Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.07.2023, Az. StB 42/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5425

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Gegenstand

Besetzungseinwand: Zurückverweisung des Verfahrens an Spruchkörper mit vorbefassten Richtern


Tenor

Der von der Angeklagten erhobene Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts wird auf ihre Kosten verworfen.

Gründe

I.

1

Die Angeklagte hat mit am 2. Juni 2023 beim [X.] eingegangenem Verteidigerschriftsatz eingewandt, die Besetzung des 9. Strafsenats mit der Vorsitzenden Richterin am [X.]in der ab dem 19. Juli 2023 terminierten Hauptverhandlung sei nicht vorschriftsmäßig.

2

1. Dem [X.] liegt folgendes Geschehen zugrunde:

3

Die Angeklagte wurde im ersten Rechtsgang mit Urteil des [X.] des [X.] vom 25. Oktober 2021 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge und weiterer - tateinheitlich und - mehrheitlich begangener - Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. An dem Erkenntnis wirkte die damalige Richterin am [X.]als Beisitzerin mit.

4

Auf die vom [X.] zu Lasten der Angeklagten geführte Revision hob der Senat am 9. März 2023 das Urteil im Strafausspruch teilweise auf und verwies die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Strafsenat des [X.]s zurück.

5

Gemäß dem am 16. Dezember 2022 beschlossenen Geschäftsverteilungsplan des [X.] fiel das Verfahren dem 9. Strafsenat zu, in dem die Vorsitzende Richterin am [X.]den Vorsitz führt. Anlässlich ihrer Beförderung hatte das Präsidium ihr diese zum 1. September 2022 vakant gewordene Position zugewiesen. Die Geschäftsverteilungsregelung, nach der im Fall der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht der 9. Strafsenat für Staatsschutzstrafverfahren zuständig ist, soweit anstelle des [X.] ein anderer Senat im Sinne des § 354 Abs. 2 Satz 2 [X.] tätig zu werden hat, stimmt inhaltlich mit denjenigen der Vorjahre überein.

6

Am 22. Mai 2023 beschloss der 9. Strafsenat seine Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden Richterin am [X.]  . Mit Verfügung vom selben Tag bestimmte sie die Termine zur neuen Hauptverhandlung ab dem 19. Juli 2023 und teilte die Senatsbesetzung mit. Dem Verteidiger der Angeklagten wurde die Besetzungsmitteilung am 26. Mai 2023 zugestellt.

7

2. Die Angeklagte macht mit dem [X.] geltend, der Geschäftsverteilungsplan für das [X.], welcher der Zuständigkeit des 9. Strafsenats zugrunde liege, sei rechtswidrig. Dass nunmehr ein Staatsschutzsenat entscheide, der mit einer Richterin besetzt sei, die zuvor an der zurückverwiesenen Sache als „Beisitzerin (Berichterstatterin)“ mitgewirkt habe, sei „durch keinerlei Notwendigkeit begründet“, sondern stelle eine gezielte Umgehung des in § 354 Abs. 2 [X.] geregelten Rechtsgedankens dar, wonach grundsätzlich ein Spruchkörper in vollständig anderer Besetzung zu entscheiden habe. Für das Präsidium wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, „das eine beim [X.] anhängige Verfahren des [X.] einem Senat zuzuweisen“, der nicht mit [X.] besetzt sei.

8

3. Das [X.] hat den [X.] für nicht begründet gehalten und ihn dem [X.] vorgelegt. Der [X.] hat seine Verwerfung beantragt.

II.

9

1. Der form- und fristgerecht erhobene [X.] entspricht den Begründungsanforderungen des § 222b Abs. 1 Satz 2, § 344 Abs. 2 Satz 2 analog [X.] (s. [X.], Beschluss vom 16. Juni 2021 - StB 25 u. 26/21, [X.], 762 Rn. 8; [X.], 9. Aufl., § 222b Rn. 8 mwN), soweit die Angeklagte beanstandet, die angegriffene Regelung im Geschäftsverteilungsplan für das [X.] sei bereits deshalb rechtswidrig, weil der neu entscheidende Strafsenat in der Person einer Richterin [X.] mit dem zuvor erkennenden Strafsenat besetzt sei. In der Sache bleibt der Einwand allerdings erfolglos.

Zwar kann sich im Einzelfall die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts der Hauptverhandlung (§ 222b Abs. 3, § 338 Nr. 1 [X.]) daraus ergeben, dass eine im Geschäftsverteilungsplan getroffene Regelung unwirksam ist, weil sie das vom Gesetzgeber mit § 354 Abs. 2 [X.] verfolgte Anliegen, das Verfahren nach Zurückverweisung in der Regel vor [X.] zu bringen (s. [X.], Urteil vom 9. September 1966 - 4 StR 261/66, [X.]St 21, 142, 143 f.), missbräuchlich umgeht. Dies ist in Betracht zu ziehen, wenn der Spruchkörper, der nach der Geschäftsverteilung für die neue Entscheidung zuständig ist, mit Richtern besetzt ist, die nach demselben Plan dem in dem früheren Rechtsgang erkennenden Spruchkörper angehört haben (s. [X.], Beschluss vom 28. November 2012 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 338 Nr. 1b Geschäftsverteilungsplan 1; Urteil vom 14. Oktober 2015 - 5 [X.], [X.], 17; [X.], Beschluss vom 11. November 2004 - 4 Ss 476/04, [X.], 212; [X.]/[X.]/[X.]-Pflanz, 5. Aufl., § 354 Rn. 59).

