderlich ist, wird in der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des [X.] nicht einheitlich beurteilt.

9

(1) Das [X.]verwaltungsgericht ([X.]) hat in einem ausführlich begründeten Urteil vom 10.11.1999 - 6 [X.] 30/98 ([X.]E 110, 40, unter 1.a aa, mit zahlreichen Nachweisen auf die herrschende Meinung in der verwaltungsprozessualen Literatur; darauf Bezug nehmend [X.]-Beschluss vom 07.10.2004 - 3 B 62/04, unter 1.a) zur --insoweit wortlautidentischen-- Vorschrift des § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entschieden, dem [X.] müsse eine Anhörung der Beteiligten vorausgehen. Angesichts der Bedeutung dieser Maßnahme, die über die Zusammensetzung der Richterbank entscheide und damit das verfassungsrechtliche Recht auf [X.] beeinflusse, gebiete es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Vor diesem Hintergrund könne auch aus dem in § 6 Abs. 3 VwGO (entspricht § 6 Abs. 3 [X.]O) für den Fall der Rückübertragung auf den [X.] ausdrücklich vorgesehenen Anhörungserfordernis nicht der Umkehrschluss gezogen werden, in den Fällen des § 6 Abs. 1 VwGO sei eine Anhörung entbehrlich.

Allerdings sei ein solcher Gehörsverstoß in der [X.] zwischen dem [X.] und der Endentscheidung u.a. durch rügelose Einlassung (§ 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--) heilbar.

(2) Nahezu gleichzeitig mit dem [X.] --und ohne dass die beiden Spruchkörper um das im [X.]punkt der jeweiligen Entscheidung noch nicht veröffentlichte [X.] des anderen Gerichts wissen [X.] hat der [X.]. Senat des [X.]finanzhofs ([X.]) demgegenüber ausgeführt, eine vorherige Anhörung sei in den Fällen des § 6 Abs. 1 [X.]O nicht erforderlich ([X.]-Beschluss vom 16.09.1999 - [X.] R 83/97, [X.]/NV 2000, 332, unter [X.]). Zur Begründung hat er sich in knapper Form auf einen Umkehrschluss aus § 6 Abs. 3 [X.]O berufen.

In späteren Entscheidungen haben andere Senate des [X.] sich auf diese Entscheidung gestützt, ohne sich jedoch mit der --zwischenzeitlich veröffentlichten-- gegenteiligen Rechtsprechung des [X.] auseinanderzusetzen (obiter dictum im [X.]-Beschluss vom 09.01.2002 - VII B 275/01, [X.]/NV 2002, 926; tragend in den [X.]-Beschlüssen vom 22.01.2009 - VIII B 78/08, [X.]/NV 2009, 779; vom 06.06.2016 - III B 92/15, [X.]E 253, 315, [X.], 844, Rz 15; vom 03.05.2017 - II B 110/16, [X.]/NV 2017, 1012, Rz 8, und vom 14.04.2020 - VII B 53/19, [X.]/NV 2021, 177, Rz 9).

In anderen Entscheidungen hat der [X.] hingegen ausdrücklich offengelassen, ob vor der Übertragung auf den Einzelrichter eine Anhörung erforderlich ist ([X.]-Urteil vom 20.02.2001 - IX R 94/97, [X.]E 194, 38, [X.] 2001, 415, unter [X.]; [X.]-Beschlüsse vom 12.12.2011 - IX B 3/11, [X.]/NV 2012, 700, Rz 4, und vom 01.09.2016 - VI B 26/16, [X.]/NV 2017, 50, Rz 12).

bb) Der beschließende Senat neigt der Auffassung des [X.] --aus den in dessen Rechtsprechung genannten [X.] zu, braucht dies im Streitfall aber nicht abschließend zu entscheiden, da ein eventueller Gehörsverstoß jedenfalls durch rügelose Einlassung geheilt worden wäre.

Nach § 295 ZPO, der über § 155 Satz 1 [X.]O sinngemäß auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist (ständige Rechtsprechung seit dem [X.]-Beschluss vom 05.10.1967 - V B 29/67, [X.]E 90, 452, [X.] 1968, 179), kann die Verletzung einer --verzichtbaren-- Verfahrensvorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn der Beteiligte bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich er erschienen und ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.

