[X.]
- 1 BvR 1595/92 -
- 1 BvR 1606/92 -
IM NAMEN [X.]
In dem Verfahren
über
die [X.]
1. |
des [X.], Anstalt des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Intendanten, [X.]-Straße, [X.], |
- 1 BvR 1595/92 -,
2. |
a) des [X.], Rundfunkplatz 1, München 2, | |
b) |
des [X.], [X.] 132-134, [X.] 13, | |
c) |
des Süd[X.] Rundfunks, Neckarstraße 230, [X.] 1, | |
d) |
des Südwestfunks, Hans-Bredow-Straße, [X.], | |
e) |
des [X.], Bertramstraße 8, [X.] 1, | |
f) |
von [X.], Bürgermeister-Spitta-Allee 45, [X.] 33, | |
g) |
des [X.], [X.] 8-14, [X.] 19, | |
h) |
des Saarländischen Rundfunks, [X.], Saarbrücken, | |
i) |
des [X.] Köln, [X.] 1, Köln 1, | |
k) |
des [X.], Springer Straße 22-24, [X.], | |
l) |
des [X.] Brandenburg, August-Bebel-Straße 26-53, [X.], | |
m) |
der [X.] plus Deutschland Fernsehen GmbH & Co. Betriebs KG, Aachener Straße 1036, Köln 40, vertreten durch ihren Geschäftsführer Dr. [X.], | |
n) |
der SAT 1 Satelliten Fernsehen GmbH, Otto-Schott-Straße 1, [X.], vertreten durch ihre Geschäftsführer |
- 1 BvR 1606/92 -
Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Professor [X.], Professor [X.], [X.], [X.], [X.], Börger, Dr. Lübbert, Feigen, Dr. Pape, [X.], [X.], [X.], [X.], Dr. Lüders, [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], Oxfordstraße 24, [X.] 1, [X.], Große Theaterstraße 7, [X.] 36, M. KiesgenMillgram, Brühl 78, [X.]
gegen |
die nach § 176 [X.] getroffene Anordnung des Vorsitzenden der [X.] 27 - Schwurgericht - des Landgerichts [X.], bekanntgemacht am 3. November 1992, geändert durch die Anordnung des Vorsitzenden vom 9. November 1992, |
hier: Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, |
hat das [X.] - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
[X.],
[X.],
Grimm,
Söllner,
Dieterich
und der Richterin Seibert
am 11. November 1992 gemäß § 32 [X.] beschlossen:
- [X.] der [X.] 27 des Landgerichts [X.] wird angewiesen, die erforderlichen Anordnungen zu treffen, damit einem von den [X.] öffentlichrechtlichen oder privaten [X.] gestellten Fernsehteam (sogenannte Pool-Lösung) ab dem 12. November 1992 vor dem Beginn und nach dem Ende der Verhandlung in angemessenem zeitlichem Umfang das Filmen im Sitzungssaal des Gerichts gestattet wird, in dem die Hauptverhandlung in der Strafsache gegen [X.] und andere stattfindet, und zwar vor dem Beginn der Verhandlung auch in Anwesenheit der Angeklagten. In diesem Umfang wird die Anordnung des Vorsitzenden [X.], bekanntgemacht am 3. November 1992, geändert am 9. November 1992, ausgesetzt. Im übrigen wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
G r ü n d e :
A.
Die [X.] und die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung betreffen sitzungspolizeiliche Maßnahmen über das Fertigen von Fernsehaufnahmen im Strafverfahren gegen [X.] und andere.
