Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.11.2011, Az. IV B 7/10

4. Senat | REWIS RS 2011, 1162

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Gegenstand

Gesetzlicher Richter; Anforderungen an den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan


Leitsatz

1. NV: Auch in einem nicht überbesetzten Senat des FG bedarf es im Hinblick auf § 6 FGO einer abstrakt-generellen Regelung im Geschäftsverteilungsplan, anhand derer der Einzelrichter für den Fall, dass es zur Übertragung auf ihn kommt, im Vorhinein bestimmbar festgelegt ist.

2. NV: In der Bestimmung des jeweils zuständigen Berichterstatters liegt nicht zugleich die Bestimmung des jeweils zuständigen Einzelrichters.

Tatbestand

1

[X.] Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wandte sich mit seiner im … 2007 beim Finanzgericht ([X.]) eingegangenen Klage gegen einen Feststellungsbescheid für das Jahr 2004. Das Verfahren wurde beim … Senat des [X.] anhängig, der den Rechtsstreit mit Beschluss vom … 2009 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertrug. Dieser wies die Klage mit Urteil vom … 2009 als unzulässig ab und ließ die Revision nicht zu.

2

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision und rügt u.a. das Vorliegen von Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 [X.]O).

4

1. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O liegen vor. Das Urteil der Vorinstanz beruht --wie der Kläger zutreffend geltend macht-- auf einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 1 [X.]O, weil das [X.] bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Ein solcher Verfahrensmangel ist u.a. gegeben, wenn durch eine die Besetzung des erkennenden Gerichts betreffende Maßnahme zugleich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt, d.h. der gesetzliche [X.] entzogen ist (z.B. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 11. Juli 2006 [X.], [X.], 1873).

5

a) Das Recht auf eine Entscheidung durch den gesetzlichen [X.] wird z.B. verletzt, wenn ein Einzelrichter entscheidet, obwohl ihm der Rechtsstreit nicht wirksam nach § 6 Abs. 1 [X.]O übertragen wurde (z.B. [X.] vom 3. März 2011 [X.]/10, [X.], 833). Das ist hier der Fall. Denn der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan des … Senats des [X.] enthält keine Bestimmung des Einzelrichters und verstößt deshalb insoweit gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dieser Verstoß führt im vorliegenden Fall zu einer fehlerhaften Besetzung des [X.] bei Erlass des angegriffenen Urteils, weil dieses durch den Einzelrichter erlassen wurde.

6

Der Geschäftsverteilungsplan muss zur Wahrung des gesetzlichen [X.]s i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Voraus generell-abstrakt auch die im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen [X.] bestimmen und Vorkehrungen schon gegen die bloße Möglichkeit und den Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt treffen. Die einzelne Sache muss somit aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden [X.] gelangen. Welche [X.] in einem bestimmten Verfahren mitwirken, muss sich daher aus den Regelungen des [X.] möglichst eindeutig ergeben. Der Geschäftsverteilungsplan darf keinen vermeidbaren Spielraum bei der Heranziehung des einzelnen [X.]s zur Entscheidung einer Sache und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen [X.]s lassen. Das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, den im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen [X.] so genau wie möglich zu bestimmen, hat zur Folge, dass überall dort, wo dies nach dem gewählten Regelungskonzept ohne Beeinträchtigung der Effektivität der [X.] möglich ist, diese Bestimmung anhand von Kriterien zu erfolgen hat, die subjektive Wertungen weitgehend ausschließen (vgl. grundlegend Beschluss des Plenums des [X.] vom 8. April 1997 1 [X.] 1/95, [X.] 1995, 322, [X.] 1997, 672). Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Verteilung der Geschäfte auf die Spruchkörper und für deren Besetzung (vgl. § 4 [X.]O i.V.m. § 21e des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG--), sondern auch für die senatsinterne Geschäftsverteilung (vgl. § 4 [X.]O i.V.m. § 21g GVG). Auch in einem nicht überbesetzten Senat des [X.] bedarf es danach im Hinblick auf § 6 [X.]O einer abstrakt-generellen Regelung im Geschäftsverteilungsplan, anhand derer der Einzelrichter für den Fall, dass es zur Übertragung auf ihn kommt, im Vorhinein bestimmbar festgelegt ist (vgl. z.B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 4 [X.]O Rz 133).

7

b) Den dargelegten Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan des … Senats des [X.] im hier maßgeblichen [X.] nicht. Denn er enthält lediglich die Bestimmung des jeweils zuständigen Berichterstatters. Darin liegt jedoch --anders als der … Senat des [X.] möglicherweise meint-- nicht zugleich die Bestimmung des jeweils zuständigen Einzelrichters. Nach § 6 Abs. 1 [X.]O kann der Senat einen Rechtsstreit vielmehr einem seiner Mitglieder zur Entscheidung übertragen. Dies muss nicht zwingend der nach dem Geschäftsverteilungsplan jeweils vorgesehene Berichterstatter sein.

8

Den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt zwar eine Regelung, der zufolge Einzelrichter der im Geschäftsverteilungsplan hinreichend bestimmte Berichterstatter sein soll (vgl. Beschluss des Plenums des [X.] in [X.] 1995, 322, [X.] 1997, 672, unter [X.]; vgl. ferner [X.] vom 26. Januar 1999 [X.], [X.], 412, [X.] 1999, 305). Eine solche Regelung hat der … Senat des [X.] in seinem Geschäftsverteilungsplan für das [X.] jedoch nicht getroffen.

9

Fehlt demnach eine den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügende Bestimmung des Einzelrichters im senatsinternen Geschäftsverteilungsplan des … Senats für das [X.], konnte dieser Senat den Rechtsstreit am … 2009 auch nicht wirksam auf den Einzelrichter übertragen. Dementsprechend war [X.] am [X.] als Einzelrichter bei Erlass des angegriffenen Urteils nicht der gesetzliche [X.], das [X.] also nicht vorschriftsmäßig besetzt. Auf die weiteren Verfahrensrügen des [X.], insbesondere auf die Frage, ob der [X.] dem Bevollmächtigten des [X.] wirksam bekannt gegeben wurde, kommt es danach nicht mehr an.

c) Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Vorentscheidung ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 116 Abs. 6 [X.]O). Die im Ermessen des [X.] stehende Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Vorinstanz unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts entschieden hat (z.B. [X.] in [X.], 1873).

Meta

IV B 7/10

23.11.2011

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 6 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.11.2011, Az. IV B 7/10 (REWIS RS 2011, 1162)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1162

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