Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2022, Az. 1 StR 1/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9361

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Gegenstand

Vernehmung eines Sachverständigen vor Unterbringung in Entziehungsanstalt


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das [X.] von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Besitzes kinderpornografischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. [X.] in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3

a) Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für einen Hang haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise einen Hang aus (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 – 1 [X.] Rn. 7; vom 25. August 2021 – 3 [X.] Rn. 8 und vom 1. Juni 2021 – 6 [X.] Rn. 5; je mwN). Vielmehr kann ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln jedenfalls auch dann festzustellen sein, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was bei einem Betäubungsmittelkonsumenten insbesondere im Bereich der Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2021 – 1 [X.] Rn. 7 mwN).

4

b) Das [X.] hat – ohne Hinzuziehung sachverständiger Hilfe – bereits einen Hang mit der knappen Begründung verneint, die Abhängigkeit des Angeklagten von Cannabis sei niederschwellig und er könne seinen [X.] kontrollieren; er habe ohne Einschränkung als Sportlehrer und als Fitnesstrainer arbeiten sowie daneben ausgiebig Sport treiben können ([X.], 14). Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die [X.] nicht den zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat. Tatsächlich konsumierte der Angeklagte in den Jahren vor seiner Verhaftung täglich Cannabis; der [X.] diente neben dem Bestreiten seines Lebensunterhalts der Finanzierung seines Eigenkonsums ([X.]). Angesichts dieser Umstände hätte das [X.] einen Hang jedenfalls nicht ohne ein Sachverständigengutachten ablehnen dürfen.

5

2. Da auch die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht von vornherein zu verneinen sind, muss unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden.

Raum     

      

Fischer     

      

Hohoff

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 1/22

26.01.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 7. Oktober 2021, Az: 7 KLs 221 Js 90690/20

§ 244 Abs 4 StPO, § 246a StPO, § 64 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2022, Az. 1 StR 1/22 (REWIS RS 2022, 9361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9361

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6 StR 212/21

3 StR 352/20

1 StR 327/21

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