Das Präsidium ist jedoch nicht gehalten, über das Geschäftsjahr hinaus sicherzustellen, dass [X.] nochmals mit einer zurückverwiesenen Sache befasst werden kann. Entsprechend seinem Wortlaut ist § 354 Abs. 2 [X.] dahin auszulegen, dass die Vorschrift die Zurückverweisung an „andere“, nicht „anders besetzte“ Abteilungen, Kammern oder Senate verlangt. Das Gesetz nimmt die erneute Mitwirkung von Richtern aus dem früheren Rechtsgang, insbesondere infolge der Änderung der Geschäftsverteilung, bewusst in Kauf. Dies steht in Einklang damit, dass - anders als im Fall des Verfahrens über die Wiederaufnahme nach rechtskräftigem Urteil (s. § 23 Abs. 2 [X.]) - ein vorbefasster Richter weder kraft Gesetzes ausgeschlossen noch sonst verhindert ist, an einer neuen Entscheidung mitzuwirken. Denn von der Einführung einer entsprechenden Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen (vgl. [X.], Urteile vom 9. September 1966 - 4 StR 261/66, [X.]St 21, 142, 143 ff.; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, [X.]St 21, 334, 342 f.; LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 354 Rn. 68 f. mwN; MüKo[X.]/[X.]/[X.], § 354 Rn. 93).

Gegen die Regelung des [X.] für das [X.], aus der sich die Zuständigkeit des 9. Strafsenats für das Verfahren im zweiten Rechtsgang ergibt, nachdem dort die Vorsitzende Richterin am [X.]nach ihrer Ernennung den Vorsitz während des laufenden Revisionsverfahrens übernommen hatte, bestehen danach keine rechtlichen Bedenken. Über Weiteres braucht der Senat hier nicht zu befinden.

2. Soweit die Angeklagte der Sache nach behauptet, das Präsidium habe ganz gezielt Maßnahmen getroffen, um gerade die Vorsitzende Richterin am [X.](als vormalige Berichterstatterin) mit der zurückverwiesenen Sache zu betrauen, und die erläuternden Darlegungen im Vorlagebeschluss unter den Begriff „Schutzbehauptung“ fasst, ist der [X.] bereits unzulässig. Denn er genügt insofern nicht den Begründungsanforderungen des § 222b Abs. 1 Satz 2, § 344 Abs. 2 Satz 2 analog [X.]. Es fehlt an [X.], das eine taugliche Grundlage bietet, eine derartige Wertung zu prüfen. So verhält sich der [X.] nicht zu den Geschäftsverteilungsplänen der Vorjahre, ebenso wenig zu Vorgängen betreffend die Beförderung der vorbefassten Richterin. Zudem wäre die von der Angeklagten augenscheinlich gewünschte Einzelzuweisung der Sache an einen dritten Strafsenat unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf [X.] (§ 16 Satz 2 [X.], Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) rechtlich nicht unbedenklich (vgl. [X.], Beschluss vom 20. April 2021 - StB 13-15/21, [X.]R [X.] § 21e Abs. 1 [X.] 2 Rn. 21 mwN).

Ergänzend weist der Senat mit Blick auf das [X.] darauf hin, dass es für die Frage der Vorbefassung rechtlich bedeutungslos ist, ob die Vorsitzende Richterin am [X.]im ersten Rechtsgang als Berichterstatterin tätig war. Denn das Recht auf [X.] wird durch die Bestimmung eines Berichterstatters grundsätzlich nicht berührt. Vielmehr sind alle zur Entscheidung berufenen Mitglieder des [X.] zur sorgfältigen und gewissenhaften Befassung mit der Sache verpflichtet (vgl. [X.], Beschluss vom 8. April 1997 - 1 [X.] 1/95, [X.]E 95, 322, 331; ferner [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl., § 21g Rn. 41; LR/[X.], [X.], 27. Aufl., § 21g [X.] Rn. 7, jeweils mwN). Im Übrigen enthält der Vorlagebeschluss die Mitteilung, dass im ersten Rechtsgang der damaligen Richterin am [X.]die Berichterstattung nicht zugewiesen war.

3. [X.] folgt aus § 473 Abs. 1 [X.]. Die Prüfung, ob tatsächlich Kosten entstanden oder Auslagen angefallen sind, bleibt dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten (s. [X.], Beschluss vom 20. April 2021 - StB 13-15/21, juris Rn. 27 mwN).

Schäfer     

  

Paul     

  

Hohoff

  

Anstötz     

  

Kreicker     

  

Meta

StB 42/23

25.07.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 222b Abs 3 StPO, § 338 Abs 1 Nr 1 StPO, § 354 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.07.2023, Az. StB 42/23 (REWIS RS 2023, 5425)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5425

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 273/15

5 StR 416/12

4 Ss 476/04

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