Vorliegend war der Kläger ohne Weiteres in der Lage, einen etwaigen Gehörsverstoß aufgrund des [X.]es vom [X.] in der mündlichen Verhandlung am 31.05.2021 zu [X.]. Dies ist indes nicht geschehen. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] pauschal und fast schon formularmäßig die Besetzung des Gerichts gerügt. In dem Schriftsatz, den er dem [X.] zur Begründung seiner entsprechenden Rüge überreicht hat, hat er aber nur in allgemeiner --nicht auf das konkrete Verfahren bezogenen-- Weise Fragen des gesetzlichen Richters erörtert. Eine Rüge in Bezug auf die vorgenommene Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter findet sich dort nicht.

c) Auch die Rüge des [X.], es sei nicht geregelt, nach welchen Kriterien der Einzelrichter auszuwählen sei, bleibt ohne Erfolg.

Allerdings entspricht der Wortlaut des vom [X.] gefassten [X.]es nicht den Vorgaben des § 6 Abs. 1 [X.]O. Nach dieser Vorschrift kann der Senat den Rechtsstreit "einem seiner Mitglieder" als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Das [X.] hat den Rechtsstreit aber lediglich "auf den Einzelrichter" übertragen, ohne dass dem Beschluss entnommen werden kann, welches [X.] fortan als Einzelrichter tätig werden soll.

Vorliegend enthält der im Jahr 2019 geltende senatsinterne Geschäftsverteilungsplan des 2. Senats des [X.], der seinerzeit noch für das Klageverfahren zuständig war und den beanstandeten Einzelrichterbeschluss gefasst hat, allerdings ausreichende Bestimmungen für die eindeutige Festlegung der Person des Einzelrichters. Er sieht unter Buchst. [X.] vor, dass der Berichterstatter Einzelrichter i.S. des § 6 [X.]O ist. Welches [X.] jeweils Berichterstatter ist, ist unter Buchst. B des [X.] eindeutig bestimmt.

2. Im Übrigen genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen.

a) Soweit der Kläger geltend macht, die Beschwerde sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Rechtsfortbildung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, fehlen jegliche auf den konkreten Einzelfall bezogene Ausführungen. Gleiches gilt für einen großen Teil der erhobenen Verfahrens[X.] (Sachaufklärungsrüge, Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht, Überzeugungsbildung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, überlange Verfahrensdauer, Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs).

Offensichtlich sind große Teile der --mit 53 Seiten im Verhältnis zum recht beschränkten Gegenstand des Verfahrens außergewöhnlich umfangreichen-- Beschwerdebegründung aus anderen Verfahren in den Schriftsatz hineinkopiert worden. So ist auf [X.]. 35 Mitte von dem "angefochtenen, streitgegenständlichen Zinsbescheid" und auf [X.]. 43 unten von den "für verfassungswidrig erklärten" Zinssätzen der §§ 233 ff. der Abgabenordnung die Rede, obwohl Gegenstand des vorliegenden Verfahrens allein die Entscheidung des [X.] über den Ort einer Schlussbesprechung im Rahmen einer Außenprüfung ist.

b) Dass die angefochtene Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei (§ 119 Nr. 6 [X.]O), wird in der Beschwerdebegründung nur behauptet, aber nicht näher dargelegt, und liegt angesichts der tatsächlich vom [X.] gegebenen Begründung auch fern.

c) Mit der "Rüge der fehlerhaften Sachverhaltsdarstellung und der Verletzung anerkannter Auslegungsregeln" wird von vornherein kein Zulassungsgrund dargelegt.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X B 80/21

24.05.2022

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 31. Mai 2021, Az: 1 K 318/18, Urteil

§ 6 Abs 1 FGO, § 6 Abs 3 FGO, § 6 Abs 1 VwGO, § 6 Abs 3 VwGO, § 295 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2022, Az. X B 80/21 (REWIS RS 2022, 4030)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4030

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