Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2011, Az. I ZB 73/09

1. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3909

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zwangsvollstreckungsverfahren: Vollstreckungsschutzantrag eines prozessunfähigen Schuldners


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] (Oder) vom 25. August 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.237,55 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Schuldner wurden vom [X.] (Oder) zur Herausgabe des Grundstücks W.      in S.     verurteilt. Sie bewohnen das auf diesem Grundstück vom Schuldner errichtete Wohnhaus. Die Gläubiger betreiben gegen die Schuldner die Räumungsvollstreckung.

2

Mit Schreiben vom 25. August 2008 hat der Schuldner beim [X.] beantragt. Das Amtsgericht hat die Zwangsvollstreckung zunächst unter der Auflage vorläufig eingestellt, dass der Schuldner ein amtsärztliches Attest oder Gutachten zur Möglichkeit der Räumung bei gründlicher medizinischer Begleitung vorlegt. Nachdem der Schuldner diese Auflage nicht erfüllt hat, hat das Amtsgericht seinen Vollstreckungsschutzantrag zurückgewiesen.

3

Das Beschwerdegericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur [X.] des Schuldners eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Schuldner eine krankheitsbedingte partielle Geschäftsunfähigkeit vorliege, die sich auf die - insbesondere juristische - Auseinandersetzung um das Grundstück beziehe. Das Beschwerdegericht hat daraufhin die Zwangsvollstreckung mit der Maßgabe einstweilen eingestellt, dass sie auf Antrag fortzusetzen sei, wenn die gegenwärtige Prozessunfähigkeit des Schuldners nicht mehr fortbestehe oder der Schuldner wirksam vertreten werde.

4

Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger.

5

Der Senat hat das zuständige Betreuungsgericht nach § 22a FamFG von der vom Beschwerdegericht festgestellten Prozessunfähigkeit des Schuldners unterrichtet. In dem hierauf eingeleiteten Betreuungsverfahren hat sich der Schuldner gegen die Bestellung eines Betreuers ausgesprochen. Das Betreuungsgericht hat daraufhin die Bestellung eines Betreuers abgelehnt, weil sich mangels Mitwirkung des Schuldners an einer persönlichen Befragung und Untersuchung durch einen Sachverständigen nicht hat feststellen lassen, ob die Ablehnung der Betreuerbestellung auf dem freien Willen des Schuldners beruht hat. Mit Verfügung des Vorsitzenden hat der Senat dem Schuldner daraufhin für das Zwangsvollstreckungsverfahren eine besondere Vertreterin (Verfahrenspflegerin) zur Seite gestellt.

6

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

7

1. Nachdem für den Schuldner eine Verfahrenspflegerin bestellt worden ist, stellt sich die vom Senat zunächst erwogene Frage nicht mehr, ob im Rechtsbeschwerdeverfahren, das sich gegen eine prozessunfähige [X.] richtet, ausnahmsweise eine Sachentscheidung ergehen kann, wenn in der Vorinstanz trotz des bestehenden [X.] eine Entscheidung zugunsten der prozessunfähigen [X.] ergangen ist (vgl. für den Fall, dass in der Vorinstanz entgegen §§ 240, 249 ZPO ein Sachurteil ergangen ist, [X.], Urteil vom 21. Juni 1995 - [X.], [X.], 2563).

8

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Im Hinblick auf die Prozessunfähigkeit des Schuldners hätte das Beschwerdegericht die Zwangsvollstreckung nicht auf der Grundlage des - für diesen Fall nicht anwendbaren - § 765a ZPO einstweilen einstellen dürfen. Die Prozessunfähigkeit des Schuldners stellt keinen ganz besonderen Umstand dar, der eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte der Zwangsvollstreckung begründen könnte. Das Fehlen der Prozessfähigkeit des Schuldners ist vielmehr ein Verfahrenshindernis. Denn die Prozessfähigkeit ist jedenfalls dann Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung, wenn der Schuldner - wie im Falle der Räumung - daran mitwirken muss und nicht lediglich sichernde Maßnahmen zu treffen sind (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., vor § 704 Rn. 16; Musielak/[X.], ZPO, 8. Aufl., vor § 704 Rn. 22; [X.], ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rn. 80; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 704 Vorbem. [X.] Rn. 43; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 69. Aufl., [X.]. § 704 Rn. 40). Darüber hinaus ist die Prozessfähigkeit Prozesshandlungsvoraussetzung. Der Vollstreckungsschutzantrag, der von einer prozessunfähigen und auch nicht wirksam vertretenen [X.] gestellt worden ist, ist daher unwirksam und darf nicht beschieden werden.

9

3. Nachdem dem Schuldner auf der Grundlage des im Zwangsvollstreckungsverfahren entsprechend anwendbaren § 57 ZPO (vgl. [X.].ZPO/[X.], 3. Aufl., § 57 Rn. 5; [X.] aaO § 57 Rn. 1a) nunmehr eine Verfahrenspflegerin als gesetzliche Vertreterin zur Seite gestellt worden ist, ist das Hindernis der fehlenden Prozessfähigkeit auch für das weitere Zwangsvollstreckungsverfahren behoben. Das Beschwerdegericht wird nach der Zurückverweisung zu prüfen haben, ob die Verfahrenspflegerin den bislang nicht wirksam gestellten Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners nachträglich - mit Rückwirkung (vgl. § 184 Abs. 1 BGB) - genehmigt oder zwischenzeitlich von neuem gestellt hat. Einem neuerlichen Vollstreckungsschutzantrag stünde in diesem Fall die Befristung nach § 765a Abs. 3 ZPO nicht entgegen. Aufgrund der fehlenden Prozessfähigkeit des Schuldners ist die ihm gegenüber vorgenommene Benachrichtigung von der bevorstehenden Räumung nicht wirksam erfolgt. Dies hat zur Folge, dass er an einer rechtzeitigen Antragstellung ohne sein Verschulden gehindert war (vgl. [X.]/[X.] aaO § 765a Rn. 19b).

Bornkamm                                         Pokrant                              Büscher

                         [X.]                                        Koch

Meta

I ZB 73/09

17.08.2011

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 25. August 2009, Az: 19 T 538/08, Beschluss

§ 765a ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2011, Az. I ZB 73/09 (REWIS RS 2011, 3909)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3909

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 73/09 (Bundesgerichtshof)


I ZB 89/16 (Bundesgerichtshof)

Räumungsvollstreckung für ein Hausgrundstück: Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei konkreter Suizidgefahr des Schuldners


I ZB 15/13 (Bundesgerichtshof)

Räumungsvollstreckung: Unbefristete Einstellung bei Selbstmordgefahr des Vollstreckungsschuldners


I ZB 89/16 (Bundesgerichtshof)


I ZB 60/18 (Bundesgerichtshof)

Zwangsvollstreckung: Zulässigkeit der Vertretung eines nicht prozessfähigen Schuldners bei der Abgabe der Vermögensauskunft durch einen …


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvQ 184/23

V ZB 128/19

I ZB 60/18

I ZB 89/16

I ZB 15/13

I ZB 73/09

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.