Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.11.2013, Az. 4 StR 242/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 951

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Urteil im Strafverfahren: Inhaltliche Anforderungen an ein freisprechendes Urteil


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 19. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

2

Das – vom [X.] vertretene – Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

3

1. Die zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, in [X.] am 11. Januar 2012 gegen 1.45 Uhr mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter den [X.]     am Kragen gepackt und am Hals festgehalten zu haben. Während einer der Täter mit einem pistolenähnlichen Gegenstand auf den Kopf des Zeugen gezielt habe, habe der andere dem Opfer mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Nachdem der Geschädigte zu Boden gegangen sei, habe ein Täter im Einvernehmen mit dem anderen dem Opfer mehrfach mit den beschuhten Füßen gegen den Oberkörper und die Oberschenkel getreten. Aus Angst vor weiterer Gewaltanwendung habe          [X.]     der Aufforderung der Täter Folge geleistet und ihnen seine schwarze Ledergeldbörse im Wert von 15 € samt Bargeld in Höhe von ca. 20 €, die Personaldokumente, ein weißes Handy „[X.]“ im Wert von 80 €, seine Brille im Wert von 900 €, seine Winterjacke im Wert von 70 € sowie einen weißen [X.] nebst dazugehörigem Kopfhörer im Wert von 230 € herausgegeben. Der Angeklagte habe die erbeuteten Gegenstände anschließend veräußert, um den Erlös für sich zu verwenden.

4

2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten. Er habe am 11. Januar 2012 in den Vormittagsstunden ein Handy „[X.]“ und einen [X.] von        [X.], den er aus gemeinsamer Strafhaft kenne, günstig für ca. 20 € bis 30 € erworben. Er sei davon ausgegangen, dass diese Gegenstände        H.     gehörten. In den Nachmittags- bzw. Abendstunden desselben Tages habe er Handy und [X.] in einem An- und Verkaufsgeschäft weiterverkauft und dabei etwa 20 € bis 30 € Gewinn gemacht.

5

3. Das [X.] hat die Tat als solche durch die Vernehmung des Geschädigten          [X.]     festgestellt; das erbeutete Handy sowie einen [X.] habe der Angeklagte am Tattag in einem An- und Verkaufsgeschäft veräußert. Die Einlassung des Angeklagten hat es nicht zu widerlegen vermocht: Entscheidend sei, dass         [X.]     keinen der Täter wiedererkennen könne. Eine Vernehmung des         H.     sei nicht beantragt worden und auch nicht von Amts wegen geboten. Die [X.] würde „allein“ aus den Angaben eines eventuellen Mittäters nicht den Schluss ziehen, dass der Angeklagte an dem Überfall beteiligt gewesen sei. Eine Verurteilung wegen Hehlerei komme mangels Nachweises des subjektiven Tatbestandes nicht in Betracht; auch insoweit hätte die Vernehmung von         H.     nicht ausgereicht, um dem Angeklagten nachzuweisen, er habe gewusst, dass das Handy bei einer Straftat erbeutet worden sei.

II.

6

Der Freispruch hat keinen Bestand.

7

1. Die Aufklärungsrüge, die [X.] hätte       [X.]vernehmen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO), ist allerdings unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO); es fehlt die Angabe der [X.] Anschrift dieses Zeugen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Mai 2003 – 5 [X.], [X.]R StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40, und vom 12. Juli 2006 – 5 [X.], [X.], 713; Urteil vom 9. Dezember 2008 – 5 [X.], [X.], 468; [X.] in [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 368).

8

2. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die Ausführungen des [X.]s werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht, weil die Urteilsgründe keine Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten enthalten.

