Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.09.2012, Az. 2 B 97/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 2783

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Gegenstand

Feststellung gesundheitlicher Beeinträchtigung als Folge eines Dienstunfalls; psychische Erkrankung nach Dienstunfall


Gründe

1

[X.]ie auf das Vorliegen eines [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat keinen Erfolg.

2

1. [X.]er 1966 geborene Kläger, der als Vollzugsbeamter im [X.]ienst des [X.] steht, zog sich im Rahmen des [X.]ienstsports einen Schlüsselbeinbruch sowie einen [X.]änderabriss an der Schulter zu. Nach dem Sturz, der als [X.]ienstunfall anerkannt worden ist, war der Kläger etwas mehr als vier Monate krank geschrieben. Anschließend verrichtete er seinen [X.]ienst rund ein Jahr, seitdem befindet er sich dauerhaft im Krankenstand. [X.]ie Klage, mit der der Kläger die Gewährung von [X.] und die Anerkennung bestimmter gesundheitlicher [X.]eeinträchtigungen als Folgen des [X.] erreichen will, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung ein vom Amtsarzt eingeholtes fachärztliches Gutachten und die darauf bezogene amtsärztliche Stellungnahme zugrunde gelegt.

3

2. Mit den vom Kläger erhobenen [X.], das Oberverwaltungsgericht habe sich eine ihm nicht zukommende medizinische Sachkunde angemaßt und seine [X.]eweisanträge auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten fehlerhaft abgelehnt, sind die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise aufgezeigt.

4

a) Es stellt keinen Aufklärungsmangel dar, dass das Oberverwaltungsgericht die rechtliche Würdigung auf amtsärztliche Stellungnahmen und zugrunde liegende fachärztliche Gutachten gestützt hat. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Fehlt dem Gericht die hierfür erforderliche Sachkunde, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. Kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand eines Menschen an, ist daher regelmäßig die Inanspruchnahme ärztlicher Fachkunde erforderlich. Für die hier auch nach Ansicht des [X.]erufungsgerichts entscheidungserheblichen medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters (vgl. [X.]eschluss vom 24. Mai 2006 - [X.]VerwG 1 [X.] 118.05 - [X.] 402.242 § 60 Abs. 2 ff. [X.] Nr. 16 = NVwZ 2007, 345 m.w.N.; zur [X.]egründungspflicht für die Annahme eigener Sachkunde auch [X.]eschluss vom 4. November 2010 - [X.]VerwG 9 [X.] 85.09 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 376 = NVwZ-RR 2011, 126).

5

Gegen diese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht verstoßen. Vielmehr hat es seine Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des [X.] und der fehlenden Kausalität des [X.] hierfür auf die Feststellungen eines amtsärztlichen Attestes und eines fachärztlichen Zusatzgutachtens gestützt. Eine Verpflichtung, die fachkundige [X.]egutachtung durch vom Gericht selbst bestellte Sachverständige durchführen zu lassen, kennt das Verwaltungsprozessrecht nicht. Vielmehr kann sich ein Verwaltungsgericht auch auf sachverständige Stellungnahmen stützen, die bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt worden sind ([X.]eschluss vom 10. März 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 37.10 - juris Rn. 25). [X.]as Gericht kann regelmäßig auf die medizinische [X.]eurteilung eines [X.] zurückgreifen, weil dieser nach seiner Aufgabenstellung unbefangen und unabhängig ist. [X.]ies gilt auch, wenn sich der Amtsarzt der [X.]eurteilung eines von ihm eingeschalteten Facharztes anschließt. [X.]ie Stellungnahme des Facharztes wird dann dem Amtsarzt zugerechnet (Urteile vom 11. Oktober 2006 - [X.]VerwG 1 [X.] 10.05 - [X.] 232 § 73 [X.][X.]G Nr. 30 Rn. 36 f. und vom 12. Oktober 2006 - [X.]VerwG 1 [X.] 2.05 - juris Rn. 35). Weicht die medizinische [X.]eurteilung des [X.] hinsichtlich desselben Krankheitsbildes von der hinreichend substanziierten [X.]eurteilung des behandelnden Privatarztes ab, so kommt der [X.]eurteilung des [X.] unter folgenden Voraussetzungen Vorrang zu: Es dürfen keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des [X.] bzw. eines von ihm hinzugezogenen Facharztes bestehen. [X.]ie medizinische [X.]eurteilung muss auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhen sowie in sich stimmig und nachvollziehbar sein. Hat der Privatarzt seinen medizinischen [X.]efund näher erläutert, so muss der Amtsarzt auf diese Erwägungen eingehen und nachvollziehbar darlegen, warum er ihnen nicht folgt. Gleiches gilt für das Verhältnis des vom Amtsarzt hinzugezogenen Facharztes zum behandelnden Arzt, wenn sich der Amtsarzt der [X.]eurteilung des Facharztes angeschlossen hat (Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.[X.] Rn. 36). [X.]iese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht angewandt.