1. Der Beginn des Strafverfahrens gegen [X.], [X.], [X.], Heinz Keßler, [X.] und [X.] vor der 27. [X.] - Schwurgericht - des Landgerichts [X.] ist auf Donnerstag, den 12. November 1992, 9.30 Uhr, angesetzt. Die Beschwerdeführer wollen über das Verfahren berichten. Im Hinblick auf den zu erwartenden Ansturm von Kamerateams und Pressevertretern hat die Beschwerdeführerin zu 1) [X.] mit Schreiben vom 31. August 1992 für Filmaufnahmen im Sitzungssaal die sogenannte "Pool-Lösung" vorgeschlagen. Danach beansprucht nur ein Kamerateam, bestehend aus drei Personen, Zugang zum Sitzungssaal. Die begünstigte Rundfunkanstalt verpflichtet sich, das Filmmaterial allen interessierten Rundfunk- und Fernsehanstalten kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Beschwerdeführerin zu 1) hat eine entsprechende Einigung auf die Pool-Lösung für das Strafverfahren gegen [X.] und andere mit den Beschwerdeführern zu 2) herbeigeführt. Danach sollen im regelmäßigen Wechsel, beginnend mit dem ersten Verhandlungstag, [X.], [X.], [X.] plus und SAT 1 zum Zuge kommen.
Die [X.] hat am 3. November 1992 die Entscheidung des Vorsitzenden [X.] der 27. [X.] bekanntgegeben, wonach Fernsehaufnahmen innerhalb des [X.] nicht zulässig sind und lediglich im Sicherheitsbereich außerhalb des [X.] stattfinden dürfen.
2. Gegen diese Anordnung hat die Beschwerdeführerin zu 1) am 8. November 1992 Verfassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, den Vorsitzenden der 27. [X.] des Landgerichts [X.] im Wege der einstweiligen Anordnung anzuweisen, die erforderlichen Anordnungen dafür zu treffen, daß im Rahmen der sogenannten Pool-Lösung einem Fernsehteam gestattet wird, ab dem 12. November 1992 vor dem Beginn und nach dem Ende der Verhandlung sowie in den Sitzungspausen außerhalb der Verhandlungszeiträume in dem Sitzungssaal des Landgerichts [X.] zu filmen, in dem die Hauptverhandlung in der Strafsache gegen [X.] und andere stattfindet.
Mit Verfügung vom 9. November 1992 hat der Vorsitzende in Abänderung seiner sitzungspolizeilichen Anordnung zugelassen, daß am ersten Hauptverhandlungstag vor Beginn der Hauptverhandlung für etwa fünf Minuten ein Kamerateam bestehend aus einem Kameramann und zwei Begleitern, im Sitzungssaal Aufnahmen ohne Mikrofon macht.
Die Beschwerdeführer zu 2) haben am 9. November 1992 ebenfalls gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 27. [X.] des Landgerichts [X.] Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Sämtliche Beschwerdeführer machen geltend, daß sie durch den sitzungspolizeilichen Ausschluß ihrer Kamerateams aus dem Sitzungssaal in ihrem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt seien. Zum Kernbereich der Rundfunkfreiheit gehörten die [X.] und das Recht auf freien Zugang zur Information. Zur Sicherung dieses Rechts sei der Erlaß der beantragten vorläufigen Regelung dringend erforderlich, um schwere Nachteile abzuwehren.
Ohne den Erlaß der einstweiligen Anordnung würde die öffentliche Meinungsbildung über das Strafverfahren gegen [X.] und weitere hochrangige Repräsentanten der [X.] in unzumutbarer Weise beschnitten. Die Öffentlichkeit könne sich kein Bild von Zustand und Verhalten der Angeklagten machen. Die Erlaubnis, im Sicherheitsbereich außerhalb des [X.] Filmaufnahmen zu machen, sei nicht geeignet, den öffentlichen Informationsanspruch zu erfüllen, da die Angeklagten diesen Bereich nicht beträten.
Der Ausfall könne auch durch spätere Filmaufnahmen nicht mehr wettgemacht werden. Zum einen müsse davon ausgegangen werden, daß das Strafverfahren im [X.]punkt der Hauptsacheentscheidung über die Verfassungsbeschwerde bereits abgeschlossen sei. Zum anderen hätten Filmaufnahmen von den Angeklagten zu Beginn der Strafverhandlung einen ungleich höheren dokumentarischen und meinungsbildenden Wert als zu einem späteren [X.]punkt.
