Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2021, Az. 6 StR 128/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 7175

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anordnung bei Rücktritt vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen, die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen hatte der an paranoider Schizophrenie leidende Angeklagte die wahnhafte Vorstellung entwickelt, dass sich seine Nachbarn, insbesondere die Eheleute B.    und [X.]     gegen ihn verschworen hätten. Im Zustand krankheitsbedingter Schuldunfähigkeit beging er folgende Taten:

3

Um insbesondere [X.]zum Auszug aus ihrem Haus zu bewegen, schrieb er die Worte „[X.]verpiß Dich hier [X.] [X.]“ auf ein Stück Papier, umwickelte damit ein Ziegelsteinstück und warf dieses am 29. Januar 2020 auf das Grundstück der Eheleute [X.]  , die darauf aber nicht reagierten (Fall 1 der Urteilsgründe). Am 31. Januar 2020 warf er einen 12 x 24 x 7 cm großen Ziegelstein nach B.    [X.]  , als diese durch die Terrassentür ins Haus gehen wollte. Als sie gerade das Wohnzimmer betreten hatte, durchschlug [X.] das über der Terrasse befindliche [X.]; die Glasplatte eines darunter stehenden Tisches zerbarst. Als [X.]  daraufhin von der Wohnzimmertür zu dem Angeklagten blickte, warf er einen zweiten Ziegelstein in ihre Richtung, der 20 cm von der Tür entfernt landete und eine Bodenfliese beschädigte (Fall 2 der Urteilsgründe). Am 17. März 2020 warf er vormittags nacheinander drei 8 x 8 cm große Betonstücke in Richtung von B.    und [X.]   sowie abends erneut einen Ziegelstein nach [X.], die ihr Ziel jeweils verfehlten (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe). Am 23. März 2020 hatte der Angeklagte die irrige Vorstellung, dass seine Nachbarin E.  , die er für eine „Ehebrecherin“ hielt, seit Stunden sein Grundstück observiere. Um sie zu vertreiben, richtete er ein nicht geladenes [X.] auf sie, ließ die Waffe klicken und schrie ihr zu: „Verschwinde! Hau ab, oder ich brenn´ dir eine über!“, woraufhin [X.]sich aus Angst vor dem Angeklagten unverzüglich entfernte (Fall 5 der Urteilsgründe). Am 9. April 2020 warf der Angeklagte nacheinander zwei Pflastersteine in Richtung von [X.]  , von denen einer das [X.] durchschlug, [X.]   aber nicht traf. Nachdem dieser den Pavillon in Richtung des [X.] durchquert hatte und seine Frau zu ihm geeilt war, warf der Angeklagte einen tiefgefrorenen „Geflügelfleischkäse“ nach ihnen, der beide aber knapp verfehlte (Fall 6 der Urteilsgründe). Am 3. Juni 2020 wollte der Angeklagte die Zeugin [X.]  vertreiben, die auf dem Grundstück der Eheleute [X.]   Gartenarbeiten erledigte. Er „angelte“ eine von mehreren [X.]n, welche die Eheleute [X.]   zur Dekoration ihres [X.] in den Bäumen – auch an der Grenze zum Grundstück des Angeklagten – aufgehängt hatten, aus einem Baum und warf sie nach ihr, verfehlte sie jedoch knapp. Anschließend änderte sich seine Stimmung abrupt. Er ignorierte [X.]   und wandte sich von ihr ab (Fall 7 der Urteilsgründe).

4

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

5

a) Das [X.] hat die Taten des Angeklagten zwar rechtsfehlerfrei als versuchte gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) in fünf Fällen (Fälle 2, 3, 4, 6 und 7), davon in zwei Fällen (Fälle 2 und 6) in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) und als Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB, Fall 5) gewertet; demgegenüber bestehen gegen die Annahme einer versuchten Nötigung im Fall 1 die in der Antragsschrift des [X.] aufgezeigten Bedenken. Es ist auch ohne Rechtsfehler zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte jeweils krankheitsbedingt unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen (§ 20 StGB). Auf durchgreifende rechtliche Bedenken stößt aber, dass das [X.] in den Fällen 2, 3, 4, 6 und 7 nicht geprüft hat, ob der Angeklagte mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).

6

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist nur zulässig, wenn eine Bestrafung wegen der rechtswidrigen Tat allein an der mangelnden Schuldfähigkeit des [X.] scheitert, nicht jedoch, wenn er mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten ist (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1982 – 4 [X.], [X.]St 31, 132, 135; Beschluss vom 8. August 2002 – 3 [X.] Rn. 2, [X.], 101). Hier fehlen Feststellungen zu dem insoweit maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem jeweiligen Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (vgl. zum „Rücktrittshorizont“ etwa [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 – [X.], [X.]St 39, 221, 227 f.).

7

Insbesondere im Fall 7 liegt es nahe, dass der Angeklagte freiwillig von der weiteren Tatausführung absah, indem er sich nach dem erfolglosen Wurf mit der [X.] von der Zeugin [X.]  abwandte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, eine weitere in den Bäumen aufgehängte Flasche an sich zu bringen und damit nochmals nach ihr zu werfen. Entsprechendes gilt in den Fällen 2, 3, 4 und 6. Es fehlt an Feststellungen dazu, warum der Angeklagte nach den erfolglosen Versuchen, die Eheleute [X.]   zu treffen, nicht erneut mit einem Gegenstand nach ihnen warf. Den Urteilsgründen ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte keine Möglichkeit mehr sah, seine Nachbarn zu verletzen, etwa mangels weiterer verfügbarer Gegenstände oder weil sie sich zwischenzeitlich in Sicherheit gebracht hatten.

8

b) Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Nötigung im Fall 5 und die Sachbeschädigungen in den [X.] vermögen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus für sich genommen nicht zu tragen.

[X.]     

      

König     

      

Feilcke

      

Tiemann     

      

Fritsche     

      

Meta

6 StR 128/21

07.04.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stendal, 30. Oktober 2020, Az: 501 KLs 17/20

§ 20 StGB, § 24 StGB, § 63 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2021, Az. 6 StR 128/21 (REWIS RS 2021, 7175)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7175

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 520/19 (Bundesgerichtshof)

Verfahrensfehler in Strafsachen: Unterlassener Hinweis des Erstgerichts bei Übergang vom Sicherungs- in das Strafverfahren; Gefahrenprognose …


4 StR 566/18 (Bundesgerichtshof)

Strafsache wegen Raubes u.a.: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen fehlender Steuerungsfähigkeit bei bipolar verlaufender …


3 StR 337/19 (Bundesgerichtshof)

(Voraussetzungen einer Unterbringung bei einer posttraumatischen Belastungsstörung)


5 StR 197/22 (Bundesgerichtshof)

Tatrichterliche Feststellung prognoseungünstiger Faktoren bei Maßregelanordnung


4 StR 495/20 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit: Anforderungen bei Diagnose einer "Borderline-Persönlichkeitsstörung"; Zusammenwirken einer Persönlichkeitsstörung und dem Konsum psychotroper Substanzen; …


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 81/21

1 StR 234/22

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.