6

b) Auch die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht gestellten [X.]eweisanträge auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten ist nicht zu beanstanden und begründet keinen Verfahrensfehler.

7

Über die Einholung eines weiteren Gutachtens entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO). [X.]ie unterlassene Einholung zusätzlicher Gutachten kann deshalb nur dann [X.] sein, wenn die vorliegenden Gutachten ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die [X.]ildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegen dem Gericht bereits Gutachten oder sachverständige Äußerungen zu einem [X.]eweisthema vor, muss es ein zusätzliches Gutachten deshalb nur einholen, wenn das vorhandene von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht (vgl. etwa [X.]eschluss vom 29. Mai 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] 3.09 - [X.] 235.1 § 58 [X.][X.]G Nr. 5 = NJW 2009, 2614 m.w.N.).

8

[X.]as Vorliegen eines solchen Mangels zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. [X.]ies folgt bereits daraus, dass sich die Angriffe ausschließlich gegen das fachärztliche Zusatzgutachten vom 9. Juni 2007 richten. Einwände gegen die amtsärztliche Stellungnahme vom 5. Juli 2005, mit der die volle [X.]ienstfähigkeit ab 5. Juli 2005 festgestellt worden war, legt die [X.]eschwerde nicht dar. [X.]iesem Attest ist vom Oberverwaltungsgericht aber "ausschlaggebende [X.]edeutung" zugemessen worden (S. 9 des Urteilsabdrucks). Selbst wenn daher Anlass zu Zweifeln an dem Zusatzgutachten bestehen sollte, ist nicht ersichtlich, warum sich das Gericht nicht auf die amtsärztliche Stellungnahme hätte stützen dürfen. [X.]ie [X.]eschwerde legt somit bereits nicht dar, dass die Entscheidung des [X.] auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann.

9

Unabhängig hiervon zeigt die [X.]eschwerde auch hinsichtlich des fachärztlichen Zusatzgutachtens keine Anhaltspunkte auf, die Anlass zu Zweifeln geben könnten. Soweit der Kläger darauf verweist, dass im Untersuchungszeitpunkt keine Feststellungen zu dem zwei Jahre zuvor liegenden Gesundheitszustand hätten getroffen werden können, übersieht er, dass der Gutachter hierzu auf die vorgelegten MRT-[X.]efunde und die insoweit feststellbare Entwicklung abgestellt hat (S. 5 des fachärztlichen Gutachtens). Im Übrigen gälte dieser Einwand auch für die vom Kläger selbst beantragte neue [X.]egutachtung.

Soweit der Kläger vorträgt, der Gutachter habe übersehen, dass das Vorliegen seitengleicher Muskelverhältnisse auf die durchgeführten krankengymnastischen Übungen zurückzuführen sei, ist sein Vortrag unsubstanziiert geblieben. [X.]er Gutachter hat ausgeführt, dass es bei den vorgetragenen [X.]elastungsminderungen zu erheblichen Muskelatrophien im [X.]ereich der oberen Extremität hätte kommen müssen. [X.]ie vom Kläger vorgelegten privatärztlichen [X.]escheinigungen verhalten sich zu dieser Frage nicht und sind damit auch nicht geeignet, Zweifel an der fachärztlichen [X.]eurteilung zu begründen. [X.]ie Einschätzung des Gutachters wird zudem durch weitere [X.]efunde, wie etwa die seitengleiche Handflächenbeschwielung, untermauert, die ebenfalls gegen eine dauerhafte Schonung sprechen. Hierauf hat im Übrigen bereits das Oberverwaltungsgericht zutreffend verwiesen.