Demgegenüber seien keine irreparablen Folgen erkennbar, die eintreten könnten, wenn die einstweilige Anordnung erginge und sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als nicht begründet erwiese. Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Angeklagten durch die kurzfristige Anwesenheit eines Kamerateams lägen nicht vor. Weiterhin sei zu berücksichtigen, daß es sich bei den Angeklagten um Persönlichkeiten der [X.]geschichte handele, die zudem an die Anwesenheit von Medien gewöhnt seien.
Die [X.] und die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hätten sich auch durch die Abänderung der ursprünglichen Anordnung und die Zulassung eines Kamerateams ohne Mikrofon für fünf Minuten am ersten Sitzungstag nicht erledigt. Die [X.] der Beschwerdeführer bleibe für die folgenden Verhandlungstage weiterhin beschränkt. Aber auch für die Beschränkung der Filmaufnahmen am ersten Verhandlungstag seien rechtfertigende Gründe nicht ersichtlich. Zum einen reiche die [X.] von etwa fünf Minuten nicht aus, um sechs Angeklagte aufzunehmen. Dies gelte um so mehr, als nicht vorherzusehen sei, in welcher Reihenfolge und in welchem [X.]abstand die Angeklagten im Sitzungssaal erscheinen würden. Zum anderen sei die nicht näher bestimmte Begrenzung auf fünf Minuten ungeeignet, den Informationsanspruch zu befriedigen, da unklar sei, wann dieser [X.]raum beginnen und enden solle. Die Entsendung eines Kamerateams ohne Mikrofon sei technisch unmöglich, weil die Mikrofone in die elektronischen Fernsehkameras fest eingebaut seien.
3. Den Verteidigern der Angeklagten ist Gelegenheit gegeben worden, zum Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Stellung zu nehmen.
B.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Bei der gebotenen Abwägung der für und gegen eine einstweilige Anordnung sprechenden Gründe überwiegen diejenigen, die eine Anordnung rechtfertigen.
1. Nach § 32 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des [X.] muß das [X.] vielmehr die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 85, 94 <95 f.>; st. Rspr.).
2. Die [X.] sind weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Bei der Anordnung des Vorsitzenden, die auf § 176 [X.] gestützt ist, handelt es sich um einen Akt der öffentlichen Gewalt, der selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann (vgl. [X.] 50, 234 <238 f.>). Ein Rechtsbehelf gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen ist nach allgemeiner Ansicht nicht vorgesehen (vgl. BGHSt 17, 201 <202>; KK-StPO/[X.], § 176 [X.]. 7). Ob diese Auffassung vor der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Bestand haben kann, mag zweifelhaft sein. Angesichts der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schriftum ist wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung den Beschwerdeführern das Beschreiten des Rechtswegs zumindest für das Verfahren der einstweiligen Anordnung aber nicht zuzumuten. Durch die abändernde Verfügung des Vorsitzenden vom 9. November 1992 ist gegenüber dem weitergehenden Antrag der Beschwerdeführer keine Erledigung eingetreten.
Die von den [X.] aufgeworfene Frage, ob und inwieweit das Grundrecht der Rundfunkfreiheit auch Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal schützt, hat das [X.] noch nicht entschieden. Es hat aber im Hinblick auf die Anwesenheit von [X.] bei einem Strafverfahren festgestellt, daß der freie Zugang zur Information vom Schutzbereich der Pressefreiheit umfaßt wird (vgl. [X.] 50, 234 <240 f.>). Da die Rundfunkfreiheit der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG dient, läßt sich nicht von vornherein ausschließen, daß sie auch Fernsehjournalisten den Zugang und das Filmen gewährleistet. Unter diesen Umständen ist die Rundfunkfreiheit aber bei der Auslegung und Anwendung der §§ 169 ff. [X.] angemessen zu berücksichtigen.