9

a) Derartige Feststellungen sind zwar in erster Linie bei [X.] Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des [X.] eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. [X.], Urteile vom 13. Oktober 1999 – 3 [X.], [X.], 91, vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, [X.], 206, 207, vom 23. Juli 2008 – 2 [X.], [X.]St 52, 314, 315, und vom 25. Oktober 2012 – 4 [X.], [X.], 52).

b) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen, nähere Feststellungen zu dessen Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen sowie diese in den Urteilsgründen darzulegen, richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalles. Hier ergibt sie sich bereits aus der dem Angeklagten zum Vorwurf gemachten Straftat. Ihr liegt ersichtlich die Motivation der Täter zu Grunde, in den Besitz von Gegenständen zu gelangen, die sich rasch versilbern lassen. Daher liegt es nahe, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten Bedeutung auch für die Beurteilung des [X.] zukommen kann. Darüber hinaus bedarf es unter dem Gesichtspunkt der entfalteten erheblichen Gewalt der Feststellung, ob eine dahin gehende Bereitschaft in der bisherigen Entwicklung des Angeklagten angelegt ist. Der Wesenszug der hier zu beurteilenden Tat, die rasche Versilberung einer nicht sehr hohen Beute zu einem geringen Preis in einem An- und Verkaufsgeschäft am [X.], legt zudem den Gedanken an Beschaffungskriminalität nahe; hierzu bedurfte es ebenfalls der ergänzenden Feststellungen.

c) Auch vor dem Hintergrund der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgebrachten Einlassung hätten seine persönlichen Verhältnisse nicht unerörtert bleiben dürfen. Danach hatte er bereits Strafhaft verbüßt, so dass vom Vorliegen verwertbarer Vorstrafen auszugehen ist.

3. Für die neue Verhandlung der Sache weist der [X.] auf Folgendes hin:

a) Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich um die Vernehmung des vom Angeklagten benannten        [X.]zu bemühen haben. Der [X.] gibt zudem zu bedenken, ob nicht eine Aufklärung der näheren Umstände, unter denen das Opfer den Führerschein und den [X.] zurückerhalten hat, weiteren Erkenntnisgewinn verspricht.

b) Auch eine (eindeutige) Verurteilung wegen Hehlerei oder – auf alternativer Tatsachengrundlage – eine (wahlweise) Verurteilung wegen der in der schweren räuberischen Erpressung enthaltenen (einfachen) Erpressung gemäß § 253 StGB und der Hehlerei nach § 259 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 15. April 1984 – 1 [X.], bei [X.], [X.] 1986, 793: Wahlfeststellung zwischen dem im Raub enthaltenen Diebstahl und Hehlerei; Urteil vom 20. Februar 1974 – 3 StR 1/74, NJW 1974, 804: Betrug oder Hehlerei) wäre hier zulässig, da es sich unter den hier gegebenen Umständen um dieselbe prozessuale Tat handelt (vgl. [X.], Urteile vom 29. September 1987 – 4 [X.], [X.]St 35, 60, 65 f., und vom 22. Dezember 1987 – 1 [X.], [X.]St 35, 172, 174 f.; Beschlüsse vom 7. Juli 1999 – 1 [X.], [X.], 523, und vom 22. Dezember 2011 – 4 [X.], [X.], 148, 149). Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft die wirtschaftliche Verwertung der erbeuteten Gegenstände in den konkreten Anklagesatz aufgenommen und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen nach den [X.] näher konkretisiert.

c) Entgegen einer missverständlichen Formulierung der [X.] ([X.]: „wusste“) reicht zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands der [X.] neben der in § 259 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Bereicherungsabsicht – bedingter Vorsatz aus (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 259 Rn. 24 f.).

Sost-Scheible                       [X.]Franke

                         Bender                      [X.]

Meta

4 StR 242/13

21.11.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 19. Dezember 2012, Az: 3 KLs 21/12

§ 267 Abs 5 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.11.2013, Az. 4 StR 242/13 (REWIS RS 2013, 951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 951

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 242/13 (Bundesgerichtshof)


4 StR 350/08 (Bundesgerichtshof)


2 StR 275/23 (Bundesgerichtshof)

Berücksichtigung von Verkehrsdelikten bei Strafbemessung zu Raubdelikt


4 StR 606/11 (Bundesgerichtshof)

Hehlerei: Bereicherungsabsicht bei Erwerb der Sache zum Marktpreis


4 StR 606/11 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.