Unzutreffend ist auch der Einwand, das Oberverwaltungsgericht habe jedenfalls für den Zeitraum bis zur Teilnahme des [X.] an der Wehrübung keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer wiedererlangten [X.]ienstfähigkeit gehabt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat hierzu auf die Feststellungen des [X.] verwiesen. Entgegen der mit der [X.]eschwerde vorgetragenen Auffassung ist insoweit auch nachvollziehbar, was mit der Angabe "Mitte 2005" gemeint war. [X.]ie Aussage steht erkennbar im Zusammenhang mit der [X.]arstellung, dass der Kläger ausweislich der amtsärztlichen Stellungnahme zum 5. Juli 2005 volle [X.]ienstfähigkeit für die von ihm ausgeübte Tätigkeit im allgemeinen Vollzugsdienst wiedererlangt habe.

c) Schließlich liegt auch kein Aufklärungsmangel vor, weil das Oberverwaltungsgericht zur Möglichkeit einer somatoformen Schmerzstörung keinen [X.]eweis erhoben hat. [X.]ie von der [X.]eschwerde vermisste Aufklärung war auf Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts nicht erforderlich.

[X.]ie Tatsachengerichte haben auf der Grundlage ihrer materiell-rechtlichen Auffassung zu entscheiden, welche Aufklärungsmaßnahmen sie ergreifen, insbesondere welchen [X.]eweisangeboten sie nachgehen. [X.]ie Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil es nach seinem Rechtsstandpunkt auf das Ermittlungsergebnis für den Ausgang des Rechtsstreits nicht ankommt (stRspr; vgl. [X.]eschlüsse vom 14. Juni 2005 - [X.]VerwG 2 [X.] 108.04 - [X.] 235.1 § 58 [X.][X.]G Nr. 1 S. 1 f. und vom 30. September 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 66.11 - Rn. 16, insoweit nicht veröffentlicht in [X.] 270 § 5 [X.]hV Nr. 21).

[X.]as Oberverwaltungsgericht ist in der angegriffenen Entscheidung - in Anknüpfung an die Rechtsprechung des erkennenden Senats ([X.]eschlüsse vom 19. Februar 2007 - [X.]VerwG 2 [X.] 19.07 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 49 und vom 15. November 1996 - [X.]VerwG 2 [X.] 40.96 - juris Rn. 6) - davon ausgegangen, dass psychische Erkrankungen jedenfalls dann regelmäßig nicht auf einem [X.]ienstunfall als einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne des § 31 [X.]eamtVG beruhen, wenn nur verhältnismäßig geringe Unfallfolgen erlitten worden sind. Aus der [X.]eschwerdebegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass hier ein Ausnahmefall vorliegen könnte. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger selbst eine psychische Erkrankung nicht vorgetragen hatte und die erlittene Schulterverletzung ohne weitere Anhaltspunkte für sich genommen nicht als schwerwiegendes Ereignis betrachtet werden kann, das die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung nahe legt, musste sich eine weitere Aufklärung hierzu nicht aufdrängen.

Aus dem Umstand, dass die vom Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung herangezogene Einlassung in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht aufgeführt ist, folgt nichts anderes. Nach § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO sind nur die wesentlichen Vorgänge in die Niederschrift aufzunehmen, eine Wortlautprotokollierung ist nur im Falle der [X.]eweiserhebung vorgesehen (vgl. § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO).

Soweit das Oberverwaltungsgericht darüber hinaus zusätzlich ("aus einem weiteren Grund") auf die fehlende [X.]ereitschaft des [X.] zur [X.]urchführung einer psychiatrischen Untersuchung und - eine Erkrankung unterstellt - [X.]ehandlung verwiesen hat, kann offen bleiben, ob hieraus Anknüpfungspunkte für ein Entfallen der Ursächlichkeit entnommen werden könnten. [X.]enn diese Ausführungen sind nicht entscheidungstragend, so dass das Urteil auf einem entsprechenden Mangel auch nicht beruhen könnte.

Meta

2 B 97/11

26.09.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 28. April 2011, Az: 2 A 10025/11, Urteil

§ 31 BeamtVG, § 86 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.09.2012, Az. 2 B 97/11 (REWIS RS 2012, 2783)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2783

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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