3. Die danach gebotene Abwägung fällt im wesentlichen zugunsten der Beschwerdeführer aus.
a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, würden sich die [X.] im Hauptsacheverfahren aber als begründet erweisen, so könnte eine Fernsehbildberichterstattung über das Strafverfahren nur unzureichend stattfinden. Eine Dokumentation des Auftretens der Angeklagten zu Beginn des Strafverfahrens, dem die Beschwerdeführer mit Recht eine historisce Bedeutung beimessen, wäre angesichts der Beschränkungen nicht gesichert. Die Möglichkeit einer bildlichen Dokumentation des weiteren Verlaufs wäre jedenfalls bis zur Hauptsacheentscheidung des [X.]s unwiederbringlich versperrt.
b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiesen sich die [X.] aber später als unbegründet, wären filmische Aufnahmen von den Angeklagten im Umkreis des Strafverfahrens hergestellt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführer noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten.
Es läßt sich allerdings nahezu ausschließen, daß dadurch eine Störung des geordneten Verlaufs des Strafprozesses einträte. Die von den Beschwerdeführern vorgeschlagene "Pool-Lösung", bei der nur ein aus drei Personen bestehendes Kamerateam Zugang zum Sitzungssaal erhielte, sowie eine beiden Interessen Rechnung tragende Begrenzung der Aufnahmezeit lassen eine Gefährdung der Ordnung im Sitzungssaal und eine daraus folgende Beeinträchtigung der Verhandlung nicht befürchten.
Dagegen könnte es zu einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Angeklagten, insbesondere ihres Rechts am eigenen Bild, kommen. Auch wenn die Filmaufnahmen nachträglich vernichtet würden, ließe sich die Verbreitung der Bilder nicht mehr rückgängig machen. Insoweit fällt aber ins Gewicht, daß es sich bei den Angeklagten, wie schon jetzt feststeht, um absolute Personen der [X.]geschichte im Sinn des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG handelt, deren Bildnisse ohne die ansonsten nach § 22 KunstUrhG erforderliche Einwilligung verbreitet werden dürfen. Ein Andrang zahlreicher Kamerateams, der den Achtungsanspruch der Angeklagten besonders beeinträchtigen könnte, wird durch die Pool-Lösung vermieden.
Eine physische oder psychische Gesundheitsbeeinträchtigung der Angeklagten durch die Fernsehaufnahmen, welche die ohnehin aufgrund des Strafverfahrens eintretende Belastung nochmals erheblich steigerte, erscheint ebenfalls unwahrscheinlich. Auch insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß gerade die Pool-Lösung einen relativ schonenden Umgang mit den gesundheitlichen Interessen der Angeklagten gewährleistet.
c) Nach alledem überwiegen die Nachteile, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, die [X.] sich später aber als begründet erwiesen, diejenigen Nachteile, welche einträten, wenn eine einstweilige Anordnung erginge und die [X.] sich später als unbegründet herausstellten. Allerdings reicht es zunächst aus, die Herstellung von Filmaufnahmen im Gerichtssaal vor und nach der Verhandlung in angemessenem Umfang zu ermöglichen. Eine feste [X.]spanne läßt sich dafür wegen der notwendigen Rücksicht auf die örtlichen und organisatorischen Gegebenheiten sowie die wechselnden Umstände an verschiedenen Verhandlungstagen nicht vorgeben. Es wird vielmehr Sache des Vorsitzenden sein, die [X.] unter Berücksichtigung des öffentlichen Informationsbedürfnisses und der technischen Erfordernisse des Fernsehbetriebs jeweils festzusetzen. Einer weitergehenden Gestattung von Filmaufnahmen im Gerichtssaal durch einstweilige Anordnung des [X.]s bedarf es zur Abwehr schwerer Nachteile für die Beschwerdeführer nicht.
Herzog | [X.] | [X.] | |||||||||
Grimm | Söllner | Dieterich | |||||||||
Seibert |